Fürstlicher Flohmarkt auf Schloss Marienburg

Von Jochen Stöckmann |
Seit Mittwoch findet auf der Marienburg bei Hildesheim, dem Stammsitz des Adelsgeschlechts der Welfen, die größte Auktion in der deutschen Geschichte statt: Mehr als 20.000 Einzelobjekte kommen dabei unter den Hammer. Teilweise wissen die Fürsten selber nicht so genau, was im Einzelnen versteigert wird. Doch das Interesse ist groß.
Von einem "Welfenschatz" war im Vorfeld der zehntägigen Marathonauktion oft die Rede, aber diese unschätzbare Kollektion mittelalterlicher Kleinode hatte das Fürstenhaus ja bereits 1930 verkauft, vor allem an Museen in den USA. Jetzt, bei der Versteigerung von mehr als 20.000 Objekten auf der Marienburg, geht es eher um erlesenen Hausrat, um Adelskrempel, der Speicher und Säle des neogotischen Schlosses reglerecht verstopfte, wie einer der jungen Welfenprinzen unumwunden zugibt:
"Achtzig Prozent der Sachen, die hier verkauft werden, hat keiner gesehen. Die standen entweder hinter einem Bild oder auf dem Dachboden oder so."

Um zwischen Ritterrüstungen, Zaumzeug und Bierflaschen mit königlichem Wappen doch noch den Kunstgeschmack zu kitzeln, zumindest einen Anschein von "Welfenschatz" aufblitzen zu lassen, begann die Auktion mit dem Aufruf der "Alten Meister". Sogar ein Triptychon von Lucas Cranach für schlappe 30 000 Euro wollte ein Lokalreporter gesichtet haben, aber die Experten von Sotheby’s hatten das "Schnäppchen" dann doch als Arbeit aus dem Kreis der Cranach-Schüler eingestuft.

Die meisten Zuschreibungen im kiloschweren Katalog sind eher vorsichtig – und nur auf eine Ahnung hin mochte kaum ein Bieter zugreifen, wenn es um zahlreiche Gemälde von Schülern, aus der Werkstatt von oder einfach nur nach großen Namen wie etwa Gerrit de Honthorst ging. Da vermochte auch im Vorfeld der animierende Hinweis von Graf Douglas, dem Kunstberater der Welfen, die Gebote nicht übermäßig in die Höhe zu treiben:

"Die Ausstellung wird eigentlich nur richtig interessant mit diesem Katalog. Es ist ein bisschen so, wie wenn Sie in einen Film gehen und keinen Ton hören. Dann bekommen Sie auch die meisten Sachen nicht mit, also ein Film mit Ton ist spannend und eine Auktionsvorbesichtigung mit Katalog ist genauso spannend."

In den Tagen vor der Auktion war die Marienburg mit Rüstkammer, Speisesaal oder Schlossküche ausstaffiert wie ein Erlebnismuseum einstiger Adelspracht. Aber so recht hat das noch kein Interesse für welfische Familiengeschichte geweckt. Mehr als zwei, allenfalls dreitausend Euro mochte niemand zahlen für Bildnisse, die manchmal noch nicht einmal exakt einzuordnen sind, eben nur als "Porträt einer Kaiserin, vielleicht Maria Anna" ausgewiesen werden.

Das Zehnfache, mehr als 20.000 Euro erzielte immerhin eine Arbeit vom Meister selbst, Gerrit de Honthorsts Porträt der Königin Elisabeth von Böhmen. Künstler zählen eben mehr als nur klingende Namen. Bis jetzt zumindest – denn für die kommenden Tage, wenn es um Möbel, Geschirr oder Hausrat geht, hat sich eine durchaus andere Klientel angesagt.

"Ich bin die Margareta Böhm, die Konsulin der Kirgisischen Republik, und wir wollen gucken, ob wir etwas finden. Wir bewohnen selbst ein Anwesen von 1608, das der Familie Münchhausen, und vielleicht kann ich etwas erwerben, das in unser Haus passt oder noch fehlt."

Da zeigt eine Strategie Wirkung, mit der Philipp Herzog von Württemberg, Geschäftsführer von Sotheby’s in Deutschland, fast zehntausend Besucher der Vorbesichtigung zu umgarnen wusste:

"Wir versuchen, für die Besucher das höfische Leben darzustellen: die Stallungen, das Esszimmer, die Porzellankammer, die Silberkammer und die Waffenkammer. Ganz oben unter dem Dachboden dann die Geschirr- und Bettwäschekammer. Das wollen wir als höfisches Leben während der Auktion darzustellen."

Mit dieser Idee soll die neogotische Marienburg, vom Kunstberater Graf Douglas bereits als "Neuschwanstein des Nordens" gefeiert, zu einer Art Welfenmuseum ausgebaut werden. Und dazu brauchen die beiden Söhne von Welfenchef Ernst-August, die zuvor lange Jahre in den USA lebten, den auf mindestens zwölf Millionen Euro geschätzten Erlös aus der Auktion.

Möglicherweise aber kommt dabei in der Masse von zwanzigtausend Objekten das eine oder andere Stück unter den Hammer, mit dem sich eben diese Familien- und Landesgeschichte illustrieren ließe. Das zumindest fürchtet Prinz Heinrich, Onkel der beiden welfischen Ausverkäufer:

"Ich musste beispielsweise meinen Neffen – die haben ja die Initiative angeblich ergriffen – erklären, was da nun verkauft werden soll."
Auch die Experten von Sotheby’s haben bei der etwas überhasteten Katalogisierung in einer Amsterdamer Lagerhalle wohl den einen oder anderen Aspekt übersehen, sich mehr der Kunst als der Kulturgeschichte gewidmet, folgt man dem Urteil eines Pferdekenners:
"Dann werde ich auf jeden Fall so eine Schabracke kaufen. Das sind diese mit Leopardenfell bezogenen Unterzüge, die kamen damals auf die Pferde drauf – das gibt es nie wieder!"
Überhaupt ist das ja das Besondere dieser Auktion, dass sich auf der Marienburg Sammler und Experten vieler "Fachrichtungen" treffen:

"Ich habe eine anerkannte Waffensammlung, Hannover bis 1866. Aber es sind hier teilweise "Ruinen" dabei, die sehr teuer sind. Die Preise sind teilweise zu tief angesetzt und teilweise Phantasiepreise, zu hoch angesetzt."

Wenn es um Phantasiepreise geht, darf natürlich das teuerste Los nicht fehlen, zwei russische Porzellanvasen mit Motiven nach Rubens mit Schätzpreis zwischen 550.000 und 700.000 Euro, für die Graf Douglas Interessenten nicht nur unter den Bietern aus den USA erwartet:

"Es gibt keine Vasen auf dem freien Markt, die sind während der Revolution kaputt geschlagen worden oder in den Kriegen zerstört worden. Heutzutage gibt es viele reiche Russen, die sagen: Ich möchte solch eine russische Vase besitzen."

Deutsche Museen sind bekanntlich nicht so reich. Aber immerhin haben niedersächsische Kulturstiftungen für eine halbe Million Euro 47 Objekte vorab angekauft, um landeskundliche Sammlungen zu ergänzen. Und weil manch Ölporträt, historische Waffe oder Uniformjacke sich als Kulturgut erweisen könnte, werden in den kommenden Tagen auch Museumsdirektoren mitbieten. Neben vielen Privatleuten aus der näheren Umgebung, die ihren ganz eigenen Zugang zur Welfengeschichte haben:

"Meine Oma hat von 1927-32 hier in der Küche gedient. Ich hoffe so eine Form, mit der sie damals gebacken hat, dass ich sie hier finden werde."
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