Fukushima ist Forum-Schwerpunkt

Christoph Terhechte im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Fester Bestandteil der Berlinale ist das Forum Junger Film. In diesem Jahr werden im Forum drei Dokumentarfilme gezeigt, die sich mit der Reaktorkatastrophe und dem Tsunami in Fukushima befassen. Christoph Terhechte, Leiter des Forums, stellt diese japanischen Dokumentarfilme vor.
Liane von Billerbeck: Seit gestern ist Berlin wieder belagert von Filmregisseuren, Filmstars, Filmfreaks, Filmkritikern, denn zum 62. Mal hat die Berlinale, das Filmfestival im Februar, begonnen. Fester Bestandteil des Festivals, das sich ja großen Zuschauerinteresses erfreut, ist das Forum, und in diesem Jahr werden im Forum unter anderem drei Dokumentarfilme gezeigt, die sich mit der Reaktorkatastrophe und dem Tsunami in Fukushima befassen im März 2011, und den Ereignissen, die danach sich ereignet haben.

Christoph Terhechte ist der Leiter des Forums und jetzt zugeschaltet aus unserem Berlinalestudio. Schönen guten Tag!

Christoph Terhechte: Guten Tag!

von Billerbeck: Sie waren im Oktober in Japan, um japanische Filme anzusehen und für das Forum auszuwählen. Nun gibt es ja viele Europäer, die auf Reisen nach Japan verzichtet haben, wenn sie denn nicht unbedingt da hin mussten. Mit welchen Gefühlen sind Sie denn hingefahren?

Terhechte: Ach, das war für mich eine ganz normale Reise. Ich bin jetzt nicht so paranoid, dass ich denke, dass in Japan das alltägliche Leben nicht mehr möglich sei. Ich meine, wir haben hier in Europa ja auch nach Tschernobyl einiges an Panik gehabt, da ist auch einiges Übertriebene dran.

von Billerbeck: Wie war denn die Stimmung in Japan, wie haben Sie das erlebt?

Terhechte: Die Stimmung, als ich ankam, hatte sich schon wieder sehr stark normalisiert. Ich habe viele Freunde in Japan, mit denen ich Kontakt gehalten habe unmittelbar nach der Katastrophe, die mir berichtet haben von den enormen, wirklich dramatischen Veränderungen im Alltag in Tokio, das hatte sich aber alles schon wieder eingependelt, als ich im Oktober hinkam.

Die Stadtteile waren nachts wieder hell erleuchtet wie zuvor, es wurde kein Strom mehr gespart und man hatte das Thema eigentlich schon längst wieder verdrängt.

von Billerbeck: Das Leben also wieder ganz normal, ganz alltäglich?

Terhechte: Nicht wirklich ganz, weil man natürlich schon sich Gedanken gemacht hat, also so ein schleichendes Misstrauen an der Politik der Regierung, an der Informationspolitik von Tepco und an der Frage überhaupt, wie geht man mit Atomenergie um, zu spüren war - bei einigen Leuten mehr, bei anderen weniger. Ich meine, ich habe schon ein paar Leute getroffen, die gesagt haben, man kann ja eigentlich gar nicht mehr leben, und wir fühlen uns krank und wir wissen nicht so richtig.

Aber das ist nicht die Generalstimmung dort. Man schaut eigentlich eher mit Verwunderung darauf, dass dann im fernen Deutschland wegen der Atomkatastrophe in Fukushima plötzlich die Entscheidung getroffen wird, auf die Atomenergie ganz zu verzichten, das hat die Japaner überrascht und verwundert. Aber in den Filmen, die wir zeigen, wird auch deutlich, dass da so ein Samen eigentlich ausgelegt worden ist, der durchaus weiter wachsen wird.

von Billerbeck: Dieses Thema, Fukushima, wie wichtig ist es dann in den Filmen gewesen? Wie viele Filme haben Sie gesehen, die sich damit beschäftigt haben?

Terhechte: Sehr viele. Es ist so gewesen, dass nach der Katastrophe im März letzten Jahres viele Filmprojekte abgesagt wurden, weil eigentlich das ganze öffentliche Leben zum Stillstand kam, Spielfilmregisseure plötzlich ihre Filmprojekte auf das nächste Jahr verschoben haben und alle nichts zu tun hatten, sich natürlich beschäftigt haben mit dem, was da vor sich ging, auch in der Gesellschaft, wie die Gesellschaft reagiert auf so eine Katastrophe, wie man ganz allgemein damit umgeht. Und sehr viele von ihnen haben dann die Kamera in die Hand genommen und haben angefangen, Dokumentarfilme zu drehen, sowohl vor Ort, am Ort der Katastrophe, als auch daheim in ihren Städten, wo sie sich einfach beschäftigt haben mit der Art und Weise, wie die Menschen darauf reagieren.

Ich habe ein Dutzend Dokumentarfilme wohl gesehen zum Thema, also erstaunlich viele von eher minderer Qualität - manchen ist nichts anderes eingefallen, als zu dokumentieren, wie man sich Schutzanzüge kauft, in ein Auto steigt und in die verstrahlte Region fährt, und dann haben sie halt die steigenden Werte auf dem Geigerzähler abgefilmt, das ist jetzt filmisch nicht so toll, dass das einen 90-Minuten-Film trägt. Aber die Filme, die wir dann gefunden haben zum Schluss - wir zeigen drei, die gehen mit dem Thema auf sehr unterschiedliche Weise um und haben auch formal ganz unterschiedliche Zugänge gefunden. Uns geht es nicht nur darum, uns mit einem Thema zu beschäftigen, das ist meines Erachtens nicht das, wofür ein Filmfestival gut ist, sondern es geht uns schon darum zu zeigen, welche filmischen Möglichkeiten man im Umgang eigentlich auch hat. Und diese drei Filme sind so unterschiedlich, wie sie kaum unterschiedlicher ausfallen könnten.

von Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch diese Filme mal, die es eben ins Forum geschafft haben und die Sie so gut fanden, dass Sie sie nach Berlin geholt haben.

Terhechte: Ich fange mal an mit einem Film von Iwai Shunji. Iwai ist ein Spielfilmregisseur, der war schon im Forum und im Panorama hier auf der Berlinale hier mit seinen Spielfilmen, unter anderem "Picnic" und "All about Lily Chou-Chou", und der hat angefangen nachzudenken nach dem März des vergangenen Jahres darüber, was eigentlich in der Gesellschaft passiert, warum die Japaner so unflexibel sind, auch in der Reaktion auf grundlegende Veränderungen, und hat sich mit sehr vielen Leuten unterhalten, die er zum Teil vorher auch gar nicht kannte - das sind Techniker, das sind Wissenschaftler, das sind Aktivisten, Politiker, Soziologen - und hat den Film "Friends after 3/11" genannt, 3/11 ist das Datum der Katastrophe, weil er dort ...

von Billerbeck: Klingt wie 9/11 so ein bisschen.

Terhechte: Ja, natürlich, sicher, es hat eine Komponente von 9/11. 3/11 ist halt der 11. März des Jahres 2011 gewesen, und dort ist etwas passiert, was in vielen, vielen Köpfen einfach grundlegende Veränderungen zumindest angestoßen hat. Und dem geht er nach: Er spricht mit Freunden, die er gefunden hat danach, dokumentiert die sehr, sehr unterschiedlichen Positionen - da gibt es auch einige ziemlich verrückte Ideen, die die Leute äußern -, aber schafft es tatsächlich, so eine Art großes, umfassendes Gesellschaftsbild zu zeichnen in einem Film, der formal jetzt nicht weiter ungewöhnlich ist. Es sind eigentlich nur Gespräche, während denen man ihn mit verschiedenen Menschen sitzen und diskutieren hört. Aber was da geäußert wird und wie es geäußert wird, das ist dann doch sehr spannend zu verfolgen.

von Billerbeck: Das heißt, man hat nach der Katastrophe andere Freunde als vor der Katastrophe, oder verändert man sich selbst, dass man sich für andere Leute mehr interessiert?

Terhechte: Also, wo Sie eben sagten 9/11 - mir ist das auch so gegangen. Nach 9/11 habe ich plötzlich mit Leuten gesprochen - ich war zu dem Zeitpunkt ausgerechnet auf einem Filmfestival in Toronto -, mit denen ich sonst immer nur mich kurz ausgetauscht habe, gesagt habe: Lass uns mal einen Kaffee trinken gehen.

Plötzlich stand dieses Festival in Toronto still, und alle haben angefangen, miteinander zu sprechen, so intensiv, wie man das sonst gar nicht erlebte. Und ich glaube, das ist durchaus vergleichbar. In solchen Situationen öffnet man sich in einer Weise, wie man es sonst gar nicht für möglich gehalten hätte. Und dieser Film zeigt dass auf ganz interessante Art und Weise.

von Billerbeck: Etwas, was ja auch immer in den Blick gerät nach so einer Katastrophe, ist dieses Gebiet, diese Zone. Da erinnern wir uns noch, wie das in Tschernobyl oder nach Tschernobyl war, diese Zone bei Pripyat, die wurde auch immer danach besucht und auch gefilmt. Ist das hier auch so, dass diese Unglückszone um Fukushima Thema eines Films wurde?

Terhechte: Ja, da gibt es einen Film, der hat das auch im Titel, der heißt "No Man's Zone", der beschäftigt sich mit der Frage: Wie gehen wir eigentlich mit Bildern von Katastrophen um? Warum sind wir so süchtig danach, Disasterbilder zu sehen? Und wie kann man eine Katastrophe dokumentieren, die fast unsichtbar ist? Dort, wo der Tsunami gewütet hat, ist eigentlich nicht mehr, das ist Terrain Vague geworden.

Man sieht nur noch Fundamente, man kann nur noch erahnen, was da mal vorher gewesen ist. Und dort, wo man sich in der Natur bewegt und alles verstrahlt ist, da findet man eben doch blühende Kirschbäume vor. Dieser Film von Fujiwara, der beschäftigt sich eben mit philosophischen Ideen des Umgangs mit dem Bilde, des Umgangs mit der Zerstörung, und auch mit der Frage, ob sich nicht schon vor dieser Atomkraft-Katastrophe einiges verändert hat dort, ob es nicht eine Zerstörung im Umgang von Mensch und Natur schon viel länger gegeben hat.

Interessanterweise die, die ausharren in dieser Gegend, die nicht gleich geflohen sind, sind meist die älteren Menschen, die sich noch viel stärker verbunden fühlen ihrer Heimat, ihrem Land, und einfach sich weigern, dort wegzugehen, weil sie auch vorher schon diejenigen gewesen sind, die einen gewissen Widerstand geleistet haben gegen die Umbrüche in der Gesellschaft. Das alles wird in diesem wunderbaren Film "No Man's Zone" von Fujiwara Toshi dokumentiert.

von Billerbeck: Aber es sind auch ganze Gemeinden "umgesiedelt worden" in Anführungsstrichen, die also evakuiert werden mussten aus diesen verstrahlten Gebieten. Man fragt sich, was passiert eigentlich mit diesen Dörfern, mit diesem Gemeinwesen, und das, habe ich gelesen, findet auch in einem Film statt, dass Antworten auf diese Fragen gegeben werden.

Terhechte: Richtig, dieser Film heißt "Nuclear Nation", der Regisseur heißt Funahashi, mit Vornamen Atsushi, und der dokumentiert ein Gemeindeleben in einem Vorort von Tokio, wohin die Einwohner des Ortes Futaba umgesiedelt worden sind. Futaba ist die Gemeinde, die unmittelbar neben dem Atomreaktor Fukushima Daiichi sich befunden hat, die damals 9.000 Einwohner hatte, vom Tsunami zu großen Teilen schon zerstört wurde und dann im nuklearen Fallout komplett unbewohnbar geworden ist, und haben 1.400 der Einwohner von Futaba in dieser Turnhalle in einer stillgelegten Schule außerhalb Tokios Platz gefunden.

Der Bürgermeister ist unter ihnen, und dieser Bürgermeister ist eine richtig tragische Gestalt, eine fast Shakespeare'sche Gestalt, ein König ohne Reich, eben ein Bürgermeister ohne Ort, der verzweifelt versucht, seine Gemeinde zusammenzuhalten, obwohl es die Stadt, die diese Gemeinde eigentlich definiert hat, nicht mehr gibt. Und natürlich sind all diese Menschen, der Bürgermeister ganz vorne, immer überzeugte Anhänger der nuklearen Energie gewesen, weil diese Gemeinde ihre Existenz und ihren Wohlstand der Firma Tepco und dem angrenzenden Atomkraftwerk verdankte.

Und da wird also in diesem Film jetzt das Umdenken beobachtet, dieses langsame Zweifeln daran, ob man nicht komplett belogen worden ist, ob all diese faulen Entschuldigungen, mit denen man dort konfrontiert wird, nicht verdecken, dass man überhaupt nicht weiß, wie es weitergehen soll. Er versucht also tatsächlich, während er doch noch denkt, man könne diese Gemeinde in irgendeiner Form retten, auch die Stadt Futaba in irgendeiner Form retten, sich umzuorientieren und anderen Gedanken als die, die sein Leben vorher beherrscht haben, Platz zu machen. Das ist sehr, sehr spannend zu beobachten, und das hat er geschafft in einer ganz dramatischen Weise. Also ein Dokumentarfilm, der anders als diese anderen beiden etwas sehr viel Narrativeres mitbringt.

von Billerbeck: Christoph Terhechte war mein Gesprächspartner, Leiter des Forums bei der Berlinale. Und die drei eben beschriebenen japanischen Dokumentarfilme können Sie dort sehen. Danke Ihnen!

Terhechte: Vielen Dank!


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