Fulminante Opern-Entdeckung in Bregenz

Es ist das Opern-Ereignis dieses Sommers: Die Bregenzer Festspiele entreißen das Meisterwerk eines kaum bekannten Komponisten dem Vergessen und landen bei Publikum und Presse einen Riesenerfolg. "Die Passagierin" von Mieczysław Weinberg ist die ergreifende Geschichte einer Auschwitz-Überlebenden, die "ihrer" KZ-Aufseherin nach dem Krieg auf einem Ozeandampfer wiederbegegnet. 42 Jahre musste diese Oper auf ihre erste Inszenierung warten.
1968 vollendet, wurde das Werk des polnischen Komponisten erst 2006 konzertant in Moskau uraufgeführt und erlebt nun - mit 42 Jahren Verspätung - seine szenische Weltpremiere.

Nur einmal, 2006, wurde Weinbergs "Passagierin" gespielt – konzertant in Moskau. Für David Pountney, den Intendanten der Bregenzer Festspiele, ist sein Beitrag zur Entdeckung des Komponisten Mieczysław Weinberg "das Wichtigste, das ich bisher gemacht habe". Zwei Opernproduktionen, mehrere Konzerte und ein Symposion bildeten einen markanten Weinberg-Schwerpunkt im Festspielprogramm. Das risikoreiche Engagement hat sich gelohnt: Die Aufführungen fanden vor ausverkauften Sälen statt und wurden nicht selten mit standing ovations gefeiert.

Es war wohl an der Zeit, Mieczysław Weinberg zu entdecken – nicht wiederzuentdecken, denn die Werke des produktiven Komponisten wurden zu dessen Lebzeiten kaum aufgeführt. Etliche Stücke waren politisch unerwünscht, und der Komponist selbst war viel zu zurückhaltend, um für seine Musik zu kämpfen. 1919 in Warschau geboren, 1996 in Moskau gestorben, ist Weinbergs Lebensgang exemplarisch für die dunklen Seiten des 20. Jahrhunderts: Als Jude emigrierte er in die Sowjetunion, geriet dort aber ins Kreuzfeuer der stalinistischen "Kulturpolitik". Sein Vater wurde von den Nationalsozialisten ermordet, sein Schwiegervater von den Kommunisten, er selbst landete im Gefängnis. Schostakowitsch erwirkte die Freilassung und begeisterte sich für Weinbergs "Passagierin". Doch die 1968 vollendete Oper durfte in der UdSSR nie aufgeführt werden – die diskrete, nachdenkliche Musik ist ebensowenig heldenhaft wie die auf eine wahre Begebenheit zurückgehende Geschichte. Denn Zofia Posmysz, die als junge Frau durch die Hölle von Auschwitz gegangen war, stellt in ihrer literarischen Vorlage auch die SS-Schergen als Menschen dar und entwickelt ein komplexes Geflecht aus Schuld, Verdrängung, Sühne und Vergebung.

Die in jeder Hinsicht geglückte Bregenzer Aufführung der "Passagierin" wurde durch die Zeitzeugin Zofia Posmysz beglaubigt: Die heute 86 Jahre alte Auschwitz-Überlebende nahm an den Aufführungen teil und stellte sich den Fragen der Besucher.



Bregenzer Festspiele
Festspielhaus
Aufzeichnung vom 21.7.10


Mieczysław Weinberg
"Die Passagierin"
Oper in zwei Akten op. 97 nach der gleichnamigen Novelle von Zofia Posmysz
Text von Alexander Medwedew

Martha, polnische Gefangene – Elena Kelessidi, Sopran
Tadeusz, Marthas Verlobter, Gefangener – Artur Rucinski, Bariton
Katja, russische Gefangene – Svetlana Doneva, Sopran
Krzystina, polnische Gefangene – Angelica Voje, Mezzosopran
Vlasta, tschechische Gefangene – Elżbieta Wróblewska, Mezzosopran
Hannah, jüdische Gefangene – Agnieszka Rehlis, Alt
Ivette, französische Gefangene – Talia Or, Sopran
Eine alte Gefangene – Helen Field, Sopran
Bronka, ältere Gefangene – Liuba Sokolova, Alt
Walter, deutscher Diplomat – Roberto Saccà, Tenor
Lisa, seine Frau – Michelle Breedt, Mezzosopran
1. SS-Mann – Tobias Hächler, Bass
2. SS-Mann – Wilfried Staber, Bass
3. SS-Mann – David Danholt, Tenor
Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker
Leitung: Teodor Currentzis


nach dem ersten Akt ca. 20:30 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Gespräche mit dem Regisseur David Pountney und der Schriftstellerin Zofia Posmysz