Abgestiegen
Was verbindet Fußballklubs wie Tasmania 1900, FC Homburg oder Rot-Weiß Essen? Alle drei waren einst Mitglieder in der Beletage des deutschen Profifußballs. Heute dümpeln sie bestenfalls in der viertklassigen Regionalliga, manche noch ein paar Spielklassen tiefer.
Das Ellenfeldstadion in Neunkirchen, Ostersamstag. Die heimische Borussia tritt an gegen Alemannia Waldalgesheim. Der Tabellenneunte gegen den 13. Ein Spiel im Niemandsland der Fußball-Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar. Rund 160 Zuschauer – eine spärliche Kulisse. Bereits in der zweiten Minute kassiert Borussia Neunkirchen das 0:1.
Zehn Minuten später sieht ein Spieler der Borussia wegen einer Notbremse die Rote Karte. Noch vor der Halbzeitpause fällt das 0:2. Ein weiterer Borusse wird nach einer Tätlichkeit vom Platz gestellt. Am Ende geht das Heimteam mit einer 0:4-Klatsche vom Rasen. Die wenigen verbliebenen Fans lassen ihrem Frust freien Lauf.
Ein "Schwarzer Ostersamstag"
Mit gesenktem Kopf verlässt Dieter Ferner den Platz. Erst wenige Wochen zuvor hatte der ehemalige Bundesliga-Torwart seinen Vertrag als Trainer der Borussia noch mal um ein Jahr verlängert. Doch nach dieser Blamage reicht es ihm. Die übliche Pressekonferenz im VIP-Raum des Vereins fällt aus. Im Interview mit dem TV-Regionalmagazin des Saarländischen Rundfunks sagt er später:
"Samstag hab ich eben vor dem Spiel zu Mitarbeitern schon gesagt: Wenn heute kein positives Ergebnis kommt, und da hätte schon ein Unentschieden zu gezählt, bleibt mir nix anderes übrig als n Zeichen zu setzen und zurückzutreten."
"Ein schwarzer Ostersamstag" - titelt später das regionale Monopolblatt "Saarbrücker Zeitung". Noch zu Beginn der Rückrunde hatte die Borussia nach einer tollen Serie auf Platz 3 gelegen - punktgleich mit dem Zweiten, der zu den Relegationsspielen berechtigt. Schon träumten die Anhänger mal wieder vom Aufstieg in die Regionalliga. Dann aber der Absturz – acht Ligaspiele in Folge verloren, dazu eine Pokalniederlage gegen Saarlandligist Dillingen.
Völlig konsterniert zeigt sich auch der 71-jährige Willi Ertz. Der einstige Torwartheld der Borussia war selbst noch vor wenigen Jahren Trainer bei seinem Ex-Verein.
"Das ist unfassbar, was soll man da sagen. Zuerst legt die Borussia eine Serie hin mit 16 Spielen ungeschlagen, und plötzlich wie abgeschnitten läuft’s nimmer. Es hat’s noch nie gegeben, dass die Borussia sieben Spiele hintereinander verloren hat."
Auch die Vereinsverantwortlichen sind ratlos, suchen mühsam nach den Ursachen für den sportlichen Einbruch. Aufsichtsratsmitglied und Sprecher Roland Eich:
"Unser Kader ist einfach in der Breite zu schwach, das muss man einfach sagen. Wir haben wirklich sehr gute Spieler in der ersten Elf. Ich geh auch davon aus, dass wenn die erste Elf so zusammen geblieben wäre, dass wir dann weiter so konstant geblieben wären. Aber warum es jetzt auch wirklich so schwach oder nach unten ging, können wir uns auch nicht erklären."
Abstiegskampf im Donaustadion
"Ein herzliches Willkommen im Namen des SSV 1846 Fußball"
Ein paar Hundert Kilometer weiter östlich im schwäbischen Ulm. Freitagabendspiel im Donaustadion.
Gerade mal 1200 Zuschauer haben sich eingefunden, um den SSV 1846 Ulm spielen zu sehen. Dabei ist der Gegner kein Geringerer als Kickers Offenbach. Beide Klubs haben schon bessere Zeiten gesehen. Die Kickers absolvierten bis in die 80 Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein diverse Spielzeiten in der Ersten Bundesliga. Die Ulmer wiederum spielten 1999/2000 immerhin eine Saison im Oberhaus. Die Gegenwart beider Vereine sieht dagegen mau aus. Bei den Kickers läuft derzeit mal wieder ein Konkursverfahren. Aber auch die Situation der Ulmer ist nicht gerade rosig.
Günter Kurth: "Heute gehts um de Abstieg. Wenn heute keine drei Punkte rumkommen, da isch Schluss, würde ich mal so sagen."
Altfan Günter Kurth, der auf Krücken ins Stadion gekommen ist. Das Spiel ist selbst für Regionalliga-Niveau nicht gut. Viele Fehlpässe, kaum gelungene Kombinationen.
Der SSV Ulm krebst auf den unteren Rängen der Regionalliga Südwest herum. Bis zu fünf Abstiegsplätze kann es geben – ob es auch die Ulmer erwischt, wird sich möglicherweise erst am letzten Spieltag entscheiden. Paul Sauter, bis vor kurzem noch Präsident des Klubs, glaubt zu wissen, warum das Publikum nicht gerade in Massen strömt:
"Diese Regionalliga Südwest, in der wir gerade spielen, die ist nicht unbedingt zuschauerfreundlich. Da sind zahlreiche Zweiermannschaften, und die bringen, wenn jetzt da ein Mainz II kommt, vielleicht so 10 Leutchen mit'n paar Eltern der Spieler und das wars dann auch. Da kannst du natürlich nicht das Stadion vollbekommen. Das ist der große Nachteil."
Ein bisschen hat der Publikumszuspruch sicher auch mit den sportlichen Leistungen zu tun. Dann fällt doch ein Tor.
Am Ende gewinnen die Ulmer glücklich mit 1:0. Der Torschütze, Abwehrspieler Daniel Reith in routiniertem Profi-Sprech:
"Ich hab jetzt glaub ich auch mein letztes Tor vor über einem Jahr geschossen, und freu mich natürlich umso mehr, dass ich heut in der schwierigen Situation der Mannschaft helfen konnte und wir den Dreier einfahren konnten."
Der 26-Jährige hat sein halbes Leben im Verein verbracht:
"Ich bin seit dem ersten Jahr mit der C-Jugend hier, und das ist jetzt schon 13 Jahre, die ich hier bin, und hab alles miterlebt hier in dem Verein. Es gab viele Höhen, es gab auch viele Tiefen. Aber ja, mein Herz ist hier, und natürlich will ich immer, dass es dem Verein am besten geht."
Wehmütige Erinnerungen an Bundesligazeiten
Vor knapp 15 Jahren schnupperten die "Spatzen, wie die Ulmer von ihren Fans liebevoll genannt werden, eine Saison lang Bundesligaluft. 1997/98 wurde die Mannschaft unter dem damaligen Trainer Ralf Rangnick Meister der Regionalliga Süd und marschierte direkt über die Zweite in die Erste Bundesliga. Partystimmung rund ums Ulmer Münster. Die Region stand Kopf:
SWR-Reportage: "Aufstieg SSV Ulm in der Ersten Bundesliga. – Jetzt hauen wir die Bayern aus den Socken."
Udo Mayer: "Es war ein wahnsinniger Hype in der Stadt, in der Region, das kann man kaum in Worten beschreiben…"
Udo Mayer, bis vor kurzem 2. Vorsitzender des Vereins, erinnert sich:
"Man hat eigentlich von Wochenende zu Wochenende gelebt, gerade auch als Fan. Man hat dann am Montag schon wieder das nächste Auswärtsspiel vor Augen gehabt, mit Bussen ist man da durch ganz Deutschland gefahren. Und kaum war das Spiel beendet, ging schon die Planung fürs nächste Spiel los. Das war damals schon extrem und intensiv.
Gerade mal eine Saison lang hielt der Traum. Dabei war die Mannschaft noch zehn Spieltage vor Schluss den UEFA-Cup-Plätzen näher als der Abstiegszone. Dann setzte es zu Hause gegen Leverkusen eine verheerende 1:9 -Klatsche. Von diesem Schlag sollten sich die "Spatzen“ bis Saisonende nicht mehr erholen. In der Folge verloren die Ulmer fast alle restlichen Partien. Eine unglückliche Niederlage am letzten Spieltag bei Eintracht Frankfurt besiegelte den Abstieg. Kaum jemand im Verein ahnte damals, dass damit ein Absturz ins fast Bodenlose beginnen sollte.
Udo Mayer: "Natürlich war der Wunsch gleich wieder da, gleich wieder aufzusteigen. Man hat investiert, man hat noch einen größeren Etat wie in der Ersten Liga zusammen gekratzt und versucht, wieder hochzukommen, und das ging gehörig schief."
Paul Sauter: "Die wurden damals mehr oder weniger überrollt und glaubten, sich im Siebten Himmel zu fühlen. Haben also auch die Kontrollfunktionen vielleicht auch sehr stark missachtet, haben auch irgendwo das Maß verloren, was Gehälterzahlungen usw. anbelangt. Und plötzlich stand man damals mitten in der Insolvenz. Das ist ein Niedergang, der unglaublich ist und eigentlich kaum nachvollziehbar."
In den folgenden Spielzeiten wurden die Ulmer "durchgereicht". Die Lizenz für die Regionalliga wurde aus wirtschaftlichen Gründen verweigert. Bereits 2001 war Ulm in der Verbandsliga angekommen. Der Verein machte weniger durch sportliche Leistungen als durch Skandale auf sich aufmerksam: Etwa, als drei Spieler des Wettbetrugs überführt wurden. Da hatte die einstige Euphorie schnell ein Ende.
Udo Mayer: "Im Nachhinein muss man sagen, das war eigentlich wie ein Lottogewinn, und der Gewinner konnte mit diesem Gewinn nichts nachhaltig anfangen."
Über 100 Jahre Ellenfeldstadion
Roland Eich: "Wir sind sehr stolz auf die glorreiche Vergangenheit der Borussia. Das Stadion, das Ellenfeldstadion, das 2012 sein Hundertjähriges gefeiert hat, ist ein tolles Stadion. Aber die Tradition ist natürlich auch ein Hemmschuh."
Roland Eich, Aufsichtsrat bei Borussia Neunkirchen. Die goldenen Jahre des Vereins liegen mittlerweile ein halbes Jahrhundert zurück. Im zweiten Jahr der Bundesligageschichte gelang den Borussen völlig überraschend der Aufstieg in die Eliteklasse. Den 20. Juni 1964 wird der damalige Torwart Willi Ertz wohl nie vergessen:
"Ja, das war für mich sozusagen das Jahrhundertspiel. In diesem Spiel ist alles gelaufen. Das war der Grundstein, dass wir aufgestiegen sind."
An diesem Tag ließ Ertz mit seinen Paraden die Angreifer von Bayern München in der Aufstiegsrunde schier verzweifeln. Nach einem 2:0-Sieg an der Grünwalder Straße hatte die kleine Borussia das bessere Ende vor den damals noch nicht ganz so übermächtigen Bayern. Im letzten Spiel zitterte sich die Borussia zu einem 1:0-Sieg über Tasmania 1900 Berlin.
SR-Reportage: "Wo bleibt der Schlusspfiff? Sekunden vielleicht noch – 10 Sekunden, 5 Sekunden – Schlußpfiff!! Borussia Neunkirchen hat es geschafft, ist in der Bundesliga…"
Die erste Saison im Oberhaus endete mit einem respektablen 10. Platz. Dann Abstieg, sofortiger Wiederaufstieg, erneuter Abstieg. Seitdem reichte es nie wieder zur Rückkehr in die Beletage, trotz zweier Meisterschaften in der Regionalliga. Entsprechend sank das Zuschauerinteresse. In dieser Saison kamen im Schnitt gerade mal 400 Unentwegte ins Stadion.
Jürgen Fleisch: "Hier waren schon 40.000 drin. Gegen Köln, das war der absolute Höhepunkt Bundesliga. Es tut weh, es tut weh, aber was kann man tun?"
Klagt Jürgen Fleisch, Jahrgang 1938, der die besten Zeiten der Borussia als junger Mann im Ellenfeldstadion miterlebt hat:
"Es fehlen die Sponsoren in der Größenordnung ist in der Umgebung nix. Sind viele Fabriken, aber die haben ihren Sitz sonst wo, und da ist natürlich das Interesse an unserer Heimatstadt gering. Ist verständlich."
Anders als in Ulm erscheint der Abstieg der Borussia überwiegend nicht hausgemacht. Eher als Entwicklung, die parallel zum Ausbluten des früheren Industriestandorts erfolgte. Torwartlegende Willi Ertz sieht das einigermaßen unsentimental:
"Das ist ja ganz logisch. In Neunkirchen, Firmenmäßig ist gleich Null. Es gibt keine Schlossbrauerei mehr, es gibt kein Eisenwerk mehr, die die Borussia unterstützt hat, alleine durch die Arbeitsplätze. Wenn heut ein Spieler nach Neunkirchen kommt, fragt er als erstes: Wo kann ich arbeiten, und dann sind uns schon die Hände gebunden."
Schalke des Südwestens
Bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts drehte sich in der zweitgrößten Stadt des Saarlands alles um Kohle und Stahl. Ein Umstand, der der Borussia den Spitznamen "Schalke des Südwestens" eintrug. Roland Eich:
"Wenn Sie sich das anschauen, wo, in welchem Bereich oder in welchen Regionen jetzt die Mannschaften stark sind. Dann ist das immer dort, wo im Prinzip die Industrie stark ist. Ob das jetzt VfL Wolfsburg, ob das jetzt Ingolstadt ist oder wenn man ins Rhein-Neckar-Gebiet geht mit Hoffenheim-Sinsheim, Sandhausen spielt Zweite Liga, auch gefördert von SAP – das ist das, wo wir natürlich n Defizit haben, ganz klar."
Kein Wunder, dass der Traditionsverein seither immer wieder mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen hat. 1990 rettete nur der Verkauf des Ellenfeldstadions an die Kommune den Klub vor dem wirtschaftlichen Aus.
Roland Eich: "Die Stadt Neunkirchen war damals sehr hilfreich, hat im Prinzip die Insolvenz des Vereins damals verhindert. Das Problem ist nur, dass seitdem relativ wenig am Stadion auch gemacht wurde. Bis auf die Tribünenrenovierung im Jahr 2002/03."
Eine Schande, findet der lebenslange Borussia-Fan Jürgen Fleisch:
"Hier, das ist ja kein Zustand, da kommt zum Teil der Mörtel runter und die Laminate, die Eisen werden frei, das ist kein Zustand, das kann so nicht bleiben."
Präsident Giuseppe Ferraro würde das Stadion gern zurückkaufen und sanieren. Aber die Verhandlungen mit der Stadt ziehen sich. Ferraro ist mit seiner Firma F & R zugleich Hauptsponsor des Vereins. Es ist ein Abrissunternehmen. Manche halten das für kein gutes Omen.
Die Scouts lauern im Donaustadion
Oliver Unsöld: "Ich bin jetzt 40 Jahre alt, meine Eltern waren schon hier Mitglied beim Verein, meine Oma hat Hockey gespielt, mein Opa war beim Boxen, meine Mutter war im Turnen, mein Vater war im Fußball. Ich hab mit fünf Jahren selber hier das Fußballspielen angefangen."
Oliver Unsöld, Trainer des SSV Ulm 1846 Fußball, wie der Klub seit der Abspaltung der Fußballabteilung vom Gesamtverein SSV Ulm 1846 vor fünf Jahren offiziell heißt. Unsöld hat im Verein die komplette Jugend erlebt, bekam nach der A-Jugend seinen ersten Oberliga-Vertrag:
"Und dann hab ich den Höhenflug von der Regionalliga bis zur Bundesliga miterlebt als Stammspieler, und auch wieder zurück. Und war dann jetzt noch mal zwei Jahre auswärts woanders als Trainer tätig."
Seit Herbst letzten Jahres ist er Cheftrainer bei seinem Heimatklub:
"Wir sind ein reiner Amateurverein, wir können nur abends trainieren, das aber auch fast täglich, bis auf einen Tag in der Woche – also wir reden von vier plus Wochenende Spiel und Auslaufen reden wir auch von fünf bis sechs Einheiten in der Woche. Ein Profiverein hat natürlich die eine oder andere Einheit noch am Vormittag mehr, aber groß Unterschied gearbeitet oder trainiert seh ich da fast keinen Unterschied."
Eine gute Ausbildung kann für Fußballer Gold wert sein. Nicht immer haben die ausbildenden Vereine die Möglichkeit, die sportlichen Früchte ihrer Talentförderung zu genießen. Schon bei Jugendturnieren, so berichtet Unsöld, stehen am Spielfeldrand mindestens so viele Scouts anderer Klubs wie Eltern beteiligter Nachwuchskicker:
"Wir hatten jetzt wieder so'n Fall. Ein Spieler wurde jetzt weggeholt vom 1. FC Kaiserslautern in das sogenannte Nachwuchs-Leistungszentrum. Da sind uns natürlich die Hände gebunden. Aber hier bei uns in der Regionalliga sind in jedem Spiel zwischen 20 und 30 Scouts oder Beobachter. Das lässt sich gar nicht vermeiden."
Ein Ärgernis, das den kontinuierlichen Aufbau einer wettbewerbsfähigen Mannschaft immer wieder verzögert oder gar verhindert.
"Ich erinnere an so Namen wie Mario Gomez, der hier schon bei uns in der B-Jugend gespielt hat, und viele andere mehr. Und die konnten wir alle nicht halten, weil wir hier keine professionelle Fußballschule in dem Sinne haben."
Klagt Paul Sauter. Der 67-Jährige spielte in den späten 60er-Jahren in der Jugend der damaligen TSG Ulm 1846, wo er in einem Team mit den Brüdern Dieter und Uli Hoeneß auflief. Später war er selbst als Talentscout für den DFB tätig. In Ulm agierte er zeitweilig gleichzeitig als Trainer und Präsident. Die aktuelle sportliche Situation erscheint ihm reichlich unbefriedigend:
"Abstiegskampf Regionalliga, in der wir uns eben befinden, ist nicht der Anspruch, den man hier allgemein hat. Aber wenn du eben nicht das notwendige Budget hast, dann musst du eben kleinere Brötchen backen."
Sagt Sauter. Aber kampflos abfinden mag er sich damit nicht:
"Wir zapfen jetzt auch andere Quellen an. Wir versuchen auch mal, aus dem Ausland das eine oder andere zu bekommen, weil die Region uns halt im Moment – leider, muss ich sagen – so'n bisschen am langen Arm verhungern lässt.
Arabische Investoren abgesprungen
Andere Quellen, und sogar im Ausland – das klingt geheimnisvoll. Schon im Februar war durchgesickert, dass angeblich ein arabischer Investor ein Nachwuchsleistungszentrum beim SSV Ulm errichten wolle. Ein Investor, der eng mit der Fußballer-Vermittlungsagentur MKI zusammen arbeite, so hieß es. Ein Plan ganz nach dem Geschmack von Paul Sauter. Vereine aus höheren Ligen sollten auf diese Weise nicht mehr für wenig Geld an die jungen Talente des Klubs herankommen. Noch vor Ostern wollte Sauter den angeblich unterschriftsreifen Vertrag mit der Firma aus Abu Dhabi präsentieren. Doch dann sprangen die Scheichs ab. Kurz vor den Feiertagen häuften sich die Gerüchte über eine unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit des Vereins. In einer Presseerklärung vom 17. April heißt es:
"Der SSV Ulm 1846 Fußball strukturiert sich neu. Dieser Chance zur Neuausrichtung des Vereins möchte das aktuelle Präsidium nicht im Wege stehen und tritt daher mit sofortiger Wirkung von allen Ämtern und Posten zurück."
Noch Mitte März hatte der damalige Vizepräsident Udo Mayer Zuversicht verbreitet:
"Tagtäglich ist man eigentlich hier am Kämpfen, und ich denke, was wir erreicht haben, dass wir mit 75 ehrenamtlichen Leuten hier diesen Verein trotzdem – aufgrund der Vergangenheit – trotzdem noch aufrecht erhalten können, das ist n ganz wichtiger Punkt. Weil ich denke, das schaffen nicht viele Vereine, mit so wenig Geld in der 4. Liga zu überstehen."
Jetzt stellte sich heraus: Aufgrund falsch kalkulierter Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen dürfte dem Verein ein Budgetloch von rund 200.000 Euro entstehen. Zusätzlich zu den Altlasten, die der Verein seit dem letzten Konkurs von 2011 mit sich herumschleppt und einem Darlehen des zurückgetretenen Präsidenten Sauter hinterlässt das Präsidium zum Saisonende einen Schuldenberg von 476.000 Euro. Kein Pappenstiel für einen Verein, dessen Saisonetat sich bei knapp einer Million bewegt. Einstweilen herrschen Chaostage beim SSV Ulm. Per Amtsgerichtsbeschluss wurde dem Verein ein provisorischer Notvorstand verpasst. Über die Zukunft des Klubs muss eine auf den 20. Mai terminierte ordentliche Mitgliederversammlung entscheiden.
Berliner Traditionsklub in Lila-Weiß
Ein Sonntagmittag nach Ostern am Berliner Grunewald. Der heimische BSC spielt gegen Tennis Borussia. Viel steht nicht mehr auf dem Spiel in dieser Partie der Berlin-Liga: Die Heimmannschaft hat den Klassenerhalt so gut wie sicher, die Gäste haben kaum noch Aufstiegschancen. Sechs Wochen vor Saisonende ist der Vorstand von Tennis Borussia in Gedanken schon bei der nächsten Spielzeit.
Jörg Zimmermann: "Wir sind gerade in der Saisonvorbereitung, sind dabei, einen neuen Kader zusammen zu stellen, nicht ganz neu, das Gerüst des alten wollen wir natürlich schon erhalten, haben gerade einen Trainerwechsel hinter uns und wollen, das haben wir auch ganz klar gesagt, im nächsten Jahr den Oberliga-Aufstieg schaffen."
Jörg Zimmermann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von TeBe. Das Niveau des Spiels lässt auch hier anfangs arg zu wünschen übrig. Die erste Halbzeit verläuft torlos. Vor allem die Gäste haben Probleme mit den schlechten Platzverhältnissen – der Rasen ist ein richtiger Acker. In der zweiten Halbzeit kommt mehr Leben ins Spiel. Führung TeBe, dann postwendend der Ausgleich, erneute Führung für TeBe.
Sprechchöre: "Wir alle sind der Meinung: Das war Spitze!"
Am Ende gewinnt TeBe verdient mit 3:1. Seit drei Jahren spielen die Lila-Weißen in der sechstklassigen Berlin-Liga. Ist das nicht entschieden zu wenig für einen Verein mit dieser Tradition?
Renee Rottke: "In Berlin gibt es auch Traditionsvereine, die sind sogar noch hinter uns, wie Blauweiß 90 zum Beispiel. Gut, Tasmania ist jetzt nun einen Tabellenplatz vor uns, aber die waren auch jahrelang teilweise sogar in der siebenten oder achten Liga. Das geht also immer noch schlimmer, als man denkt."
Renee Rottke, dem Klub verbunden seit über 40 Jahren. Für ihn zählen andere Werte:
"Für mich persönlich gibt es auch'n Fußball außerhalb der Bundesliga. Und, das was auch so unser Motto ist, abends unter Flutlicht und'n Fußballspiel ohne Polizei, und man kann sich jederzeit'n Bier holen und ne Bratwurst holen und – ja, ist eigentlich auch okay, so'n Fußball."
So kann man es natürlich auch sehen. Aber insgeheim träumt sicher so mancher Tennis Borusse von den glorreichen 70ern, als der Klub mit Unterbrechung zwei Spielzeiten in der Ersten Bundesliga kickte. Vorübergehend war Tennis Borussia im Fußball die Berliner Nummer eins, wohlgemerkt im Westteil der Stadt, noch vor dem Platzhirschen Hertha BSC. Aber die ruhmreiche Geschichte des Vereins geht noch weiter zurück.
Denis Roters: "TeBe war nach dem Ersten Weltkrieg der erste Verein, der gegen einen französischen Verein ein Freundschaftsspiel gemacht hat und damit quasi auch wichtige Brücken geschlagen hat."
Für Toleranz und Zivilcourage
Denis Roters, TeBe-Fan seit über 20 Jahren, seit 2013 auch Pressesprecher:
"Dass der Verein bis zur Machtergreifung der Nazis jüdisch geprägt war, Hans Rosenthal nach dem Krieg, dann ne wichtige Epoche. Der Verein hat auch immer gestanden für eine gewisse gesellschaftliche Haltung und für Zivilcourage."
Nach dem Abstieg aus der Beletage des deutschen Fußballs 1977 spielte TeBe einige Jahre lang in der damals zweigleisigen 2. Liga, später in der Oberliga Berlin. In Künstlerkreisen genoss TeBe bis in die 90er-Jahre weiterhin Kultstatus. Der Musikproduzent Jack White stieg finanziell ein und bald wieder aus. Das Engagement des Investors Göttinger Gruppe brachte zwar 1998 den erneuten Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Einige Größenwahnsinnige träumten bereits von der Champions League. Dann das jähe Erwachen: Sportliche Krise, Betrugsverfahren gegen den Sponsor – am Ende stand der Zwangsabstieg wegen "merkwürdiger Geschäftsgebaren".
Denis Roters: "Dieses wirkliche Tal, wo sich im Prinzip auf Deutsch gesagt keine Sau für TeBe interessiert hat, überhaupt zu durchschreiten und eben den Verein auch so'n bisschen umzubauen zu dem, was da jetzt ist, nämlich ein Verein, der zumindest im Berliner Amateurfußball halt bekannt ist für seine vielen Fans, die dem Verein überall hin folgen."
Renee Rottke: "Gut, wenn es jetzt um nichts geht, sind es ungefähr 300 da, aber zu Spitzenspielen sind auch 500 da."
In jüngster Zeit konnte Tennis Borussia kaum Lorbeeren ernten. Vor drei Jahren musste der Verein einen Insolvenzantrag stellen. Der Wiederaufbau gestaltet sich mühsam. Der sportliche und wirtschaftliche Niedergang schreckt potenzielle Sponsoren ab.
Denis Roters: "Ein Verein, der gerade im Insolvenzverfahren ist, viele wissen nicht so genau, was sie sich drunter vorzustellen haben, wie funktioniert das denn im Verein? Zahl ich dann nur an die Gläubiger von früher? Und solche Fragen haben sicherlich die Suche nach einem Hauptsponsor nicht unbedingt erleichtert."
Schwierige Konkurrenz um Sponsorengelder
Noch dazu in der Hauptstadt, in der sich nicht nur jede Menge fußballerische Konkurrenz tummelt. Sondern wo mit Alba, den Eisbären, den Reinickendorfer Füchsen und den BR Volleys erstklassige Vertreter anderer Sportarten um Sponsorengelder buhlen.
Denis Roters: "Naja, ist halt für viele Unternehmer nicht der Gipfel der Attraktivität, in der Berlin-Liga Hauptsponsor zu sein. Da muss man schon ein bisschen Passion für den Amateurfußball mitbringen, weil es natürlich auch andere Optionen in Berlin gibt (…) und viele das dann offenbar vorgezogen haben, Sponsor Nr. 570 bei Hertha zu sein statt halt bei TeBe wirklich was aufzubauen."
Immerhin gelang es zu Beginn dieser Saison, ein Berliner Hotel als Haupt- und Trikotsponsor zu gewinnen. Nach zwei "brustfreien Spielzeiten". Das Insolvenzverfahren gilt mittlerweile als erfolgreich bewältigt.
Wenn es jetzt sportlich noch ein bisschen besser liefe, sähe die Welt für Vorstandsmann Andreas Voigt gar nicht so übel aus:
"Man kann ganz klar sagen: Wir sind aktuell schuldenfrei."
Schuldenfrei? Das ist immerhin ein Zustand, von dem die Verantwortlichen in Ulm und Neunkirchen derzeit nur träumen können.
Roland Eich: "In der Oberliga von Zuschauereinnahmen zu leben ist schlichtweg nicht möglich. Das war auch so'n bisschen die Hoffnung, dass wir das so'n bisschen ausgleichen konnten durch die Regionalliga, weil wir dort auch Duelle hätten, wo wir uns so'n Zuschauerdurchschnitt von ca. 1000 bis 1500 erhofft hätten, der alleine durch Spiele gegen den 1. FC Saarbrücken, Kickers Offenbach, Waldhof Mannheim, FC Homburg zustande gekommen wäre."
Ohne Freiwillige läuft nichts
Roland Eich, Sprecher von Borussia Neunkirchen. Tatsächlich komme der Klub bei optimistisch gerechnet durchschnittlich 400 Zuschauern pro Heimspiel auf eine Tageskasse von gerade mal 3000 Euro, rechnet er vor. Das Ganze mal 17 ergibt Zuschauereinnahmen von um die 50.000 Euro. In der gesamten Saison, versteht sich. Eine Summe, die ein Erstligist vermutlich an jedem Spieltag allein mit dem Verkauf von Fanartikeln umsetzt. Wo die Not so groß ist, bedarf es des selbstlosen Engagements vieler Freiwilliger.
Roland Eich: "Der Vorstand, Aufsichtsrat arbeitet ehrenamtlich. Wir bekommen kein Geld – im Gegenteil, wir müssen Geld bringen, auch aus dem eigenen Geldbeutel. Wir haben ja auch relativ viele Privatpersonen dabei. Und ansonsten muss man natürlich auf die guten Seelen des Vereins hoffen, die uns da wirklich tatkräftig unterstützen: Fotograf, Kolumnenschreiber, Verkäuferinnen, Leute, die im VIP-Raum helfen. Da sind wir relativ stark."
Sprechchöre: "Nie mehr 6. Liga, nie mehr, nie mehr!"
Andreas Voigt: "Wir wollen erst mal konsolidieren, in Ruhe eine Mannschaft aufbauen, haben wir mit dem Trainer auch so besprochen, und haben wirklich bewusst gesagt: Im dritten Jahr erst oben angreifen. Wir wollten nicht auf Teufel komm raus aufsteigen."
Tennis-Borussia-Vorstandsmitglied Andreas Voigt. Aber auch beim derzeitigen Tabellendritten der Berlin-Liga ist die Geduld nicht unbegrenzt. Als Anfang März die Mannschaft beim Ligaprimus Hertha 03 Zehlendorf wie schon im Hinspiel mit einer 0:3-Schlappe vom Platz ging, verlor der Vorstand das Vertrauen in Trainer Markus Schatte. Er musste inzwischen gehen. Auch in der kommenden Saison werden die Gegner voraussichtlich wieder Eintracht Mahlsdorf, Sparta Lichtenberg oder 1. FC Wilmersdorf heißen. An ein Derby gegen den Erzrivalen Hertha BSC ist vorerst kaum zu denken. Etwa wie im Pokalachtelfinale 1998, als TeBe die große Hertha im Olympiastadion mit 4:2 bezwang.
Kampf ums nackte Überleben
Der kurze Streifzug durch die Niederungen des Amateurfußballs zeigt: Ist ein Klub erst mal aus der Profiwelt herausgefallen, wird es schwer, den Anschluss wieder zu finden. Für viele Vereine setzt nach dem Abstieg eine Spiralbewegung nach unten ein. Für manche sogar der Kampf ums nackte Überleben. Bei Borussia Neunkirchen geht es in den nächsten Wochen nur noch darum, einen neuerlichen Abstieg zu vermeiden. Die Ambitionen sind andere.
Willi Ertz: "Die Hoffnung, sagt man ja, stirbt zum Schluss. Ich bin der Überzeugung, dass wir aus dieser Misere, wo wir jetzt momentan stecken, auch rauskommen. Es wird natürlich kolossal schwer. Wir hoffen, dass es aufwärts geht."
Roland Eich: "Natürlich ist es utopisch, von Bundesliga zu sprechen. Aber Regionalliga oben mitspielen, das wär so was, was wir anpeilen würden."
Torwart-Veteran Willi Ertz und Neunkirchen-Sprecher Roland Eich. Ebenfalls tief im Abstiegskampf steckt der SSV Ulm. Anstelle des erhofften Zustroms von Petrodollars droht zudem ein weiterer Konkurs.
Paul Sauter: "Das tut halt weh, weil man dann ja immer hinten drin bleibt und das gesamte Umfeld natürlich auch nicht in Begeisterung ausbrechen kann. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir die notwendigen Punkte noch einfahren werden."
Der Ex-Präsident der "Spatzen" vom SSV Ulm, Paul Sauter. Einigermaßen entspannt gibt sich TeBe-Sprecher Denis Roters. Bundesliga-Nostalgie hin oder her – am Ende gehe es doch vor allem um den Spaß am Fußball:
"Viele, die hier herkommen auch zum ersten Mal, vielleicht durch Zufall, bleiben dann doch da und merken, dass es doch noch mal was ganz anderes ist, wenn man mit dem Trainer hinterher auf einmal im Casino noch reden kann und der nicht abgeschirmt wird von 500 Ordnern, weil’s auch einfach gar nicht notwendig ist, und dass hier alles n bisschen echter und'n bisschen originaler ist. Und je mehr Leute dem eine Chance geben, desto mehr hat der Amateurfußball auch ne Überlebenschance."