Braucht die Bundesliga einen Videoschiedsrichter?
Im Fußball soll nichts mehr dem Zufall überlassen bleiben: Unter Bundesliga-Managern stößt der Videobeweis zunehmend auf Interesse. Als Vorbild dient ein Pilotprojekt aus den Niederlanden.
"Nuri Sahin, da ist Lewandowski, und da ist das 1:0? Nein! Hummels jubelt, Meyer lässt weiterlaufen."
Das war der Moment, der neue Zweifel in der Bundesliga säte. Im DFB-Pokalfinale zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund köpfte Mats Hummels beim Stand von 0:0 ein Tor für den BVB. Der Treffer hätte dieser Partie einen völlig anderen Verlauf gegeben. Doch weil der Münchner Verteidiger Dante den Ball weg schlug, bevor dieser sich eindeutig im Tor befand, zählte der Treffer nicht.
Die Bayern gewannen den Pokal. Und kurz darauf reichten sie einen Antrag bei der Deutschen Fußball-Liga ein. Mit der Bitte, erneut über die Einführung von Torlinientechnik abzustimmen. Die Geister scheiden sich an einer alten Frage, wie Jörg Schmadtke, der Sportdirektor des 1. FC Köln, erläutert.
"Es gibt ja zwei feste Standpunkte: Die einen sagen, der Reiz des Fußballs lebt ein Stück weit darin, dass wir heute noch über Wembley diskutieren. Der andere Standpunkt sagt: Es kann doch nicht sein, dass ein Millionenunternehmen davon abhängig ist, ob der Ball drin oder nicht drin war und ob irgendeiner eine Entscheidung aus dem Bauch heraus trifft, wo er nicht genau sagen kann: Ja, es ist so, oder es ist nicht so."
Torlinientechnik klärt nur fünf Prozent der Fehlentscheidungen auf
Eine Studie hatte ergeben, dass mit der Torlinientechnik nur fünf Prozent aller folgenschweren Fehlentscheidungen aufgeklärt werden können. Das war vielen Klubs zu wenig, als sie im März gegen die Einführung votierten. Doch auf die Fehlentscheidung beim Pokalfinale folgte eine Weltmeisterschaft, bei der die Torlinientechnik erfolgreich half, komplizierte Situationen korrekt zu bewerten.
Und vor allem: Es gibt die Aussicht auf mehr. Der Weltverband Fifa hat seine ablehnende Haltung gegenüber dem Videobeweis aufgegeben. Und diese Technologie stößt auf großes Interesse unter den Bundesliga-Managern, sagt Andreas Rettig, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga.
"Der überwiegende Teil der sportlich Verantwortlichen sieht den Videobeweis positiv, dem Grunde nach. Denn auf diese fünf Prozent Torliniengerechtigkeit, die wir ja dann hätten, kommt ein noch nicht benannter und vorhersehbarer Anteil X drauf."
Als Referenz dient den fortschrittlichen Funktionären ein Pilotprojekt, das derzeit in Holland läuft. In einem mit Technik vollgestopften Kleintransporter, der vor dem Stadion steht, sitzt eine Gruppe von Schiedsrichtern, die das Spiel im Verborgenen über Bildschirme beobachtet und kniffelige Szenen bewertet.
"Bisher haben wir zwei Assistenten, den einen auf der einen Seite der Linie, den anderen auf der anderen. Es käme eben ein dritter Assistent hinzu, der in einem Van sitzt, wo er auf Knopfdruck jede Spielszene aus acht, neun Kameraperspektiven im Standbild, zurückgespult, analysieren kann und Informationen über das Headset an den Schiedsrichter geben kann. Um ihn, und das ist der entscheidende Punkt, vor Fehlentscheidungen zu bewahren, nicht um aktiv in das Spiel einzugreifen."
Drei bis vier kritische Situationen pro Spiel
Eine interne Auswertung der holländischen Versuchsanordnung ergab, dass es pro Spiel normalerweise etwa drei bis vier Situationen gibt, die so eine Überprüfung erforderlich machen. Und dass die Videoschiedsrichter fünf bis 20 Sekunden benötigten, um eine Entscheidung zu treffen. Ganz wichtig ist allen Beteiligten dabei, das Spiel nicht durch Eingriffe der zusätzlichen Unparteiischen zu verzögern.
"Da sind wir bei den zwei grundsätzlichen Markierungspunkten. Erstens: Der Schiedsrichter auf dem Platz ist der Souverän und hat immer die letzte Entscheidungskompetenz, egal, welches Modell man fährt. Das ist die eine Botschaft. Und die zweite ist, dass der Charakter des Spiels nicht verändert werden darf",
sagt DFL-Geschäftsführer Rettig. In den bisherigen Versuchen gab es allerdings noch keinen echten Kontakt zwischen dem Videoschiedsrichter und dem Unparteiischen auf dem Platz. Um das Versuchsprojekt in diese Richtung auszuweiten, brauchen die Holländer nun die Zustimmung eines Gremiums namens International Football Association Board, kurz IFAB.
Dieser Ausschuss wacht über die Fußballregeln und hat sich in der vorigen Woche die Ergebnisse des holländischen Pilotprojektes präsentieren lassen. "Skeptisch, aber interessiert" sei man, hieß es danach aus dem Gremium. Und Fifa-Präsident Sepp Blatter hat sich auch schon wohlwollend geäußert. Im März wird das Board über die nächsten Schritte entscheiden.