Fussball

Die Ära Klopp war ein romantisches Projekt

Der Dortmunder Trainer Jürgen Klopp spricht einer Pressekonferenz des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund im Signal Iduna Park in Dortmund.
Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Von Arno Orzessek |
Jürgen Klopp, scheidender BVB-Trainer, hat in Dortmund und Mainz den Fußball erneuert − als Romantiker mit inniger, leidenschaftlicher Ballbeziehung und Sehnsucht nach dem Absoluten. Arno Orzessek lässt ihn trotz des traurigen Endes bei den Westfalen noch mal hochleben.
Jürgen Klopp: "All die Worte, die ich irgendwann finde werde für die Zeit, die wir hier gemeinsam erleben dürften, werden der Sache sowieso nicht gerecht."
Dass Jürgen Klopp seinen Rücktritt angekündigt hat, verursacht dem Liebhaber Brustschmerzen. Deren Diagnose allerdings fällt leicht:
Denn es stimmt ja! Klopps Ära mit dem BVB war − bei allem Kalkül, Kommerz, kitschigem "Wahre Liebe"-Marketing − ein romantisches Projekt.
Und das heißt: Die Ära Klopp war leidenschaftlich, ungestüm, bisweilen irrational und insgesamt großartig.
Großartiger noch als die BVB-Ära unter dem Mathematiker Ottmar Hitzfeld in den 90er-Jahren.
Als der Kloppsche BVB die Höhe seiner Kunst erklomm − also im Meisterjahr 2011, im Double-Jahr 2012, auch noch 2013 mit dem Champions League-Finale −, erlebte der Fußball eine Neuerung:
Die junge Mannschaft um Hummels, Großkreutz, Sahin und Kagawa spielte so, wie ihr Trainer redete: geistesgegenwärtig, draufgängerisch, riskant und frech.
Als hätte der listige Kraft-Redner Klopp sein rhetorisches Talent in Taktik umgemünzt und als Spielidee auf den Rasen übertragen.
Stichwort: 'Umschaltspiel' − die damals angesagteste Evolutionsstufe des ehrwürdigen Konters und das neue Ding nach den Ballbesitz-Balladen à la Gardiolas Barca und Spaniens epochaler Nationalelf.
Klopp: "Wenn du oben stehst, dann können sie alle kicken, geil, verrückt."
Es war in Dortmund − wie vorher in Mainz − der enorme emotionale Kraftschluss zwischen Trainer und Mannschaft, der das Publikum erregte und in schwarz-gelbe Träumer des Absoluten verwandelte: große Verbundenheit, große Fußballkunst und großer Erfolg.
"Eine tolle Karussellfahrt geht zu Ende"
Unter den Hingerissenen: Schauspieler Joachim Król, der die Meister von 2011 als Meister der Herzen feierte:
"Es ist wie ein Traum. Es geht einfach eine tolle Karussellfahrt zu Ende. Ich liebe die Jungs. Sie hören, das bedeutet mir viel."
Klopp selbst fand immer alles mögliche 'geil', 'echt geil', 'leider geil'. Und so gern er Pathos durch Schnodder-Slang milderte, so gern vermittelte er, dass das Gekicke Dimensionen entfalten kann, die den grünen Rasen transzendieren: Fußball als lichte Endstation menschlicher Sehnsucht...
Wie nach dem 5:2 Sieg gegen Bayern im Pokalfinale 2012.
Klopp: "Das ist komplett unwirklich gerade jetzt. Das ganze Stadion in Gold gehüllt − und da vorne werfen meine Jungs den Pokal in die Höhe. Ich kann das nicht glauben."
Andererseits agierte der betende Christ Klopp oft unfromm − und teilte übel aus, wenn's ihm passte.
Klopp: "Ich an Matthias Sammers Stelle würde für jeden Morgen, bevor ich das Bayern-Trainingsgelände betrete, Gott danken, dass irgend jemand auf die Idee gekommen ist, mich da dazu zu nehmen."
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BVB-Trainer Jürgen Klopp leicht verärgert − vermutlich wegen des Schiedsrichters.© Revierfoto
Wenn Klopp an der Seitenlinie rumpelstilzchen- und hasspredigergleich Züge, Gesten, Worte entglitten, zeigte sich die schwarze, schaurige, dämonische Seite der Romantik − für Schiedsrichter-Coach Lutz Michael Fröhlich ein Sittenverderbnis:
"Das Verhalten [...] hat so ein aggressives Potential, dass daraus gewaltsame Exzesse an der Basis durchaus erwachsen können."
Unterdessen lernte Fußball-Europa, Dortmunds gewählten Wahnsinn zu entschlüsseln. Das Triple der Heynckes-Bayern von 2013 lässt sich als Adaption Kloppscher Ideen deuten − und der Wortgewaltige wurde nach dem Champions-League-Finale FCB-BVB lakonisch.
Klopp: "Bayern macht zwei Tore, wir machen eins."
Tausend sportliche, personelle, psychologische Gründe des Niedergangs in dieser Saison wurden fachgerecht entschlüsselt − und erklären das Unerhörte doch nicht.
Der BVB hat offenbar die Sepsis − eine rätselhafte Entzündungsreaktion des ganzen Organismus. Folglich endet die romantische Beziehung Klopp-Borussia im Trennungstod.
Bliebe der letzte Wunsch. Klopp koppelt ihn ans Pokalfinale:
"Noch einmal mit gutem Grund im Lastwagen um den Borsigplatz zu fahren − das wäre ziemlich lässig."
So oder so hat die Glorifizierung der Ära schon begonnen. Klopp weiß aber: Die Verherrlichung kann nur ein Abglanz der erlebten Gegenwart sein − sogar, wenn er der Fußball-Gemeinde höchstpersönlich mit dem Wort dient.
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