Sportgeschichte
Das Entscheidungsspiel um den Deutschen Fußballmeistertitel am 12.6.1927 in Berlin: Der Nürnbergs Torhüter Alfred "Freddy" Götze sicherte mit seinen Paraden das 2:0 gegen Hertha BSC. © picture-alliance / dpa
Als Fußball in Deutschland zum Massenphänomen wurde
09:37 Minuten
In Berlin wurde vor 125 Jahren ein Fußballverband gegründet, aber Fußball war den Deutschen damals noch fremd. Turnen stand hoch im Kurs. Mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich das: Kicken wurde populär.
Als der Fußball in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kam, hatte er es schwer. Seit den Zeiten von Turnvater Jahn war das Turnen in puncto Körperertüchtigung die unangefochtene Nummer eins. Zutiefst suspekt war den patriotischen Turnern der moderne englische Sport, den Briten der Mittel- und Oberschicht eingeschleppt hatten.
Doch in bestimmten Kreisen, bei Schülern und Studenten, Akademikern und kaufmännischen Angestellten, wurde das rebellische Spiel mit dem Ball, das die englischen Gentlemen in ihrer Freizeit ausgiebig pflegten, auch hierzulande schnell populär.
„Es waren junge Leute, junge Männer, die vom Fußball begeistert waren. Und nicht nur vom Fußball, sondern vom Sport generell, der ja zum damaligen Zeitpunkt eine moderne Erscheinung war.“
Der Historiker Daniel Kuechenmeister hat zusammen mit seinem Kollegen Thomas Schneider die Geschichte des Berliner Fußballverbandes, der vor 125 Jahren, drei Jahre vor dem Deutschen Fußballbund, gegründet wurde, in einer Studie aufgearbeitet.
„Und die fanden sich zusammen zum Fußballspiel und merkten irgendwann, dass Fußball, wenn man immer mehr Leute dafür begeistert, auch Strukturen braucht. Und diese Strukturen wurden geschaffen, erst in Vereinen, die zum Teil anekdotisch nur existierten und dann zunehmend in stabilen Vereinen, und die ersten stabilen Vereine, insbesondere in Berlin, haben dann den Berliner Fußballverband gegründet, 1897.“
Verbandsgründung in einer Berliner Kneipe
Zur Verbandsgründung trafen sich damals sieben Berliner Vereine im „Dusteren Keller“, einer Kreuzberger Kneipe. Der heutige Bundesligist Hertha, 1892 von zwei Schülern während einer Spreepartie auf dem gleichnamigen Dampfer gegründet, war noch nicht dabei. Ebenso wie der Tempelhofer BFC Germania 1888.
Weil es kaum Stadien gab, bestritt dieser älteste noch existierende deutsche Fußballverein seine ersten Partien auf improvisierten Spielfeldern auf der riesigen Freifläche des Tempelhofer Felds. Berlin profitierte damals besonders von der stark expandierenden Wirtschaftsentwicklung vor dem Ersten Weltkrieg. Deswegen fand man sich in der Hauptstadt, in der um 1900 knapp zwei Millionen Menschen lebten, schnell zusammen, um mal eben ein Spielchen auf die Beine zu stellen.
„Das fing an in den 1890er-Jahren und dann um die Jahrhundertwende gab´s in ganz kurzer Folge ganz entscheidende Entwicklungssprünge in der Organisation des Fußballs“, sagt Historiker Thomas Schneider, Co-Autor der Studie zum Jubiläum des Berliner Fußballverbands.
„Und in dieser Zeit entwickelte sich im Grunde der Fußball, den wir bis heute kennen. Also durch die verschiedenen Formen der Wettbewerbe, durch den Ligabetrieb, durch Pokalwettbewerbe. Das alles wurde in dem Zeitraum von wenigen Jahrzehnten, 1890 bis 1910, geschaffen; der Grundstein für den Fußball gelegt.“
Fußball wird zum Massenphänomen
Zum Massenphänomen wird der Fußball aber erst in der Weimarer Republik. Während des Ersten Weltkriegs waren viele junge Männer erstmals mit ihm in Berührung gekommen. Die Zahl der DFB-Mitglieder stieg von 190.000 vor dem Krieg auf knapp 470.000 nach Kriegsende.
Durch die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages im November 1918 haben nun auch Arbeiter etwas mehr freie Zeit zum Fußballspielen. Im Unterschied zu den Anfängen wird Fußball nun zu einem proletarischen Freizeitvergnügen. Dann entdecken die neuen Massenmedien die Faszination des Spiels. Der Rundfunk berichtet live. Größere Stadien werden gebaut.
„Gerade hier in Berlin begreift die Stadtverwaltung die Förderung des Sports als staatliche Aufgabe. Also indem Sportstätten geschaffen werden, um Menschen zu ermöglichen, sich körperlich und damit im Sinne ihrer Gesundheit zu betätigen. Und in der Zeit werden Sportstätten hier geschaffen, die auch von den Dimensionen her überhaupt ermöglichen, dass ein großes Publikum zu den Spielen strömt. Also, wenn es vor dem Ersten Weltkrieg vielleicht Spiele von 5- bis 10.000 Zuschauer im Höchstfall gab, werden Stadien gebaut, die bis zu 40- 50.000 Zuschauer fassen“, sagt Thomas Schneider.
Mit steigenden Zuschauerzahlen wuchsen auch die Einnahmen. Seit seiner Gründung im Jahr 1900 verfolgte der Deutsche Fußballbund immer auch wirtschaftliche Interessen. Als Dachorganisation aller Vereine profitierte der DFB von den steigenden Einnahmen der Vereine, an denen er von Anfang an beteiligt war. Um die Einkünfte nicht versteuern zu müssen, achteten die Funktionäre peinlich genau darauf, nach außen hin das „Amateurprinzip“ zu wahren, um den Status der „Gemeinnützigkeit“ nicht aufs Spiel zu setzen.
Das führte, wie der Historiker Nils Havemann über den Gründungsgeist des DFB schreibt, zu der paradoxen Situation, dass der Verband „zwar bezahlte Angestellte in der Verwaltung haben durfte, weil sie als unerlässlich für die Funktionsfähigkeit der gemeinnützigen Organisation galten, es aber nicht zulassen durfte, dass auch nur ein einziger Spieler auf dem Platz eine gehaltsähnliche Bezahlung erhielt“. Trotzdem gab es sehr früh schon Profis.
„Erste Ansätze gab´s bereits von Beginn an. Auch da, vor dem Ersten Weltkrieg im Kaiserreich, lassen sich Beispiele aufzeigen von Sportlern, die versucht haben, damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“
Mit dem Boom kamen die „Scheinamateure“
Nach Thomas Schneiders Erkenntnissen gab es anfangs allerdings nur wenige Spieler, die bezahlt wurden, unter der Hand. Parallel zum einsetzenden Fußballboom während der Weimarer Republik tauchte dann aber schon das Phänomen des „Scheinamateurismus“ auf.
„Da gab es Akteure, die bei Firmen angestellt waren, sozusagen zum Schein, und stattdessen aber eben dem Fußball nachgingen. Also das, was wir dann wiederum nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Vertragsspieler kennen. Die Diskussion begleitete den Deutschen Fußballbund über viele Jahrzehnte hindurch.
Eine entscheidende Zäsur war dann natürlich die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, die ihrerseits dem einen Riegel vorschoben und die Professionalisierung des Fußballs unmöglich machten. Dass das dann nach dem Zweiten Weltkrieg sehr zögerlich wieder aufgegriffen wurde und die Bundesliga erst 1963 gegründet wurde, das sind sozusagen die Spätfolgen dieser speziellen deutschen Geschichte.“
Fußball in der DDR
Auch in der DDR war Profisport ebenfalls verpönt, offiziell. Weil es im real existierenden Sozialismus keine Profis geben durfte, liefen die Spieler für Betriebs-, Armee-, oder Polizeimannschaften auf. Arbeiten mussten die sogenannten „Staatsamateure“ dort jedoch nicht. Faktisch waren sie wie ihre Kollegen im Westen Profis.
„In den Jahren der Teilung hat es sich in vieler Hinsicht ähnlich entwickelt. Aber was den Fußball vor allem in der DDR gehemmt hat, ist die Tatsache, dass es nicht möglich war für die Vereine, die Spieler frei zu wechseln“, sagt Daniel Kuechenmeister, Co-Autor der BFV-Studie, der selbst in der DDR groß geworden ist.
„Im DDR-Fußball wurde man delegiert. Und diese Delegierung war bindend, ansonsten bekam man keine Spielberechtigung. Und das war natürlich ein enormer Hinderungsgrund für Weiterentwicklung. Und hatte eben dann solche Auswüchse, dass wir eben schon vor vielen Jahren zehn Mal hintereinander einen Meister hatten, nämlich den Berliner Fußball Club Dynamo.“
Seit 1990 hat sich der Fußball noch einmal stark verändert. Vor allem durch die mediale Inszenierung durch das Privatfernsehen.
„Zum anderen setzt in dieser Zeit ein, dass sich immer größere Teile der Bevölkerung für Fußball interessieren und dass er diesen Makel des Proletarischen verliert und sozusagen von der Mitte der Gesellschaft, wie wir es heute formulieren, eben angenommen wird. Heute ist Fußball gesellschaftsfähig. Lange Zeit wurde man seltsam angeguckt, wenn man sich für Fußball interessiert hatte“, sagt Daniel Kuechenmeister.