Ein Stadion im Norden von Windhoek, in der Hauptstadt von Namibia. An den Rändern eines Fußballplatzes wuchert Unkraut. In den Gebäuden nebenan sind die Fenster zerbrochen.
Auf der kleinen Tribüne nimmt Lydia Hatzenberg Platz. Die Sozialarbeiterin engagiert sich im Fußballverband von Namibia für Mädchen und Frauen. Es geht ihr um sportliche, aber noch mehr um soziale Anliegen.
Lydia Hatzenberg beschäftigt sich auch mit der Kolonialgeschichte ihres Landes: mit den Verbrechen der deutschen „Schutztruppe“ Anfang des 20. Jahrhunderts. Und mit der Apartheid, die darauf für Jahrzehnte in Namibia herrschte. Sie erinnert sich: „Meine Großmutter sagte immer zu mir: ,Bring bloß keinen Schwarzen Mann nach Hause, denke an deine Zukunft.‘"
Je heller die Haut, desto höher war der Status
Lydia Hatzenberg ist im unabhängigen Namibia aufgewachsen, aber die Folgen der Kolonialherrschaft spürt sie noch heute. Die Großmutter von Hatzenberg hatte deutsche Vorfahren und war weiß. Ihr Großvater stammte aus Kapstadt und galt nach der Logik des Apartheitsregimes als „farbig“.
Die Mutter von Lydia Hatzenberg heiratete einen Schwarzen Südafrikaner und wurde von einem Teil der weißen Familie verstoßen, sagt sie: „Die Ablehnung gegen meinen Vater habe auch ich zu spüren bekommen. Ich wurde nicht wirklich akzeptiert, weil ich nicht so weiß wie die anderen war.“
Bei Familientreffen fühlte sich Lydia Hatzenberg gemustert und schikaniert. Einige Angehörige pflegten ein ungeschriebenes Gesetz: Je heller die Haut, desto höher der Status.
Hatzenberg glaubt, dass solche Verhältnisse auch viele andere Familien in Namibia prägen:
„Jetzt bleibe ich solchen Familientreffen eher fern. Denn ich möchte nicht ständig an meine Kindheitstraumata erinnert werden.“
Lydia Hatzenberg arbeitet beim Fußballverband Namibias.© Ronny Blaschke
Der erste Völkermord im 20. Jahrhundert
Lydia Hatzenberg absolvierte ein Praktikum beim Fußballverband Namibias und erhielt eine Festanstellung. In Workshops spricht sie mit Fußballerinnen über Mobbing und Sexismus. Und sie diskutieren über die Geschichte, über die Verklärung der deutschen Kolonialzeit.
Im Jahr 1883 war der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz an der Küste des heutigen Namibia an Land gegangen. Bald darauf wurde das Territorium „unter den Schutz“ des deutschen Reiches gestellt. Zwischen 1904 und 1908 verübten deutsche Soldaten den Genozid an den Herero und Nama.
Lydia Hatzenberg ist vor einigen Jahren mit Fußballerinnen in den Süden von Namibia gefahren, in die Hafenstadt Lüderitz und in die frühere Siedlung Kolmanskop. Sie wollten dort über die Anfänge der deutschen Kolonialzeit sprechen.
„Wir wollten uns auch mit Zacharias Lewala beschäftigen, einem Schwarzen Arbeiter, der aus dem südlichen Afrika stammte“, erzählt Hatzenberg. „Lewala hatte in der Gegend 1908 einen der ersten Rohdiamanten gefunden. Er überreichte ihn seinem weißen Vorgesetzten, einem Deutschen.“
Die Fußballerinnen nahmen in Lüderitz an einer Führung teil. Der Guide zeigte ihnen eine Fleischerei, eine Bibliothek, eine Kirche und Denkmäler - alle waren mit deutschen Namen versehen. Zum Beispiel von gefallenen Soldaten.
Von Zacharias Lewala? Keine Spur, sagt Hatzenberg:
„Es gab nicht ein Foto, das dort an diesen Schwarzen Arbeiter erinnerte. Alles drehte sich um die weiße deutsche Vergangenheit. Das hat mich sehr wütend gemacht. Ich habe den Guide gefragt: Wo haben die Schwarzen Arbeiter gelebt? Wie genau wurden sie von den Kolonialherren misshandelt“
Historische Ursachen für den Rassismus
Rassismus ist in der namibischen Gesellschaft verwurzelt. Aber was sind die historischen Ursachen?
Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg übernahm Südafrika die Kontrolle über Namibia. Die weiße herrschende Minderheit etablierte auch in Namibia die Apartheid.
„Während der Apartheid hatten wir keinen Zugang zu Freizeitanlagen“, erinnert der Journalist Carlos Kambaekua, der ist in Windhoek aufgewachsen ist. In Artikeln und Büchern beschreibt er den früheren Alltag während der Apartheid.
„Schwarze durften sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Zentrum von Windhoek aufhalten. Sie hätten festgenommen werden können.“
Carlos Kambaekua sitzt in einem Café in der Independence Avenue, die früher einmal Kaiserstraße hieß. Er erläutert, wie die Kolonialherren aus Südafrika in den 1940er- und 50er-Jahre an die deutsche Kolonialpolitik anknüpften.
Der Journalist Carlos Kambaekua erinnert sich an die Bedeutung des Fußballs während seiner Kindheit.© Ronny Blaschke
Fußball als Ablenkung
Die weiße Verwaltung zog Grenzen zwischen den Schwarzen Bevölkerungsgruppen und spielte sie gegeneinander aus. So wollte sie ihren Widerstand in Grenzen halten. Polizisten und Sicherheitskräfte drängten Ovambo, Nama oder Herero in getrennte „Wohnsiedlungen“, erzählt Carlos Kambaekua, der in den 60er-Jahren aufgewachsen ist.
Unsere Eltern wussten nicht wirklich, was wir Kinder am Tag machten. Sie waren bis spät in den Abend bei der Arbeit. Wir hatten keinen Zugang zu Bibliotheken oder Schwimmbädern. Stattdessen wollten sich viele Schwarze das Schwimmen in Flüssen und Seen selbst beibringen. Das war sehr gefährlich, viele sind dabei ertrunken. Fußball hingegen war ein Zeitvertreib für uns alle. Man braucht nur einen Ball und ein bisschen Platz. Das hat uns ein etwas vom harten Alltag abgelenkt.
Journalist Carlos Kambaekua
Exklusive Sportarten für Weiße
Es waren deutsche Soldaten und Siedler gewesen, die den Fußball Anfang des 20. Jahrhunderts in Namibia einführten. Die Deutschen organisierten Turniere, doch die Schwarzen Einheimischen durften nicht teilnehmen. Nicht als Spieler, nicht als Zuschauer.
Doch der Fußball setzte sich überall durch. Die Schwarzen Namibier steckten sich in ihren Wohnvierteln eigene Spielfelder ab. Dem Fußballverband durften sie nicht jedoch beitreten. Spiele mit oder gegen weiße Einwohner waren lange untersagt, erläutert Carlos Kambaekua: „Und auch Sportarten wie Hockey, Tennis oder Kricket blieben exklusiv für die Weißen.“
In den 1970er-Jahren setzte ein Wandel ein. Neben den Weißen etablierten auch Schwarze und so genannte „farbige“ Spieler eigene Fußballverbände. Die weißen Sicherheitskräfte ließen sie gewähren, achteten aber darauf, dass sich Schwarze und „Farbige“ nicht gegen sie verbünden konnten. Mehrfach lösten sie gemischte Teams auf. Auch Schwarze und Weiße durften nicht miteinander spielen, aber nun immerhin gegeneinander.
Mitte der 70er-Jahre reisten Schwarze Spieler aus „Südwestafrika“, so die damalige Bezeichnung für Namibia, nach Südafrika. In Bloemfontein führten sie in einem Spiel gegen weiße Polizisten 4:0. Die Polizisten ordneten die Namibier an, dass sie nur aus der eigenen Hälfte aufs Tor schießen dürfen.
Manipulierte Elfmeter
Und Carlos Kambaekua nennt noch ein Beispiel aus dem Jahr 1975: In einem Rugby-Stadion von Windhoek trafen eine Schwarze und eine weiße Mannschaft aufeinander:
„Die Weißen wollten ihre Überlegenheit deutlich machen. Das Schwarze Team führte kurz vor Schluss 3:2. Doch dann gab der weiße Schiedsrichter für die weiße Mannschaft einen zweifelhaften Elfmeter. Der Elfmeter wurde pariert, doch der Schiedsrichter ließ wiederholen. Der nächste Schuss verfehlte das Tor, doch der Schiedsrichter ließ erneut wiederholen. Am Ende stand es 3:3 und das Spiel wurde abgepfiffen.“
Als sich die Nachricht von den manipulierten Elfmetern herumsprach, war Cassius Moeti ein junger Mann. Der Arbeitsplatz von Moeti ist heute das „NFA Soccer House“, das Hauptquartier des namibischen Fußballverbandes. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Ordner und Broschüren.
Moeti gilt in Windhoek als Fußballikone. Seit einigen Jahren verantwortet er das Marketing des Verbandes.
Die Segregation war allgegenwärtig. Erst spät in den 70er-Jahren haben ein oder zwei deutschsprachige Namibier in Schwarzen Vereinen gespielt. Und erst dann durften nur ganz wenige Schwarze in den weißen Klubs spielen.
Cassius Moeti vom namibischen Fußballverband
Spione in Schwarzen Vereinen
Etliche Länder auf dem afrikanischen Kontinent hatten in den 1960er-Jahren ihre Unabhängigkeit erkämpft. Namibia war davon noch weit entfernt, aber die Hoffnung wuchs. Es war die SWAPO, die Südwestafrikanische Volksorganisation, die nun für den antikolonialen Widerstand mobil machte, sagt Cassius Moeti:
„Wir waren wie eine Bruderschaft. Auch beim Fußball haben wir uns auf gemeinsames Ziel eingeschworen: die Befreiung vom Kolonialismus.“
Der Vater von Cassius Moeti gehörte 1964 zu den Gründungsmitgliedern des Fußballvereins „Black Africa“. Zwischen Training und Abendessen diskutierten die Spieler über Proteste.
Das Regime schickte Spione in die Schwarzen Vereine. Die Mannschaft der „Tigers“ musste ihren Namen ändern, weil die Behörden darin eine aggressive Symbolik vermuteten. In den staatlichen Medien kam der Fußball nicht vor, das Regime pflegte Rugby als weißen Nationalsport.
„Politische Kundgebungen und Streiks waren damals verboten“, erzählt Moeti. „Die Aktivisten wussten, dass sie beim Fußball weniger beobachtet wurden als anderswo. Also haben sie sie nach dem Training über ihre politische Agenda gesprochen. Und der Sport half, um den Zusammenhalt zu stärken.“
Gefängnis und Exil
1977 fielen die Grenzen: Schwarze, weiße und„farbige“ Teams konnten nun in denselben Ligen spielen. In der Schwarzen Bevölkerung lehnten etliche Aktivisten einen gemeinsamen Spielbetrieb ab. Sie wollten nicht auf Augenhöhe mit Weißen spielen, die ihnen sonst in Restaurants oder Schwimmbädern den Zutritt verwehrten.
Einige Fußballer wurden verhaftet, andere gingen ins Exil, erzählt Cassius Moeti:
„Die Möglichkeiten unserer Eltern waren damals sehr begrenzt. Sie konnten als Krankenschwestern, Busfahrer oder Reinigungskräfte arbeiten, vielleicht als Pastoren oder Sicherheitsleute. Aber wir, die jüngere Generation, wollten in die Politik und in die Wirtschaft. Wir hatten große Ambitionen.“
Unabhängigkeitsfeier im Stadion
Im 21. März 1990 versammelten sich zehntausende Menschen für eine Feier im größten Stadion von Windhoek. Als letzter Staat in Afrika erlangte Namibia die Unabhängigkeit. Kirchenglocken und Jubel hallten durch die Stadt. Bald darauf wurde das Stadion in Independence Stadium umbenannt. Doch der Optimismus sollte nicht lange andauern.
Heute leben in Namibia 2,5 Millionen Menschen. Nur rund 14.000 von ihnen haben deutsche Wurzeln. In einigen Medien in Deutschland wird diese Minderheit als verschworene Gruppe beschrieben, die in der Vergangenheit verharrt. Als Minderheit, die sich im deutschen Buchladen mit Kolonialnostalgie eindeckt. Doch es gibt auch Namibier deutscher Herkunft, die sich um Differenzierung bemühen.
Einer von ihnen ist Harald Hecht. Er sagt:
Das ist für mich eigentlich die staatsbürgerliche Verantwortung, die ich spüre. Wir sind zu sehr als Randgruppe marginalisiert worden. Wir Deutschsprachigen haben ganz viel, was wir einbringen können. Wir sind wirtschaftlich noch ein Riesenfaktor. Wir haben tolle Verbindungen nach Deutschland. Und das müssen wir zum Wohle des Landes Namibia nutzen.
Harald Hecht vom Forum Deutschsprachiger Namibier
Harald Hecht ist einer der prägenden Köpfe im Forum Deutschsprachiger Namibier. Dieses Netzwerk setzt sich für einen ökonomischen und kulturellen Austausch ein.
Harald Hecht spricht ausführlich über seine Familiengeschichte: Einer seiner Urgroßväter war mit der deutschen „Schutztruppe“ ins Land gekommen, seine Großeltern wanderten nach dem Ersten Weltkrieg nach Namibia aus. Harald Hecht ist in den 70er-Jahren in Walvis Bay aufgewachsen, einer kleinen Stadt an der Atlantikküste.
Aufruhr bei einem Jugendturnier
„Und ich habe ja nur Vorteile bezogen aus der Apartheid“, sagt Harald Hecht. „Es wurde damals für ein weißes Kind, glaube ich, das Siebenfache in die Schulbildung investiert wie für ein Schwarzes Kind. Ich bin in einem Land groß geworden mit ganz vielen Privilegien.“
Während der Kolonialzeit gründeten in der weißen Minderheit auch britische oder portugiesische Siedler eigenen Mannschaften. Zu den deutschsprachigen Klubs gehörten der Deutsche Turn- und Sportverein, der Sportklub Windhoek und die Ramblers. Auch der Vater von Harald Hecht engagierte sich als Fußballtrainer und nahm seinen Sohn zu Turnieren mit.
Hecht: „Ich weiß auch, dass wir 1978 bei einem Jugendturnier mit teilgenommen haben. Und da haben Privatschulen teilgenommen, die damals schon die ,Rassenschranken‘ abgebaut haben. Und die hatten zwei oder drei nichtweiße Spieler in der Mannschaft. Und dann gab es Vertreter der Regierungsschulen, die gesagt haben: Nein, wir dürfen nicht gegen Schwarze Fußball spielen. Und dann gab es einen Riesenaufruhr bei einem Turnier.“
Harald Hecht ist einer der prägenden Köpfe im Forum Deutschsprachiger Namibier.© Ronny Blaschke
Fußball für Versöhnung
In den 1980er-Jahren setzten sich auch deutschsprachige Namibier für einen Wandel ein. Sie glaubten, dass das Ende der Apartheid und die Öffnung für Investoren einen Wirtschaftsaufschwung auslösen könnte.
Als erster deutsch geprägter Fußballklub öffneten sich die Ramblers für Schwarze Spieler. Nach der Unabhängigkeit Namibias wollte sich Harald Hecht im Versöhnungsprozess einbringen. Dabei halft ihm der Fußball. Seit rund 30 Jahren ist er als Funktionär bei den Ramblers aktiv. Im Vereinsheim sind die Regale mit Pokalen zugestellt. Zwischen Tresen und Stammtisch hängen alte Wimpel.
Harald Hecht steuert seinen Geländewagen durch den Pioneerspark, im Südwesten von Windhoek. In dieser Gegend leben viele Weiße mit höheren Einkommen.
„Es ist unbestritten, dass wir zum Beispiel unser Grundstück im Pioneerspark 1981 zu Apartheidkonditionen bekommen haben, also zu günstigen Bedingungen“, sagt Hecht. „Bloß man darf nicht vergessen: Wir haben es in den letzten 40 Jahren auch ausgebaut. Wir haben einen zweiten Platz angelegt, wir haben ganz viele Investments gemacht.“
Stabilität seit der Apartheid
Lässt sich der unrechtmäßige Profit während der Apartheid mit dem Engagement im demokratischen Nachfolgestaat ausgleichen? Lässt sich das schlechte Gewissen aus der Vergangenheit durch vorbildliches Verhalten in der Gegenwart abtragen?
Im Sport ist es wie in der Wirtschaft oder in der Medienbranche: Oft sind Organisationen in Namibia wirtschaftlich stabil, die schon während der Apartheid zur Elite gehörten. Vereine, die von Weißen geführt werden, wie die Ramblers oder der Deutsche Turn- und Sportverein, verfügen über gepflegte Rasenplätze. Ihre Mitglieder und Sponsoren stammen eher aus der Mittelschicht.
Quoten für einen Wandel
Harald Hecht hat eine Steuerberatungsgesellschaft aufgebaut. Bei seinem Klub, den Ramblers, gibt es Mitgliedsrabatte und einen Fahrservice für Schwarze Spieler mit niedrigen Einkommen. Hecht hält auch Quoten für sinnvoll:
„Wenn wir einfach mal die südafrikanische Rugbynationalmannschaft sehen. Da gab es jahrelang die Quoten. Ich weiß, die Kritik war immer: Wenn wir jetzt vier, fünf Schwarze in unsere Mannschaft aufnehmen müssen, dann haben wir einen Qualitätsverlust. 2019 dann wurde Südafrika Rugbyweltmeister mit einem Schwarzen Kapitän, mit fünf oder sechs Schwarzen in der Mannschaft. Da war kein Leistungsverlust zu erkennen. Vielleicht muss man manchmal kurzfristig diesen Leistungsverlust absorbieren. Man muss Leuten auch eine Chance geben, dass sie auch Erfahrung bekommen.“
Aber reicht das? Mehr als 100 Jahre nach der deutschen Herrschaft und mehr als 30 Jahre nach Ende der südafrikanischen Besatzung wirkt der Kolonialismus nach. Der Gini-Index, der die soziale und ökonomische Ungleichheit von Staaten misst, weist Namibia als eines der Länder mit dem größten Gefälle weltweit auf.
Und deutlich wird das im Norden von Windhoek, in Katutura. Was so viel heißt wie: „Der Ort, an dem wir nicht leben wollen“. Mehr als die Hälfe der Kinder in Katutura leidet unter Mangelernährung. Viele ihrer Eltern sind HIV-positiv.
Diebstahl, Drogen und Gewaltverbrechen sind Themen, die kaum noch Empörung hervorrufen, sagt die Sozialarbeiterin Thuba Sibanda:
Dieses Viertel wurde während der Apartheid geschaffen. Die weiße Minderheit hat die Schwarze Bevölkerung nach Katutura gedrängt. Schwarze Menschen durften nur für die Arbeit in die Innenstadt fahren. Heute, nach der Apartheid, gibt es keinen Zwang mehr. Aber die Menschen aus Katutura müssen ihre Familien ernähren. Sie arbeiten weiter als Gärtner, Reinigungskräfte oder Sicherheitsleute für die Weißen. Und abends kommen sie zurück nach Katutura.
Sozialarbeiterin Thuba Sibanda
Thuba Sibanda ist Leiterin eines Jugendtreffs in Katutura.© Ronny Blaschke
Auf der Suche nach Vorbildern
Die Sportwissenschaftlerin Thuba Sibanda leitet in Katutura einen Jugendtreff. Am Eingang sind die Mauern mit optimistischen Botschaften bemalt. Neben dem Computerraum laufen Jungen um eine Tischtennisplatte herum. In der Küche werden Snacks vorbereitet.
Sibanda: „Die Kinder und Jugendlichen in Katutura haben kaum Vorbilder in ihrem Alltag. Für viele Jugendliche besteht der Alltag nur aus Problemen. Doch wir möchten ihnen Alternativen zeigen, auch mit Hilfe des Sports, damit sie eigene Stärken entdecken und entwickeln können.“
In Namibia ist Sport an ökonomische Verhältnisse geknüpft. Je teurer die Ausstattung, desto wohlhabender deren Mitglieder. In Hockey, Tennis oder Rugby sind überproportional viele weiße Menschen aktiv.
Auch der Radsport blieb Schwarzen Namibiern lange verschlossen. Davon zeugten die Bilder von „Desert Dash“, einem Extrem-Radrennen zwischen Windhoek und der Küstenstadt Swakopmund. Die Teilnehmenden: mehrheitlich weiß.
Thuba Sibanda wollte sich damit nicht abfinden. Sie vernetzte sich mit Sozialarbeitern und sprach bei Sponsoren vor.
Das Ergebnis lässt sich in Katutura neben dem Jugendtreff beobachten. Jugendliche rasen mit BMX-Rädern über einen holprigen Rundkurs.
„In den Schulen und Jugendeinrichtungen von Katutura konnten Schwarze Schüler nur zwischen vier Sportarten wählen: Fußball, Laufen, Netball und Boxen. Hockey zum Beispiel wurde nur in Privatschulen angeboten. Aber wir möchten den Jugendlichen zeigen, dass sie heutzutage jeden Raum und jeden Sport erobern können.“
Die meisten wollen Fußball spielen
Mehr als 120 Kinder und Jugendliche sind in der Begegnungsstätte von Thuba Sibanda registriert. Die allermeisten wollen Fußball spielen, aber sie können zwischen 13 Sportarten wählen. Regelmäßig fahren die Fußballer aus Katutura mit Minibussen in die wohlhabenden Viertel von Windhoek. Dann nehmen sie an Turnieren teil
„Wir möchten ihnen sagen, dass die Welt größer ist, als ihnen eingeredet wurde. Mit harter Arbeit und auch mit Stipendien können sie es in die Universitäten schaffen. Sie möchten Lehrer, Mediziner oder Ingenieure werden. Für sie muss es zwischen Katutura und dem Rest der Stadt keine Grenze geben.“
Anfang 2024 nahm die Nationalmannschaft Namibias an der Afrika-Meisterschaft teil. Dort besiegte sie in der Vorrunde den Favoriten Tunesien. Der Nationaltrainer Namibias ist Collin Benjamin, der seine Profilaufbahn vor allem in Deutschland verbracht hatte, insbesondere beim Hamburger SV.
Apropos Deutschland: Die Bundesrepublik leistet in Namibia so viel Entwicklungshilfe pro Kopf wie in kaum einem anderen Land. Und der Fußball ist dafür ein Symbol: Die Bundesregierung entsandte Trainer und Entwicklungshelfer nach Namibia. Und Profiklubs wie Werder Bremen und die TSG Hoffenheim waren für soziale Projekte vor Ort.
Heimspiele im Land des Besatzers
Und trotzdem: Das Verhältnis Namibias zur Bundesrepublik ist kompliziert. Erst 2015 rang sich die Bundesregierung dazu durch, von einem Völkermord an den Herero und Nama zu sprechen. Seither laufen schleppende Verhandlungen über Entschädigungen, genaue Formulierungen einer deutschen Entschuldigung und Projekte zwischen beiden Ländern.
Für Namibia ist die schwerwiegendste Konsequenz des Kolonialismus die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, was meist bedeutet: zwischen Schwarzen und Weißen. Die mehrheitlich Schwarze Fußballnationalmannschaft hat bis heute kein vorzeigbares Stadion. Sie muss ihre Heimspiele in Südafrika bestreiten, im Land der einstigen Besatzungsmacht.