Fußball in der Weimarer Republik

Von der Fabrik aufs Feld

Zwei Fußball-Mannschaften kämpfen am 25.1.1920 in Köln um den Bundes-Pokal-Sieg.
Zwei Fußball-Mannschaften kämpfen am 25.1.1920 in Köln um den Bundes-Pokal-Sieg. © imago stock&people
Stefan Osterhaus im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Tagsüber schufteten sie in Fabriken, danach gings zum Training. Für Fußballer in der Weimarer Republik war das Leben alles andere als glamourös. Doch schon damals gings ums Geschäft: Mancher Arbeiter bekam dank Fußball ein Extra-Gehalt.
Jörg Degenhardt: Fußballhistorisch zweiter Teil, die Weimarer Republik ist wieder im Gespräch, nicht zuletzt dank der Fernsehserie "Babylon Berlin", die ihre Handlung 1929 spielen lässt. Es war eine politisch aufgeladene Zeit und auch eine sportlich bewegte: erinnert sei an den Boxer Max Schmeling oder an die Sechstagerennen, aber eben auch der Fußball eroberte in jener Zeit immer mehr die Herzen der Menschen, der Import aus England, der dem Turnen in Deutschland als populärste Sportart langsam, aber sicher den Rang ablief. "Fußball in der Weimarer Republik" heißt ein Sachbuch, eine Analyse des Sporthistorikers Erik Eggers. Mein Kollege Stefan Osterhaus hat es gelesen, und er ist jetzt bei mir im Studio. Der Fußball auf dem Weg zum Massensport, nicht zuletzt auch durch den Arbeiterfußball. Ging es damals eigentlich auch schon ums Geschäft?

Fußball-Clubs tricksten den DFB aus

Stefan Osterhaus: Ja, ums Geschäft ging es auf jeden Fall. Man hat allerdings ums Geld lange gestritten. Der Deutsche Fußballbund hat ja lange auf den Amateurparagrafen beharrt. Man hat dann immer nach Möglichkeiten gesucht, diesen zu umgehen. Das war zum Beispiel Mitte der 20er-Jahre so, dass ein Spieler bei Bayern München seinerzeit – die Bayern gab es damals auch schon – sein Gehalt – normaler Arbeiter hatte damals ungefähr 200 Mark im Monat – dann doch erheblich aufstocken konnte um 150 Mark, also die Lebensbedingungen doch erheblich verbessern konnte.
Der Nürnberger Torhüter Götze hechtet nach einem Ball. Im Entscheidungsspiel um den Deutschen Fußballmeistertitel am 12.6.1927 in Berlin gewinnt der 1. FC Nürnberg vor 50.000 Zuschauern gegen Hertha BSC Berlin mit 2:0.
Der Nürnberger Torhüter Götze hechtet nach einem Ball. Im Entscheidungsspiel um den Deutschen Fußballmeistertitel am 12.6.1927 in Berlin gewinnt der 1. FC Nürnberg vor 50.000 Zuschauern gegen Hertha BSC Berlin mit 2:0.© dpa
Dem DFB war das ein Dorn im Auge. Man hat also versucht, immer wieder auf irgendwelchen verdeckten Wegen, den Fußballern irgendwelche kleine Zückerli zukommen zu lassen. Das konnten dann zum Beispiel auch mal Arbeitsverhältnisse sein, dass jemand eine Arbeitsstelle bekam. Darum ging es auch, aber das war halt eben nur ein Teil dieses Geschäftes. Letzten Endes können wir in der Weimarer Republik eigentlich alles erkennen, was den Fußball zum heutigen Massengeschäft gemacht hat. War auch schon damals eine teure Sache.
Eine Arbeiterin mit Lore in einem deutschen Berg in den 1920er Jahren. 
Ob Frau oder Mann, die Arbeiter der Weimarer Republik schufteten hart und verdienten wenig. Ein Extra-Gehalt dank Fußball kam deshalb gelegen.© dpa / picture-alliance
Degenhardt: Wie hat sich denn der Fußball finanziert in jener Zeit? Ich stelle mir das dann doch sehr unterschiedlich vor. Wir haben hier auf der einen Seite – wir haben es gehört – die Arbeitersportvereine, wir haben die konventionellen Vereine, und wir haben die bürgerlichen Vereine.
Osterhaus: Also es war aufwendig. Erik Eggers schreibt von ungefähr 2,4 Millionen Mark, die damals die organisierten Vereine für ihren Spielbetrieb aufbringen mussten, was damals eine Menge Geld war. Die Faktenlage, die Dokumentenlage ist damals dünn. Man hat sich aber hauptsächlich finanziert durch Eintrittskarten, und Eggers sagt, Eggers schreibt, dass im Jahr 1931, 32, da gibt es Belege, im Schnitt ungefähr 85 Pfennig für ein Stadionbesuch fällig wurden in Berlin, damals auch eine der Hochburgen des Fußballs. So hat man sich hauptsächlich finanziert.
Die Fans vom 1. FC Nürnberg freuen sich am 9.6.1924 über das Tor zum 2:0 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Hamburger SV.
Die Fans vom 1. FC Nürnberg freuen sich am 9.6.1924 über das Tor zum 2:0 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Hamburger SV.© dpa / picture-alliance / Dr. Harro Schweizer
Und es gab auch Werbeeinnahmen, die gab es zum Teil auch schon. Also Brauereien haben den Fußball damals für sich entdeckt, halt eben weil Vereinsheime ja auch in privater Initiative entstanden sind und diese von Brauereien gesponsert wurden. Also die dritte Halbzeit war damals schon aus sozialer Sicht eine sehr wichtige Angelegenheit, und da hat man natürlich auch Kundschaft gehabt.
Degenhardt: Ich habe ein bisschen in dem Buch geblättert natürlich, jetzt auch im Vorgespräch, und mir ist da ein Bild aufgefallen mit einer Bildunterschrift, ich zitiere mal: "Werbegag im Halbfinale um die DFB-Meisterschaften 1926 zwischen der Sportvereinigung Fürth und Holstein-Kiel. Die Fürther befreien den Spielball, der vom Flugzeug abgeworfen wurde, aus einem Netz." Das war 1926, ist eine ungeheure Modernität, wenn man sich das vor Augen hält, also wie es damals um den Flugverkehr bestellt war in Deutschland. Insofern war das schon ein ungeheures Ding. Der Kommerz fing damals schon an und trieb damals auch schon mitunter seltene Blüten.

Eine Zigarettenfirma warb mit einem Fußballer

Osterhaus: Auf jeden Fall. Also ich meine, es gibt zum Beispiel auch noch eine ganz lustige Episode: Heiner Stuhlfauth, Torhüter des 1. FC Nürnberg, einer der prägenden Clubs der damaligen Zeit, der für Kaffee Hag geworben. Damals waren Bildrechte ja auch schon wichtig. Tull Harder, Stürmer aus Hamburg, hat zum Beispiel mal geklagt gegen eine Zigarettenfirma, die von seinen Fotos Gebrauch gemacht hat im Zusammenhang mit der Zigarettenwerbung. Das Gericht war davon aber längst nicht beeindruckt, hat gesagt, der ist eine öffentliche Figur, Tull Harder, das muss er hinnehmen. Heute würde so ein Urteil natürlich anders ausfallen, aber wenn man mal bedenkt, was Fußballer heute für Klimmzüge unternehmen, um ihre Bildrechte irgendwohin steuergünstig zu transferieren – man denke nur an Cristiano Ronaldo, da sehen wir auch, dass sich dieses Problem aus juristischer Perspektive damals auch schon gestellt hat.
Degenhardt: Herr Osterhaus, soviel zum Geschäftlichen zunächst. Wie und wo wurde damals eigentlich Fußball gespielt? Wie wurde zum Beispiel ein deutscher Meister ermittelt?
Osterhaus: Das war ein kompliziertes Verfahren. Die waren unterteilt in verschiedene Ligen. Es gab Süd-, Mitte-, West-Berlin, dann kam später noch dazu Nord-, Südost und Nordost. Der DFB hat damals gesagt, wir machen das zunächst mal im Ligabetrieb und dann in einer KO-Runde. Man hat viel Wert darauf gelegt, dass zunächst auf neutralem Platz gespielt wurde. Das war allerdings nicht immer durchzuhalten. Das war dann zu auffällig. Deswegen hat man halt eben die Orte immer nah an einem der Vereine gewählt. Letzten Endes hat man eine klassische KO-Runde gespielt. Es gibt auch eine ganz besondere Begebenheit: damals 1922 ist kein deutscher Meister ermittelt worden, weil in den Spielen zwischen HSV und Nürnberg sind beide nach Verlängerung unentschieden ausgegangen, 2:2 und 1:1. Also damals hätte man sich vielleicht ein Elfmeterschießen gewünscht.
Der uruguayische Fußball-Nationalspieler Hector Castro (2. v. r.) erzielt das vierte Tor für seine Mannschaft während des Endspiels Uruguay-Argentinien (4:2) bei der Fußball-Weltmeisterschaft am 30.07.1930 in Montevideo. Argentiniens Torhüter Juan Botasso (l) springt vergeblich durch die Luft.
Der uruguayische Fußball-Nationalspieler Hector Castro (2. v. r.) erzielt das vierte Tor für seine Mannschaft während des Endspiels Uruguay-Argentinien (4:2) bei der Fußball-WM 1930 in Montevideo. © dpa/picture alliance/Empics
Degenhardt: 1930 gab es die erste Fußballweltmeisterschaft in Uruguay in Südamerika. Hätte es seinerzeit schon eine FIFA-Rangliste gegeben, wo hätten die Deutschen gestanden?
Osterhaus: Die Deutschen waren Mitte der 20er-Jahre, heißt es, ein absolut zweitklassiges Team, einige sagen polemisch sogar drittklassig. Ich glaube, so weit kann man gar nicht gehen, da sich noch gar nicht so viele Länder am Fußball beteiligt hatten. 1930 waren die Deutschen nicht dabei, weil sie die Kosten gescheut haben. Nach Uruguay musste man damals übersetzen mit dem Schiff. Da sehen wir halt eben auch noch, dass der DFB noch finanzierungsbedürftig war.

Die deutsche Nationalmannschaft übernahm das englische System

Heute würde das auch nicht mehr vorkommen in diesem Maße. Allerdings hat man Ende der 20er den Trainer Otto Nerz beschäftigt. Otto Nerz ist ausdrücklich geholt worden mit der Maßgabe, dem deutschen Fußball auf Nationalmannschaftsebene anzuschließen an internationales Niveau. Er hat dazu halt eben auch das englische System adaptiert, und dann kamen auch Fortschritte mit der Zeit. 1930 wären sie noch nicht in dem Maße konkurrenzfähig gewesen. 1928 haben die Deutschen bei den Olympischen Spielen teilgenommen, haben dann gegen den späteren Olympiasieger und dann auch Weltmeister Uruguay mit 1:4 verloren. Also da kann man schon irgendwas absehen, dass da noch eine gewisse Distanz war, aber sie war nicht mehr so groß, dass man vom absoluten Debakel sprechen kann.
Degenhardt: Der Autor Erik Eggers schreibt, Zitat: Im deutschen Fußball spiegele sich sehr lebendig die ökonomische, mediale und politische Geschichte der Deutschen und besonders spiegele er diese in der Zeit der Weimarer Republik. Welche Belege führt er dafür an oder welchen Beleg halten Sie für den stärksten?
Das undatierte Foto zeigt einen Torwart beim Wegfausten eines Eckballs während eines Fußballspiels in den zwanziger Jahren.
Das undatierte Foto zeigt einen Torwart während eines Fußballspiels in den zwanziger Jahren.© picture alliance / dpa / Ullstein Bild
Osterhaus: Ich denke, da kann man eigentlich nur mal ins Inhaltsverzeichnis schauen. Das kommt uns dann wirklich merkwürdig aktuell vor. Also zum Beispiel – gut, im Fußball vor 1918, der braucht uns jetzt hier nicht zwingend zu interessieren –, er setzt sich mit der Rolle der Wissenschaft auseinander, mit der Rolle der Sportwissenschaft, die damals etwas kurios war, aber sie wurde halt eben damals auch schon exzessiv betrieben seinerzeit. Man hat erkannt, dass da eine Menge Luft war. Er beschäftigt sich mit dem Schiedsrichterwesen und natürlich Politik halt eben, also Auslandsverbindungen, der Doppelpass, Fußball und Außenpolitik, Exkurs: vornehmstes und fairstes Länderspiel, Diplomaten im Trainingsanzug.
Degenhardt: Das kommt uns bekannt vor.
Osterhaus: Das kommt uns dann eben aus späteren Zeiten, aus der DDR, bekannt vor. Erstes Länderspiel der Deutschen gegen die Schweiz. Also wir finden hier eine ganze Reihe von Belegen, und Eggers hat keine Mühe, das halt eben zu untermauern.
Das Titelbild der Zeitung "Das Illustrierte Blatt" vom 27.03.1930 zeigt die Fußballerin Lotte Specht. 
Lotte Specht war eine Frankfurter Metzgerstochter und eine der ersten Fußballerinnen. © dpa
Degenhardt: Fußball ist bekanntlich – und das sehen wir auch, wenn wir das Inhaltsverzeichnis aufschlagen des Buches, in dem es auch um Frauenfußball schon geht, um jüdischen Fußball –, Fußball ist mehr als nur ein Spiel. Das heißt, das Buch ist auch etwas für Menschen, die sich ansonsten nicht so für Tore, Blutgrätschen und tödliche Pässe interessieren?
Osterhaus: Ja, ganz sicher. Also es ist eigentlich was für jeden, der sich für jüngere deutsche Geschichte interessiert. Hinzu kommt, das ist wirklich sehr liebevoll gemacht, das hat sehr viele Fotos, es hat ein ansprechendes Layout. Also man kann auch einfach nur mal so darin schmökern, aber man wird halt eben auch fundiert informiert.
Degenhardt: Und es ist im Eigenverlag erschienen.
Osterhaus: Es ist im Eigenverlag erschienen tatsächlich.
Degenhardt: "Fußball in der Weimarer Republik" von Erik Eggers geschrieben, zusammengestellt, ein Gewinn, nicht nur für Fußballfans. Im Studio war mein Kollege Stefan Osterhaus. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Osterhaus: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wanderausstellung über Fußball in der Weimarer Republik
In der Weimarer Republik war die deutsche Fußball-Landschaft bunt und vielfältig. Zwischen 1918 und 1933 gab es neben dem bürgerlichen DFB auch konfessionelle Verbände: die katholische Deutsche Jugendkraft oder die protestantischen Eichenkreuzler, jüdische Sportorganisationen, und die sozialistischen und kommunistischen Arbeiterfußballer, die sich zunächst gemeinsam im ATSB, dem Arbeiter-Turn-und Sportbund, organisierten. Ende der 20er Jahre kam es nach politischen Differenzen zur Spaltung, und die Kommunisten gründeten ihren eigenen Verband, die Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit.

Eine Wanderausstellung gibt jetzt einen umfangreichen Einblick in die kurze, aber spannende Geschichte der Arbeiterfußballer. Zum Start wird sie eine Woche lang im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zu sehen sein. Eduard Hoffmann hat sie sich für uns schon mal angeschaut.

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