Fußball in der Wüste
Eine trostlose Siedlung in der chilenischen Atacama-Wüste, die einzige Hoffnung der Menschen hier ist der Fußball - bis plötzlich ein geheimnisvoller Fremder in dem Ort auftaucht. Daraus ergibt sich bei Hernán Rivera Letelier ein Sog, den man nur als hinreißend bezeichnen kann.
Wenn von Fußball die Rede ist, schlägt in der Regel die Stunde der Superlative. Ob es um Spielergehälter oder Schuldenstände, TV-Übertragungsrechte oder Zuschauerzahlen geht, an den Millionen führt dann kein Weg vorbei. Und wenn erst Transfersummen für die großen Stars des Geschäfts in Rede stehen, wird das alles beinahe unermess(i)lich. Und das Herz des wahren Fußballfans hat Mühe, zwischen gigantischen Stadien und Summen, zwischen seelenlosen Spielerverkäufen und aufgemotztem Marketing noch den Kern, jene ursprüngliche Leidenschaft des Spiels, zu entdecken. Gibt es sie noch? Offensichtlich ja, denn vollbesetzte Stadien mit vor Glück oder Trauer weinenden oder ausrastenden Fans scheinen zu beweisen, dass alle Kommerzialisierung diesem ursprünglichen Gefühl nicht wirklich etwas anhaben konnte und kann.
Was aber wäre, wenn man all dieses Brimborium einfach entfernen könnte, den Fußball als Entfesselung von Leidenschaften ganz ohne Geld, als pures Spiel beschreiben könnte? Man müsste wohl in eine entlegene Region gehen, vielleicht in die Atacama-Wüste in Chile, wie das Hernán Rivera Letelier getan hat. An Trostlosigkeit ist die Szenerie kaum zu überbieten: mehr Siedlung als wirklicher Ort, verdankt dieses Coya Sur seine Existenz in der Einöde einzig der Salpetermine, die in der Nähe betrieben wird und deren Staub alles ringsum bedeckt. Aber alles wird noch schlimmer kommen, denn die Mine ist so gut wie ausgebeutet, ihre Schließung ist nur eine Frage der Zeit, die Bewohner dieses Wüstenfleckens stehen dann vor einer ganz und gar ungewissen und ortlosen Existenz, denn mit der Mine wird auch die Siedlung sterben.
Aber noch ist es nicht ganz soweit, und noch gibt es den Fußball. Das traditionelle Duell gegen die Auswahl des größeren Nachbarorts ist noch im Gange, das Hinspiel ist zwar verloren, aber alle Hoffnungen richten sich auf das Rückspiel. Und plötzlich taucht, wie vom Himmel gesandt, in der Siedlung ein Mann mit seiner Begleiterin auf, der sich, übers Land ziehend, mit dem Vorführen von Kunststückchen mit einem Fußball seinen Lebensunterhalt verdient. Ein Traumkicker, ein Virtuose am Ball, der Retter. Man muss diesen Zauberer jetzt nur noch dazu überreden, beim Rückspiel die Mannschaft von Coya Sur zu verstärken, schon wäre "das letzte Fußballspiel vor dem Ende der Welt" so gut wie gewonnen.
Es funktioniert, aber zugleich funktioniert es nicht oder eben ganz anders als gedacht. Der Ausgang dieser Geschichte ist genau so, wie ihre eigentliche Substanz. Es ist das Erzählen einer Welt, die tieftraurig ist in ihrer Misere, in all ihrer Perspektivlosigkeit. Die bewohnt wird von schrägen Gestalten, die wie Karikaturen mit schnellen, dabei liebevollen Strichen überzeichnet sind. Diese Welt ist eigentlich der größte anzunehmende Horror, aber sie wird beseelt von menschlicher Wärme und Leidenschaft, von persönlichen Beziehungen und einem gemeinschaftlich ertragenen Schicksal, von einer Komik, die ihre tragischen Elemente nicht vertuscht, sondern eher ausstellt und dabei noch gewinnt.
Erzählerisch basiert diese Wirkung auf einem verhältnismäßig simplen Kniff: Binnen- und Außenperspektive so geschickt miteinander zu verschränken, dass sich die intime Kenntnis des Geschehens, gleichsam ein Miterleben, mit der Distanz eines Fremden, eines Außenstehenden (oder sich Erinnernden) gegenseitig verstärken. Das erzählende kollektive "Wir" dieses Romans wird nie definiert, es scheint ein Bewohner des Ortes zu sein, jedoch wirkt es mit seiner geisthaften Anwesenheit bei praktisch allem wie ein körperloser Nebel, der beliebig die Szenen seiner Zeugenschaft wählt. Daraus ergibt sich ein Sog, den man nicht anders als hinreißend bezeichnen kann.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Hernán Rivera Letelier: Der Traumkicker
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Insel Verlag, Berlin 2012
207 Seiten, 17,95 Euro
Was aber wäre, wenn man all dieses Brimborium einfach entfernen könnte, den Fußball als Entfesselung von Leidenschaften ganz ohne Geld, als pures Spiel beschreiben könnte? Man müsste wohl in eine entlegene Region gehen, vielleicht in die Atacama-Wüste in Chile, wie das Hernán Rivera Letelier getan hat. An Trostlosigkeit ist die Szenerie kaum zu überbieten: mehr Siedlung als wirklicher Ort, verdankt dieses Coya Sur seine Existenz in der Einöde einzig der Salpetermine, die in der Nähe betrieben wird und deren Staub alles ringsum bedeckt. Aber alles wird noch schlimmer kommen, denn die Mine ist so gut wie ausgebeutet, ihre Schließung ist nur eine Frage der Zeit, die Bewohner dieses Wüstenfleckens stehen dann vor einer ganz und gar ungewissen und ortlosen Existenz, denn mit der Mine wird auch die Siedlung sterben.
Aber noch ist es nicht ganz soweit, und noch gibt es den Fußball. Das traditionelle Duell gegen die Auswahl des größeren Nachbarorts ist noch im Gange, das Hinspiel ist zwar verloren, aber alle Hoffnungen richten sich auf das Rückspiel. Und plötzlich taucht, wie vom Himmel gesandt, in der Siedlung ein Mann mit seiner Begleiterin auf, der sich, übers Land ziehend, mit dem Vorführen von Kunststückchen mit einem Fußball seinen Lebensunterhalt verdient. Ein Traumkicker, ein Virtuose am Ball, der Retter. Man muss diesen Zauberer jetzt nur noch dazu überreden, beim Rückspiel die Mannschaft von Coya Sur zu verstärken, schon wäre "das letzte Fußballspiel vor dem Ende der Welt" so gut wie gewonnen.
Es funktioniert, aber zugleich funktioniert es nicht oder eben ganz anders als gedacht. Der Ausgang dieser Geschichte ist genau so, wie ihre eigentliche Substanz. Es ist das Erzählen einer Welt, die tieftraurig ist in ihrer Misere, in all ihrer Perspektivlosigkeit. Die bewohnt wird von schrägen Gestalten, die wie Karikaturen mit schnellen, dabei liebevollen Strichen überzeichnet sind. Diese Welt ist eigentlich der größte anzunehmende Horror, aber sie wird beseelt von menschlicher Wärme und Leidenschaft, von persönlichen Beziehungen und einem gemeinschaftlich ertragenen Schicksal, von einer Komik, die ihre tragischen Elemente nicht vertuscht, sondern eher ausstellt und dabei noch gewinnt.
Erzählerisch basiert diese Wirkung auf einem verhältnismäßig simplen Kniff: Binnen- und Außenperspektive so geschickt miteinander zu verschränken, dass sich die intime Kenntnis des Geschehens, gleichsam ein Miterleben, mit der Distanz eines Fremden, eines Außenstehenden (oder sich Erinnernden) gegenseitig verstärken. Das erzählende kollektive "Wir" dieses Romans wird nie definiert, es scheint ein Bewohner des Ortes zu sein, jedoch wirkt es mit seiner geisthaften Anwesenheit bei praktisch allem wie ein körperloser Nebel, der beliebig die Szenen seiner Zeugenschaft wählt. Daraus ergibt sich ein Sog, den man nicht anders als hinreißend bezeichnen kann.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Hernán Rivera Letelier: Der Traumkicker
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Insel Verlag, Berlin 2012
207 Seiten, 17,95 Euro