Fußball im Osten
Feinste Ballonseide in türkis-rosa zur Feier des Tages: Hansa Rostocks Gernot Alms spielt nach dem Gewinn des letzten DDR-Meistertitels Luftgitarre für die Fans. © imago / Camera 4 / imago sportfotodienst
Der lange Weg ins vereinte Fußballdeutschland
06:49 Minuten
In der Bundesliga dominieren die westdeutschen Vereine, Traditionsklubs aus der DDR-Oberliga sind in unteren Spielklassen gelandet. Warum der ostdeutsche Fußball seit der Wende so kämpfen muss – und dabei eine von Randale geprägte Fankultur entstand.
11. Februar 2019, 2. Bundesliga, Dynamo Dresden zu Gast beim HSV. „Ost-Ost-Ostdeutschland“, schallt es rhythmisch und stimmgewaltig durch das Stadion. 30 Jahre nach dem Mauerfall. Da spiegelten sich Stolz und Provokation gleichermaßen wider. Meint Alexander Mennicke, Jahrgang 1986. Er schreibt gerade seine Doktorarbeit über „Ostdeutsche Identitäten und das Vermächtnis der DDR in deutschen Fußballstadien“.
„Wenn ich jetzt als Zehnjähriger oder Zwölfjähriger in den K-Block gehe bei Dynamo Dresden und die ganze Zeit höre, wie geil Ostdeutschland ist, und dass Wessis scheiße sind – oder bei Hansa Rostock. Und im besten Fall ist noch jemand, ein Elternteil oder beide, arbeitslos zu Hause und regt sich auch darüber auf – naja, dann wächst man halt so auf. So funktioniert Sozialisation.“
Mennicke spricht von einem Familienfangedächtnis, speziell in Rostock, Dresden und Magdeburg – nicht zuletzt geht es dabei auch um Heimat.
Frust über Fußball-Einheit
Rückblick. Wie war das damals Anfang der 90er-Jahre im gerade vereinten Deutschland, als die Verbandsfunktionäre Hermann Neuberger für den Westen und Hans-Georg Moldenhauer für den Osten aufeinandertrafen? Bei Buchautor Frank Willmann klingt auch Jahrzehnte später noch eine gehörige Portion Frust durch.
„Auf der einen Seite Neuberger und viele andere gestählte DFB-Funktionäre, einige noch mit wunderbarer NSDAP-Vergangenheit“, beschreibt er die die westdeutschen Akteure. Diese hätten lange von den Pfründen des DFB gelebt. „Wenn man so ein Vereinsfürst beim DFB ist, dann hat man schon ganz schön Spaß im Leben.“ Auf der anderen Seite standen „die Ossis, die man nicht ernstgenommen hat. Die ja sowieso alle Stasi waren oder SED oder Dachdecker.“
Nur zwei Ost-Bundesligisten
Mit der Saison 90/91 durften der letzte DDR-Meister, Hansa Rostock, und der Vize, Dynamo Dresden, in der Bundesliga mitspielen, die zu diesem Zwecke aufgestockt wurde. Sechs Ostvereine bekamen eine Chance in der 2. Bundesliga. So auch der FC Carl Zeiss Jena.
Der ehemalige Europacup-Finalist, seinerzeit trainiert von Hans Meyer, sucht heute Anschluss an bessere Tage; jetzt in der Regionalliga Nordost. Treuer Anhänger seit Ewigkeiten: Christoph Dieckmann, Autor diverser Werke zum Leben in der DDR. Die deutsche Sporteinheit habe geklappt, nur nicht im Fußball, meint er. „Jens Weißflog war hochwillkommen. Und unsere Biathleten und zum Anfang auch Katrin Krabbe, bis sie die Wangenakne bekam und als Doperin aufflog und so weiter. Fußball bildet eben ganz anders Wirtschaft ab.“
Und da brachten die neu dazugekommen Bundesländer ein marodes Erbe mit, meint Dieckmann: „Der Fußball ist doch eher ein Spiegel der wirtschaftlichen Einheit oder Zwietracht.“
Bis 1993 wechselten 64 Oberligaspieler in Vereine der alten Bundesrepublik. Andreas Thom war der erste Prominente. Hat die Bundesliga den Ostfußball ausbluten lassen? „Wenn man schaut, wie die Bundesliga-Klubs agiert haben, nämlich den neuen Spielermarkt abzugrasen, alles aufzukaufen, was die Bundesliga-Klubs weiterbringt, kann man keine andere Meinung haben als die, dass der DDR-Fußball oder der ostdeutsche Fußball, nennt es wie ihr wollt, dass der da vernichtet wurde“, sagt Autor Frank Willmann.
Die Wirkung sei heute noch zu spüren, dass es „abgesehen von Union, RB lass ich jetzt mal außen vor, Hertha auch, dass es da keinen Ostklub gibt, der eine Rolle spielt in der Bundesliga.“
Wilder Osten, überforderte Polizei
Für die ostdeutschen Vereine war es schwer, einen Fuß in die gesamtdeutsche Tür zu bekommen. Der Vereinssport musste völlig neu organisiert werden. Es fehlte an Wirtschaftskraft, an Leuten, die wissen, wie es geht.
Dazu kamen äußere Herausforderungen wie das Bosman-Urteil. Durch den Wegfall von Ablösesummen für Spieler nach Vertragsende verloren die Vereine zusätzlich eine wichtige Finanzquelle. Der Transformationsprozess in das neue System bedeutete auch, so Mennicke, das Entstehen des sogenannten wilden Ostens mit einer überforderten Polizei, mit Fanrandale, mit Rechtsextremen. Der entstehende Hooliganismus verschaffte zumindest Aufmerksamkeit.
Fankultur im Osten
„Es gab 2005, wo tatsächlich der Höhepunkt der ostdeutschen Ultras, nach Selbstdefinition war, in Ostdeutschland 21,9 Prozent Arbeitslosigkeit, während es im Westen nur 11 Prozent gab“, sagt Mennicke. „Es ist ein massiver wirtschaftlicher Rückstand gewesen, eine massive Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Aber im Stadion ist man eben aufgetreten ´Wir sind Ostdeutsche, wir sind stolz drauf´. Und deswegen ist man auch in den Westen gefahren, eben mit diesem Spruch: ´Wir kommen aus dem Osten und leben auf eure Kosten.´“
2024, im Jahr der Fußballeuropameisterschaft, liegt der Fall der Mauer 35 Jahre zurück. Und wo steht dann der ostdeutsche Fußball? „Es wird sich nichts verändert haben“, glaubt Frank Willmann.
„Ich nehme an, dass die westdeutsche Fußballmannschaft wieder erstarken wird. Weil es eine rein westdeutsche Nationalmannschaft ist. Leider“, prophezeit Christoph Dieckmann.
„Wahrscheinlich wird sich in den nächsten 10 Jahren nichts ändern“, sagt Alexander Mennicke: „Ich muss nur in die Regionalliga Nordost gucken, wo Meister nicht aufsteigen, wo es nicht die gleichen Bedingungen gibt, wo eben auch Strukturen so sehr gefestigt sind. Das betrifft nun mal alle ostdeutschen Traditionsvereine. Und so lange da nicht versucht wird gegenzusteuern, wird es eben auch nur bei Leuchttürmen wie Union bleiben.“