Die Trennung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten
08:40 Minuten
Das Verhältnis von Sport und Politik wird gerade neu verhandelt. Das zeige die Debatte um Manuel Neuers Regenbogen-Armbinde und die Beleuchtung der Münchner Allianz-Arena, findet der Sportwissenschaftler Jürgen Mittag.
Bei den großen Regeln des Fußballgeschäfts verhalten sich die Verbände bisweilen kleinlich. Das hat man soeben bei der Fußball-Europameisterschaft gesehen, als die UEFA die Spieler ermahnte, bei Pressekonferenzen die Flaschen der Sponsoren nicht zu verrücken.
Ebenso spannungsgeladen ist seit jeher das Verhältnis von Fußball und Politik: Weil Manuel Neuer als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft eine Regenbogenarmbinde getragen hat, prüfte die UEFA, ob das eine politische Aussage sei.
Sie hat zwar schnell entschieden, dass Neuer das dürfe, weil die Armbinde für eine gute Sache stehe. Aber die Frage, wie viel Politik auf dem Feld heute in Ordnung geht, wird seitdem wieder diskutiert.
Das Regelwerk der UEFA
Die UEFA regelt diese Frage ansatzweise in Artikel 16 ihrer sogenannten "Rechtspflegeordnung". Darin heißt es, dass unangemessenes Verhalten untersagt ist. Darunter fallen Botschaften "politischen, ideologischen, religiösen oder beleidigenden Inhalts", die "durch Geste, Bild, Wort oder andere Mittel" geäußert werden.
Nicht nur Manuel Neuers Binde sorgt jetzt für Diskussionen: Die Stadt München will am Mittwoch die Allianz-Arena in Regenbogenfarben erscheinen lassen, als Signal an Ungarns Premierminister Viktor Orbán. Vergangene Woche hat das ungarische Parlament ein homophobes und transfeindliches Gesetz gebilligt.
Für diesen Beleuchtungsplan hat Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter jetzt die UEFA und den Deutschen Fußballbund um Unterstützung gebeten.
"In dieser Intensität hatten wir das noch nicht"
Wenn es nach dem ehemaligen deutschen Fußballprofi Jimmy Hartwig ginge, der als schwarzer Spieler in seiner Karriere selbst von Rassismus betroffen war, müsste die deutsche Mannschaft noch mehr gegen Ausgrenzung tun. Sie solle es der britischen Mannschaft gleichtun, die vor jedem Spiel als Zeichen gegen Rassismus niederknie, sagte er im ZDF.
"Das wäre doch von der Nationalmannschaft ein Statement – runterzugehen. Nicht ein Plakat raushalten ‚Wir sind gegen Rassismus’, sondern hinknien und sagen ,Schaut her’."
Derzeit stünden sportpolitische Fragen weit oben auf der Agenda, sagt Jürgen Mittag, Professor für Sport und Politik an der Deutschen Sporthochschule Köln: "In dieser Form und in dieser Intensität hatten wir das bis jetzt nicht".
Wird der Sport zweckentfremdet?
Auf der einen Seite seien bestimmte politische Angelegenheiten nicht vom Sport zu trennen. "Auf der anderen Seite erleben wir, dass der Sport sehr stark in Anspruch genommen wird", und zwar auch für Dinge, die weit über den Sport hinausgehen würden, sagt Mittag. Es bestehe die Gefahr, dass der Sport zur politischen Bühne und somit zweckentfremdet werde.
Der Sport werde jedoch schon lange für politische Interessen in Anspruch genommen. Je öffentlicher und populärer der Fußball sei, desto politischer werde er auch: "Das lässt sich nicht voneinander trennen", sagt Mittag.
"Athleten werden immer mündiger"
Bei den internationalen Sportorganisationen habe man in den vergangenen Jahren gemerkt, dass die harte Trennung zwischen Sport und Politik nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. Man habe sich die Probleme auch ins eigene Haus geholt, vor allem durch die Vergabe von Sportgroßereignissen in undemokratische Länder.
"Gleichzeitig werden Athleten immer mündiger – und in dieser Gemengelage befinden wir uns gegenwärtig". Jetzt würden die Verhältnisse "neu ausgehandelt und verhandelt". Allen Ansprüchen und Anforderungen zu entsprechen, sei dabei wahrscheinlich nicht möglich, sagt Mittag.
(sed)