Geld stinkt nicht - oder doch?
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Mehr als 1.400 Arbeiter aus Nepal sollen seit 2009 in Katar ums Leben gekommen sein. Der FC Bayern München hat trotzdem keine Probleme damit, sich vom Staatsunternehmen Qatar Airways sponsern zu lassen. Manche Fans wollen da nicht mehr mitmachen.
„Ich bin tatsächlich überfragt, wie sie das Ding ins Stadion bekommen haben“, sagt Alexander Salzweger. Er ist Bayern-Fan mit Dauerkarte in der Südkurve – er ist vieles Kurioses an Fankultur gewöhnt. Aber dieses pikante Banner, das Anhänger Anfang November in der Allianz-Arena in München hissen, ist mindestens zehn Meter hoch – und bringt selbst ihn zum Staunen.
Zu sehen sind die Vereinsbosse Oliver Kahn und Herbert Hainer, wie sie blutige Wäsche mit der Aufschrift Qatar Airways weißwaschen.
„Ich gehe davon aus, dass unser Präsidium jetzt nicht so davon begeistert war, aber nachdem was wir sonst so an Rückmeldungen bekommen haben, quer durch Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch aus Ultra-Szenen, gab es schon die Rückmeldung: Ja, das trifft das Thema.“
Alexander Salzweger ist Pressesprecher eines wichtigen Fan-Verbands namens Club Nr. 12. Er hat einen gewissen Überblick über die rot-weiße Fanszene. Und das Banner ist nur der Höhepunkt einer heiß geführten Diskussion. Soll sich der FC Bayern von einer Fluglinie sponsern lassen, die dem arabischen Emirat Katar gehört, das laut Nichtregierungsorganisationen die Menschenrechte nicht achtet?
Seit 2016 bekommt der Rekordmeister jedes Jahr mehrere Millionen Euro aus Katar, über die genaue Summe schweigt der Verein. Der Jurist Michael Ott möchte das ändern. „Die Forderung ist darauf gerichtet, das Sponsoring durch Katar beim FC Bayern zu beenden.“
„So kann es nicht weitergehen“
Der 28-Jährige aus Mainz ist seit 2007 Mitglied seines Lieblingsvereins FC Bayern. In der Fanszene war der zierliche Rechtsreferendar, der das Videointerview im gediegenen Nadelstreifenhemd bestreitet, bisher nicht bekannt. Michael Ott will die Mitglieder darüber abstimmen lassen, ob der Verein weiterhin seine Millionen aus dem Wüstenstaat beziehen soll oder nicht. Dafür will er bei der Vereinshauptversammlung am kommenden Mittwoch einen Antrag stellen.
„Selbst tätig geworden bin ich lange nicht. Habe dann aber irgendwann gedacht: So kann es nicht weitergehen. Der Punkt, an dem das Fass für mich zum Überlaufen gekommen ist, das war, als Anfang 2020 ein Fanclub eine Podiumsdiskussion veranstaltet hat zu dem Thema Katar mit großem Engagement. Die haben sogar Gastarbeiter aus Katar eingeladen und auch den FC Bayern. Und der FC Bayern kommt nicht, wenn seine eigenen engagierten Fans ihn da einladen …“
An dem Abend im Januar 2020 sitzen zwei ehemalige nepalesische Gastarbeiter von der Arbeiterorganisation Shramik Sanjal im Eine-Welt-Haus in München auf dem Podium. Aus Angst vor Repressionen durch Katar wollen sie anonym bleiben.
„Die Situation der migrantischen Arbeiter ist wirklich furchtbar, ihre gesundheitliche Situation ist schlecht, sie bekommen unhygienisches Essen – und oft keinen Lohn.“
Mehr als 1400 tote Arbeiter seit 2009
So der Chef der kleinen Organisation, der nach eigenen Angaben regelmäßig erlebt, wie Gastarbeiter keinen Lohn bekommen – und teilweise mit ausgelaufenen Arbeitsvisa in ihren Camps festgehalten werden. Shramik Sanjal finanziert auch die Überführungen der vielen Toten nach Nepal. 111 Todesfälle beklagte die Organisation allein 2019. Nach Angaben der nepalesischen Regierung sollen seit 2009 allein 1425 Arbeiter aus Nepal in Katar gestorben sein. Der Menschenrechtsaktivist Nicholas Mc Geehan ist den Todesursachen für die englische Zeitung The Guardian nachgegangen.
„Katar ist im Prinzip eine toxische Sauna – und da arbeiten sie zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Es gibt eine massive Anzahl unerklärter Tote. Teilweise lassen sie sich aber wissenschaftlich damit erklären, dass die Hitze dort tötet.“
Die Infoveranstaltung war vor eineinhalb Jahren, der FC Bayern nahm auf dem Podium nur symbolisch in Form eines Trikots teil, das enttäuschte Anhänger:innen über eine Stuhllehne gehängt hatten. Inzwischen sei der Kontakt zu der Arbeiterorganisation abgebrochen, berichten Fans. Die Nepalesen hätten wegen der Veranstaltung Schwierigkeiten mit der katarischen Justiz bekommen, heißt es.
Ein aktueller Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bestätigt, dass sich die Situation der Arbeiter nicht gebessert habe, wie 2018 von Katar versprochen. Immer wieder würden Arbeiter um ihren Lohn geprellt. Die Chefs blieben straffrei, wenn sie gegen Arbeitsgesetze verstießen, Todesfälle würden weiterhin nur unzureichend untersucht – und damit blieben auch die wichtigen Entschädigungszahlungen für die Familien zu Hause in Nepal meist aus.
"Wir haben gutes Geld bekommen"
Was sagt der FC Bayern dazu? – Man stehe im Dialog mit Katar wegen der Menschenrechte, hört man immer wieder aus dem Verein, wie man das genau anstellt, bleibt unklar. Ansonsten scheint man in der Chefetage die Sache pragmatisch zu sehen. So sagte Karl-Heinz Rummenigge, der ehemalige Vereinspräsident, in dem WDR-Podcast „Einfach Fußball“ vor zwei Wochen.
„Ich war da auch – wenn ich das mal so sagen darf – nie ein Pharisäer. Wir haben gutes Geld beim FC Bayern München aus dem Vertrag bekommen. Und dieses Geld ist aus einer gewissen Notwendigkeit heraus auch wichtig, um die Spieler zu bezahlen, damit man ganz einfach eine gewisse Qualität auf dem Platz hat.“
So der Ex-Präsident. Der Verein selbst hüllt sich in Schweigen zum Thema. Auch die Frage, wie die Millionen aus Katar mit dem neuen Leitbild der FC Bayern Aktiengesellschaft zusammenpassen, das laut Vorstandschef Oliver Kahn von einem starken „gesellschaftlichen Bewusstsein“ geprägt ist, beantwortet der Club nicht. Ob das Präsidium den Antrag des Mitglieds Michael Ott überhaupt zur Abstimmung zulassen will, ist noch unklar. Man prüfe jeden Antrag juristisch, teilt der Club auf Anfrage mit. Michael Ott fragt sich, warum.
„Dieser Antrag – dafür gibt es ganz klare Voraussetzungen in der Satzung des Vereins. Der Antrag muss fristgerecht und er muss ausreichend begründet sein, dann ist er zuzulassen. Höchstens er wäre jetzt völlig unumsetzbar oder rechtswidrig oder so was. Aber das ist nicht der Fall. Und der FC Bayern hat hier ganz offensichtlich keine Argumente, um dem irgendwas entgegenzuhalten, deswegen sagt er lieber gar nichts und spielt auf Zeit.“
Die WM-Debatte geht gerade erst los
Gerichtlich wollte Michael Ott daher den Verein dazu zwingen, seinen Antrag auf jeden Fall zuzulassen. Doch das Amtsgericht München lehnte die einstweilige Verfügung am Freitag ab, das Vorhaben von Michael Ott bedürfe keiner besonderen Eile – und damit auch keiner einstweiligen Verfügung. Ott und sein Anwalt gehen jetzt eilig in Berufung. Der Ausgang ist ungewiss. Sollte Ott vor Gericht scheitern, so müsste er drei Viertel der Vereinsmitglieder hinter sich haben, um bei der Versammlung seinen Antrag spontan einzureichen.
Würde das Präsidium die Abstimmung von vorneherein zulassen, bräuchte Michael Ott nur eine einfache Mehrheit der Mitglieder, um seine Forderung durchzusetzen. Wie immer das ausgeht. Eines sei gewiss, sagt der Sportjournalist der Süddeutschen Zeitung Thomas Kistner. In der Wertefrage könne sich weder der FC Bayern noch der Weltfußballverband FIFA wegducken.
„Die Debatte beginnt, die zentrale Debatte über die Zustände. Die ist immer mal wieder aufgeflammt in den vergangenen Jahren, aber jetzt ist der Weg frei, jetzt ist der Blick frei auf Katar. Da ist das nächste Großereignis des Weltfußballs und hiermit geht’s los. Das wird nicht mehr aufhören, bis die WM angestoßen wird.“