Fußball, sein Leben

Von Michael Langer |
Der Name Sepp Herberger ist eng mit dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 verknüpft. Das "Wunder von Bern" gilt zu großen Teilen als sein Verdienst. Fast 30 Jahre lang war er der "Chef" im deutschen Fußball.
"Während ich zurückging, hat das Publikum, begeistert mit Onkel Sepp mich begrüßt, Onkel Sepp !"

Allein der Titel jener himmelblauen Langspielplatte, die wir Jungs Ende der 60er Jahre als flankierende Maßnahme zur sportlichen Ertüchtigung hören durften, sagte doch schon das Wesentliche über die verehrte Trainer-Legende Josef "Sepp" Herberger: "Fußball, mein Leben"."

""Man muss es erlebt haben, was sich vor einem Spiel in der Kabine so alles tut, diese ribbelnde und prickelnde, fast körperlich spürbare Spannung, die in diesen Minuten vor dem Spiel herrscht."

Was hatte man Herberger zu Lebzeiten schon nicht alles genannt, um dem Phänomen Herberger, dem Geheimnis des genialen Fussball-Lehrers auf die Spur zu kommen: Volksheld, Hexenmeister, Magier und Trainer-Guru. Dabei war für ihn der Erfolg bloß die logische Folge harter Arbeit. So einfach kann das Leben manchmal sein. Vielleicht auch deshalb hat man den 1897 geborenen Mannheimer - den "Weisen von der Bergstraße" - auch als Philosophen bezeichnet, wobei für manche Ohren Herberger zuweilen durchaus wie Heidegger klang: das "Nichts nichtet" - oder "der Ball ist rund"! Und:

"Das nächste Spiel ist immer das schwerste."

"Wer viel Spaß haben will im Spiel, muss die Sache ernst nehmen."

"Kopfball, abgewehrt, Rahn aus dem Hintergrund, müsste schießen - Rahn schießt Tor! Tor! Tor! Tor!"

Reporter Zimmermann verschlug es damals kurzzeitig die Sprache und eine Nation stand schließlich Kopf. Bern ´54! Verwundert? Der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft war plötzlich nicht mehr nur von sportlicher Bedeutung. Neun Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wuchs das Selbstwertgefühl der Deutschen wieder. Herberger-Biograf Jürgen Leinemann schrieb:

""Nie hat Josef Herberger später daran gezweifelt, dass das 'Wunder' von Bern der jungen Bonner Republik, deren demokratische Gehversuche dringend Unterstützung durch Erfolge brauchten, eine enorme Hilfe war. Aber krampfhaft vermied er es, diesen Schub 'politisch' zu nennen. Politik - das war im ausblendenden Denken dieser Jahre noch immer die Nazizeit. ""

Bei Olympia in Berlin 1936 erlebt die deutsche Fußballauswahl eine herbe Niederlage - 0:2 gegen Norwegen. Ausgeschieden, aus der Traum. Trainer Otto Nerz verliert sein Amt, sein Assistent Sepp Herberger wird am 10. Oktober 1936 zum neuen Reichstrainer erklärt. Herberger war übrigens seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied.

""Einerseits paktierte er ungeniert mit den Parteioberen im Reichsamt, andererseits ging er in seinem praktischen Verhalten deutlich zur Partei auf Distanz.""

Herberger-Biograf Leinemann bescheinigt ihm, sich von den ideologischen und politischen Zielen der Nazis distanziert zu haben:

""Es gelang ihm 'einen eigensinnigen Abstand zu halten, ohne sich zu verweigern'.""

Dass selbst der Fußball ein Politikum war, bekam Herberger während der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 1938 zu spüren. Der Anschluss Österreichs sollte sich auch in einer großdeutschen Mannschaftsaufstellung widerspiegeln: eine Mischung zu gleichen Teilen aus freilich ganz unterschiedlichen Spielern wurde verordnet - "Wiener Melange mit preußischem Einschlag", so Herberger, der das Desaster voraussah, Widerspruch riskierte, aber kein Gehör fand. Und also schied man bei der WM '38 bereits in der Vorrunde aus - 1:1 und 2:4 gegen die Schweiz. Herberger im Rückblick 1967:

"Ich habe damals diesen Vorschlag gemacht, net wahr, dem zuständigen Manne, doch mit beiden Mannschaften anzutreten, getrennt zu marschieren, aber vereint zu schlagen. Oh, Sie hätten mal sehen sollen, wie er mich angeguckt hat!"

Herberger, dem es an Patriotismus sicher nicht fehlte, ging aber letztlich nicht Deutschland, sondern im Grunde nur eines über alles: Fußball. Fußball, ""Fußball, mein Leben"."

"Nach dem Spiel ist vor dem Spiel."

1946 wurde er im Entnazifizierungsverfahren der Spruchkammer Weinheim als "Mitläufer" eingestuft. Herberger war rehabilitiert. Und noch ehe er 1950 das neue Amt des Fußballbundestrainers übernehmen konnte, hatte er auch schon ohne einen anderen als seinen inneren Auftrag längst mit dem Aufbau einer neuen Nationalmannschaft begonnen. Wie gut, dass er den Weltmeistertitel zu Zeiten der jungen Bonner Republik gewann und nicht schon für ein Reich, dessen Fußballtrainer er einmal gewesen war.

"Aus, aus, aus - das Spiel ist aus!"