Fußball-Weltmeisterschaft 2018

"Ein Atem der Freiheit, der durch Russland geweht ist"

Fans spielen während der WM Fussball auf dem Roten Platz.
WM-Begeisterung: Fußball kicken auf dem Roten Platz. © imago sportfotodienst
Moritz Gathmann im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 15.07.2018
Journalist Moritz Gathmann und Fotograf Christian Frey sind während der WM durch Russland gereist - und haben viele Menschen getroffen, die vom Besuch der Fußballfans anderer Länder begeistert waren. Doch folgt auf die Party die Katerstimmung?
"Dass es eine Super-WM war, da kann man zustimmen", sagt Moritz Gathmann. "Dass das ganze Land im Aufbruch sei, da würde ich nach einem Monat in Sibirien bis Moskau doch widersprechen." Denn in den zwei asiatischen Dritteln Russlands, ab dem Ural, wo auch kein einziges WM-Spiel stattfand, habe man relativ wenig von dieser WM mitbekommen. "Da lief diese Weltmeisterschaft eher im Hintergrund – wie ein Fernseher, den man in der Küche laufen lässt."
Das Desinteresse im asiatischen Russland habe auch mit dem großen Zeitunterschied zu tun, die Spiele liefen für die Menschen dort in der Nacht. "Dort in Sibirien für die Leute hätte diese WM auch in Südkorea oder in Brasilien oder in Deutschland stattfinden können – das Gefühl war eigentlich ähnlich", sagt der Blogger und Journalist Gathmann.
Eine russische Frau schaut aus dem Fenster ihres kleinen Ladens.
WM-Fanshop? - Journalist Moritz Gathmann und Fotograf Christian Frey haben Menschen abseits des WM-Trubels in Russland getroffen.© Christian Frey
Die beiden Russland-Reisenden wollten auf ihrem Blog ein Mosaik erschaffen. "Es findet sich einerseits eine große geographische Bandbreite, wir waren ganz im Nordosten Russlands, bei Fischern, die sich nicht mehr mit der Fischerei beschäftigen, sondern Elfenbein von Mammuts sammeln und damit ihr Geld verdienen, bis zu Moskauer Aussteigern, die hier 200 Kilometer außerhalb von Moskau ein von Birken zugewachsenes Feld wieder versuchen zu bestellen, weil sie nicht mehr in dem Moloch Moskau leben wollen."

Russen waren positiv überrascht

Während der Weltmeisterschaft sind Fans aus aller Welt nach Russland gereist. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise sei die Begegnung mit den Touristen aus Europa und der Welt überraschend gewesen. Seit der Ukraine-Krise habe im russischen Fernsehen "eine ziemlich krasse Propaganda" stattgefunden. "Und plötzlich treffen die Russen sehr viele Europäer oder auch Mexikaner oder Argentinier, die ihnen eigentlich überhaupt nichts Böses wollen. Ich glaube, da gab es relativ viele Begegnungen in Russland, die für die Menschen überraschend waren."

Journalist und Blogger Moritz Gathmann und der Fotografen Christian Frey unterwegs:

Andererseits seien aus Westeuropa relativ wenige Fans angereist. "Die Europäer sind sehr zögerlich nach Russland gefahren." Gathmann glaubt, das ginge auf den politischen Konflikt zurück. Auf der russischen Seite seien die Menschen positiv überrascht gewesen. "Ich hatte ein Gespräch mit einer Zugbegleiterin, die jetzt drei Wochen ausländische Fans aus Moskau und Kazan hin- und hertransportiert hat, und die war euphorisch, was die ausländischen Besucher angeht."

Wie wird der Kater nach der Party?

Noch herrsche Partystimmung in Russland, doch wie wird das Land nach der Weltmeisterschaft? "Ich habe mit einem russischen Freund darüber gesprochen und der sagte, diese WM war schon wie ein Aufatmen für Russland – gerade nach den letzten vier Jahren, wo es diesen krassen Konflikt mit dem Westen gab und den Krieg in der Ukraine." Diese Partys auf den Straßen der russischen Städte sei etwas Besonderes gewesen. Normalerweise dürfe man nicht so offen und frei auf den russischen Straßen feiern.
"Es war schon wie ein Atem der Freiheit, der einmal durch Russland geweht ist während der WM", sagt Gathmann. Sein russischer Freund habe aber auch gesagt, dass er ein schlechtes Vorgefühl habe. Er habe Angst davor, was nach der Party komme, wie der Kater nach der Party aussehen werde. "Weil er sich gerade an die letzte Party erinnert, die Olympiade in Sotschi nach der eben der Ukraine-Krieg, der Konflikt mit dem Westen und eine Wirtschaftskrise kam. Deswegen sind die Russen ein bisschen unsicher, was danach kommt."
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