Vom Wert der Ersatzbank

Unterschätzt oder überbewertet?

06:14 Minuten
Ersatzbank des FC Bayern München beim Spiel bei Eintracht Frankfurt
Bank des FC Bayern München: Oft hat das Team starke Ersatzspieler in der Hinterhand. © dpa / picture alliance / Frank Hoermann
Von Felix Lill |
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Im Fußball starten immer nur elf Spielerinnen oder Spieler pro Team. Der Rest des Kaders ist auf der Bank oder sogar auf der Tribüne und ist deshalb oft unzufrieden. Die Ersatzbank hat einen eher schlechten Ruf - allerdings zu Unrecht.
Wenn der FC Bayern München mal wieder enttäuscht, reagiert Mario Basler oft so:

"Ja natürlich hätte ich den! Den hätte ich, genau, nach der ersten Halbzeit, vor der ersten Halbzeit hätte ich den schon ausgewechselt!

Mario Basler, sagte dies im Februar 2024 in der Fußballtalkshow "Doppelpass". 
Bayern München hatte gerade das Spitzenspiel gegen Bayer Leverkusen deutlich verloren, womit auch der Titelkampf vorentschieden war - Meister wurde Leverkusen. 
Und Mario Basler - einst selbst bei Bayern unter Vertrag - war sauer auf die Spieler. Vom Trainer forderte er Disziplinarmaßnahmen:

"Ich hätte mir heute gewünscht, nicht so einen jungen Pavlovic zum Beispiel auf die Bank zu setzen. Sondern einfach mal zu sagen, so, Sané: Jetzt guckste mal so‘n Spiel von draußen an."

Ein Bankplatz als Strafe

In anderen Worten: Einen Topspieler auf die Bank zu setzen, würde als Strafe für einen Star funktionieren. Und so ließe sich eine kriselnde Mannschaft wieder hinbiegen.
Was auch heißt: Die Ersatzbank ist ein Ort für die Verdammten. Und so wie Mario Basler denken noch immer viele Leute über die Ersatzbank. Wer dort Platz nehmen muss, soll nicht gut genug sein.
Die Wahrheit sieht aber längst anders. Hält eine Mannschaft zusammen, kämpft die Bank abseits des Spielfelds mit. Das wurde zuletzt deutlich in der jüngsten Begegnung zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen - Ergebnis 1:1. Die auf eine Revanche heißen Bayern waren sogar auf der Bank derart angezündet, dass sich Ersatztorwart Sven Ulreich im Ton vergriff. Zu Leverkusens Manager Simon Rolfes rief Ulreich:

"Ey, ey, setz dich hin Rolfes, du Wichser!"

Dass der Ersatztorwart nicht weiter interessiert, lässt sich kaum sagen. Ulreichs Beschimpfung war ein kleiner Skandal. Der Profi musste um Entschuldigung bitten.

Die moderne Sicht auf die Bedeutung der Bank

Aber nicht nur mentalitätsmäßig, sondern auch sportlich ist die moderne Sicht auf die Bedeutung der Ersatzbank eine ganz andere als die von Ex-Profi Mario Basler. 
Ohne eine starke, zuverlässige Bank, betonen Trainer immer wieder, könne eine Mannschaft kaum über eine ganze Saison Erfolg haben. 

Und dabei geht es längst nicht nur um das Szenario, dass sich ein Stammspieler verletzt und ersetzt werden muss.

Dies bestätigt Daniel Memmert, Professor für Trainingswissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln, der zu Auswechslungen und Kaderrotation geforscht hat: 

Wir haben uns die Frage gestellt, ob Mannschaften öfter rotieren sollten, welchen Einfluss Rotationen auf das Endergebnis haben. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Ein hoher Kaderwert,  eine hohe Integration der Ersatzbank, hat einen positiven Effekt auf die Punkte. Bei Mannschaften mit einem niedrigen Kaderwert haben Rotationen sogar eher einen negativen Einfluss. Das kann man auch erklären: Mannschaften, die einen hohen Kaderwert haben, haben auch sehr, sehr starke Spieler in der Hinterhand, also auf der Ersatzbank.

Daniel Memmert, Deutsche Sporthochschule Köln

Memmert und sein Forschungsteam haben hierzu Daten aus zehn europäischen Topligen über zehn Saisons ausgewertet. Sie kommen zum Schluss: Vor allem bei starken Teams trägt auch eine gute Ersatzbank entscheidend zum Erfolg bei. 

Ersatzspieler sind aus mehreren Gründen wichtig

Wobei selbst Trainer von Mannschaften mit niedrigerem Kaderwert - also vermeintlich weniger starken Spielern - gut daran tun, zu rotieren. Denn Ersatzspieler seien aus mehreren Gründen wichtig, sagt Memmert:

"Letztendlich braucht man die Spieler im Training, damit sie die ersten Elf ja auch stärker machen. Gleichzeitig will man die Spieler ja auch entwickeln, somit brauchen sie auch Spielpraxis, sonst kann man den Kaderwert auch nicht erhöhen. Und so etwas hat auch mit dem Matchplan zu tun."
Der Matchplan, also die taktische Ausrichtung, sorgt bei modernen Trainern häufiger für Rotation als bei jenen aus der Generation von Mario Basler.
So betonte Bundestrainer Julian Nagelsmann vor einigen Jahren bei einem Vortrag seine Faustregel für Aufstellungspläne:
"Gegen starke Gegner habe ich viele Defensivspieler auf dem Acker, gepaart mit den Offensiven in bester Form. Und ich habe ein paar mehr offensiv denkende Spieler auf der Bank, um frühzeitig reagieren zu können: Falls die Dynamik in unsere Richtung läuft, wir den starken Gegner auf unserer guten Basis unserer guten Defensive bearbeiten, kann ich früh Offensivspieler wechseln. Diese beiden Punkte - taktischer Plan und Stärken des Gegners - beeinflussen immer meine Kader- und meine Startelfentscheidung."

Wer von Anfang an auf dem Platz steht und wer auf der Bank sitzt, sagt demnach wenig darüber aus, wer die allgemein stärksten Spieler sind. Außerdem sitzen immer wieder auch solche Spieler auf der Bank, die aufgrund ihrer sportlichen Fähigkeiten vielleicht eher auf die Tribüne müssten - wenn sie wegen ihrer charakterlichen Eigenschaften wichtig für die Stimmung sind. 
Daniel Memmert sagt:

"So etwas ist aus psychologischer Sicht sehr, sehr wichtig. Sie sind ein Teil des Teams, ein Mosaiksteinchen. Nicht nur die Bank, auch die Tribüne. Das sind ja die Spieler, die keinen Einsatz haben. Auch die braucht man."

Wann Auswechslungen am effektivsten sind

Und weil die Bank - anders als von Mario Basler vermutet - oft eine Truppe zusammenhält und wichtige Punkte für die Tabelle holt, haben die Forschenden um Daniel Memmert auch statistisch ausgewertet, wann Auswechslungen am effektivsten sind.

Tatsächlich gibt es zwei Perioden, bei denen Auswechslungen sehr, sehr effektiv sind: Um die 60., 62., 63. Minute, dann noch mal später um die 70., 72., 73. Minute. Das ist schon an sich etwas, was sich nicht ganz mit Trainereinschätzungen deckt.

Daniel Memmert, Deutsche Sporthochschule Köln

Trainer würden nämlich häufig später auswechseln als es nach der Empirie von Memmert klug wäre. 
Das Vertrauen in die Ersatzbank ist demnach wohl bis heute nicht so groß, wie es sein müsste.

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