Wettkampf der Gefühle
Fußball ist nicht nur ein Sport. Es ist ein Spiel mit den Emotionen der Fans. Verehrung und Liebe des eignen Spielers gehören genauso ins Stadion wie Hass und Missachtung der Gegner. Eine psychologische Betrachtung.
"Fußball wird als nationale Sache gesehen. Also all das, was man an politischen Problemen, an politischem Unrecht, an politischen Traumata erlebt hat, das wird auf den Fußball übertragen. Und da sind halt die polnischen Erfahrungen gegenüber den Deutschen so, dass es nach wie vor ein sehr, sehr emotionales Verhältnis ist."
Meint Thomas Urban, der ehemalige politische Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" und Autor des Buches "Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik". Polen war das einzige Land, in dem der organisierte Fußball im Zweiten Weltkrieg verboten war. Die Besatzer fürchteten, dass Massenversammlungen zu patriotischen Demontrationen werden könnten.
Freiräume für Emotionen
Moderne psychologische Studien zeigen, dass Emotionen in unserem Alltag stark gebremst werden. Als Erwachsene haben wir gelernt, uns in bestimmten Situationen zurück zu nehmehen, zum Beispiel bei einem Streit nicht auszurasten. Deswegen belasten uns verschiedenste Hemmungen. Und wir suchen nach Freiräumen, wo wir sie loswerden können. Für viele ist das Stadion ein geeigneter Platz dafür.
"Es ist einfach einmalig. Orte wie Einkaufszentren und Multi-Kinos befriedigen Bedürfnisse eines Individuums. Dort sind wir Kunden und haben keine Emotionen. Und auf einmal treffen wir in einem Stadion auf hunderttausend Gleichgesinnte und bilden zusammen eine Gemeinschaftsseele. Die Stadien sind voll, da wir uns nach dieser Gemeinschaftsseele von Zeit zu Zeit sehnen."
Sagt Radosław Kossakowski, Sportsoziologe aus Danzig.
Emotionen gehören seit jeher zum Spiel. Sie werden durch Ereignisse auf dem Fußballfeld ausgelöst. Bedeutend ist dabei vor allem, wie sich Fans mit den Spielern identifizieren. Professor Gunter Gebauer, Sportphilosoph:
"Darin besteht es, dass das Innere der Fans aufs Äußerste erregt wird; nämlich so stark, dass diese Liebesbeziehung sie selber verändert, weil sie so sein möchten wie ihre Vorbilder. Und dass sie ihren Vorbildern nacheifern; dass sie eine Nachahmungsbeziehung zu ihnen haben und ihnen ähnlich werden wollen; und sie sich unbedingt an sie annähern wollen, indem sie sie unterstützen durch Gesänge, durch Schreie und so weiter."
Das Fußballspiel - ein modernes Gefecht
Diese sind nicht immer positiv. Denn gegenwärtig ist ein Fußballspiel nichts anderes als ein modernes Gefecht, meint Mariusz Czubaj, Sportanthropologe aus Warschau. Während die eigenen Spieler geliebt werden, werden die gegnerischen gehasst und missachtet. Der Anthropologe betrachtet Antagonismen als wichtige Elemente einer gesunden Rivalität:
"Es ist normal, dass man die Eigenen über die Fremden stellt. Das ist eine der grundlegenden Formen der Ausgestaltung der Identität. Es ist besser, wenn wir uns im Sport und unter bestimmten Regeln bekämpfen als irgendwo anders. Wenn unsere dunklen Kampfinstinkte und -Mächte durch den Sport beherrscht würden, dann gäbe es kaum etwas, was wir uns mehr wünschen könnten."