Buch "1974: Die WM der Genies"

Wie Cruyff und Beckenbauer ihre Nationalteams prägten

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Der deutsche Fußballer Franz Beckenbauer (rechts) und der Niederländer Johan Cruyff im Finale der Fußball-WM 1974 in München
Johan Cruyff (links) und Franz Beckenbauer trafen im Finale der Fußball-WM 1974 aufeinander. © dpa / picture alliance
Von Stefan Osterhaus |
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Johann Cruyff und Franz Beckenbauer waren bei der WM 1974 herausragend als Spieler. Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp erklären, wie beide Fußballgeschichte geschrieben haben, was sie gemeinsam hatten - und welche Unterschiede es gab.
Das Finale der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland im Olympiastadion von München:  Deutschland und die Niederlande stehen sich gegenüber - die Teams die schon vor dem Turnier als Favoriten gegolten hatten.
Ein Traumfinale und ein hart umkämpftes Spiel, das die Deutschen mit 2:1 gewinnen, weil Gerd Müller wie immer zuverlässig trifft.

Die WM 1974 als außergewöhnliches Turnier

„1974 - WM der Genies", so heißt das sorgfältig recherchierte Buch von Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp. Obwohl es nach Auffassung der Autoren die WM der Genies ist, so ist es doch kein Beitrag zur Legenden-Huldigung. Es zeichnet nach, wie es dazu kam, dass gerade diese WM in Deutschland den Fußball auf Jahrzehnte prägte.

Was Schulze-Marmeling und Dahlkamp gelingt, ist die Dokumentation eines in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen WM-Turniers, das auf seinen Höhepunkt wie ferngesteuert hinauslief: König Johann gegen Kaiser Franz Beckenbauer – der Niederländer Johan Cruyff gegen den Deutschen Franz Beckenbauer. Jeder für sich war ein Visionär – und unglaublich einflussreich als Fußballer wie später auch als Trainer.
Dietrich Schulze-Marmeling sagt:

Wir haben da zwei spielbestimmende Persönlichkeiten, Beckenbauer und Cruyff, die beide ein Stück Fußballgeschichte schreiben, von unterschiedlichen Positionen agieren, aber eine Sache beide gemeinsam haben - und das ist: Es sind Spieler, die das Spiel regieren wollen, die sich nicht auf ihre Position irgendwie so festlegen, sondern das ganze Spielfeld als ihr Territorium, als ihr Herrschaftsgebiet verstehen, wo sie auch andere Spieler in Szene setzen. Von daher sind auch diese Etikette, der Titel, der ihnen verliehen wird, Kaiser und König, absolut zutreffend.

Autor Dietrich Schulze-Marmeling

Nicht nur die beiden Stars ragten heraus: Deutschland, der Europameister, hatte noch zwei Jahre zuvor glänzenden Fußball gespielt, dem das Etikett "Fußball 2000" angeheftet wurde. Das Team galt lange als die beste deutsche Nationalmannschaft überhaupt, mit dem Spielmacher Günter Netzer.

Beide Teams mit jeweils starkem Klub-Block

Zudem hatten beide Teams je einen starken Block der damals dominierenden Klubmannschaften Europas: Ajax Amsterdam, wo Cruyff bis 1973 spielte, prägte das Spiel der Niederländer.
Bei den Deutschen waren es die Bayern. Zwar war das deutsche Team nicht mehr ganz so glänzend wie bei der EM - aber immer noch imponierend, was die Klasse der Spieler betraf.
Genies wie Cruyff und Beckenbauer sind einmalig, aber es gab eben auch die Könner der zweiten Reihe: Rob Rensenbrink, Johan Neeskens und Johnny Rep bei den Niederländern.
Bei den Deutschen Sepp Maier, Gerd Müller und Jürgen Grabowski, und vor allem Wolfgang Overath. Der Kölner Spielmacher war ein glänzender Turnierspieler. Er stach seinen Rivalen Günter Netzer von Real Madrid aus.
Es war vor allem Overaths Wettkampfhärte, die den Ausschlag gab: 1966 WM-Zweiter, 1970 Dritter, 1974 Weltmeister: Er hat dabei jeweils alle Spiele der deutschen Mannschaft bestritten:

„Ich habe dann auch immer um den dritten Platz mitgespielt. Es war vielleicht eine meiner Stärken, dass ich mich in dieser kurzen Zeit von vier Wochen unerhört gut konzentrieren konnte auf das, was da unten war. Wenn ich in meinem Verein die normalen Spiele hatte, war es eine lange Saison. Es war schon anders."

Niederländer waren im Finale favorisiert

Im Finale war er einer derjenigen, die dafür sorgten, dass die Niederländer, die auch wegen ihres Siegs gegen den Titelverteidiger Brasilien leicht favorisiert waren, nicht zur Entfaltung kamen:

Dennoch wirkte die Art und Weise des Auftritts der Holländer nach. Sie spielten spektakulär, und zwar von Beginn an. 

Was die Niederländer zeigten, war, wie Schulze-Marmeling ausführt, die letzte große taktische Revolution im Fußball: Pressing, den Raum ausnutzen, schnelle Kombinationen – das wurde in der niederländischen Fußballschule vor allem bei Ajax Amsterdam systematisch gelehrt und fand auch Nachahmer.
Alles, was danach kam, seien Abzweigungen und Weiterentwicklungen gewesen, sagt Dietrich Schulze-Marmeling.

Franz Beckenbauer wird 1990 als Teamchef mit der Nationalmannschaft Weltmeister, holt später dann die WM nach Deutschland, ist Funktionär beim FC Bayern München, geht in einer Phase der Krise des deutschen Fußballs als die Lichtgestalt, die einzige Lichtgestalt im hiesigen Fußball, in die Fußballannalen ein.

Johan Cruyff ist in taktisch-fußballerischer Hinsicht vielleicht noch nachhaltiger wirkend. Es gibt ja auch in der Trainerbranche sogenannte Cruyffisten, die der Philosophie von Johan Cruyff folgen. Das ist vielleicht der Unterschied auch zwischen den beiden, dass Cruyff eine sehr ideologische Vorstellung vom Fußball hatte, die dann in einer sehr kohärenten Philosophie ihren Ausdruck fand.

Autor Dietrich Schulze-Marmeling

Der Kaiser war ein Pragmatiker. Vielleicht wurde er deshalb als Spieler und als Trainer Weltmeister, was seinem großen Rivalen nicht vergönnt war. Auch das ist eine Erkenntnis aus diesem Buch.
Das schildert nicht nur in äußerst lesenswerter Weise die Bedeutung der beiden Fußballer, sondern auch, in welcher Atmosphäre sie sich begegneten. Ein kleines Stück Zeitgeschichte, erzählt an den beiden besten Fußballern ihrer Generation.

Schulze-Marmeling/Dahlkamp: "1974: Die WM der Genies"
Verlag Die Werkstatt
350 Seiten, 29,90 Euro

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