Erst grätschen, dann feiern

Deutschlands Gegner im Spiel um den Einzug ins WM-Viertelfinale ist Algerien. Verliert das Team, werden alle über Jogis Jungs lachen. Doch Überheblichkeit ist hier fehl am Platz, wie die Geschichte beweist.
"Prima!" sagen die Hochmütigen. Algerien ist genau der richtige Gegner, um sich auf die Spielweise der Franzosen einzustellen, dem möglichen Widersacher im Viertelfinale. "Vorsicht!" sagen die Statistiker. Deutschland hat gegen Algerien noch nie gewonnen. Am Neujahrstag 1964 gab es die erste Pleite.
Reporter: "Das rhythmische Klatschen hier auf den Tribünen und rings herum im Stadion, Schlusspfiff, Beifall hier auf den Rängen der 17.000 begeisterten Zuschauer, Algerien schlägt in seinem ersten offiziellen Länderspiel die deutsche Nationalmannschaft verdient mit 2:0."
Bei der WM 1982 in Spanien trafen die beiden Mannschaften gleich im ersten Vorrundenspiel aufeinander. Als amtierender Europameister war Deutschland klarer Favorit. "Wir hatten Angst, dass sie uns auffressen", meinte einer der algerischen Spieler hinterher.
Reporter: "Ja, es gab wunderschöne Wetten zwischen den Journalistenkollegen. Da waren sogar einige dabei, die gingen bis 6:0 oder 7:1 hoch. Das wird es mit Sicherheit heute Nachmittag nicht geben..."
...denn: die ‚Wüstensöhne' spielten couragiert und trickreich.
Reporter: "Und jetzt ein Doppelpass, und noch ein Doppelpass, ja, technisch sind sie sehr versiert, die Algerier."
Die Deutschen dagegen langsam, überheblich und arrogant.
Reporter: "Oh, wie viel Leerlauf in der deutschen Mannschaft."
Kein Ball am Pfosten, doch dafür im Tor
Der Kommentator des Spiels widmete sich anfangs den kleinen Randgeschichten des Fußballs.
Reporter: "Das Tor, das übrigens gestern Abend – ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen – um 19 Uhr 15 noch gestrichen werden musste, es stieg ein Maler auf seine Leiter und strich das Tor mit weißer Farbe, hoffentlich ist sie trocken geworden bis heute, damit der Ball nicht an dem Pfosten kleben bleibt."
52 Minuten passierte nichts, dann überrumpelten die Nordafrikaner die deutsche Abwehr zum ersten Mal.
Reporter: "Möglichkeit für die Algerier. Belloumi auf das Tor, Schumacher hat gerettet, nachgesetzt, Tor für Algerien. Ist es denn die Möglichkeit?"
Reporter: "Das muss man sich mal vorstellen, vor diesem Spiel, da war die Selbstsicherheit so groß, da hatte man die Algerier schon in der Tasche, und da sagte Jupp Derwall, da müsste sich doch ein Loch im Rasen auftun, wenn wir diese Mannschaft nicht schlagen, ich warte immer noch auf das sich auftuende Loch, denn Algerien führt mit 1:0."
Plan- und kraftlos drängten die Deutschen auf den Ausgleich. Der dann endlich auch fiel.
Reporter: "Karlheinz Förster zu Magath, Magath schießt, und Toooor. Rummenigge."
Doch sofort im Gegenzug gingen die Algerier erneut in Führung.
Reporter: "Und jetzt die Chance zum 2:1, und da ist das Tooor. Assad auf Belloumi, und das 2:1 ist perfekt."
Reporter: "Ein sensationeller Spielverlauf. Und jetzt wird ganz Algerien verrückt spielen, aber die Bundesrepublik Deutschland weniger."
Zwei Bilanzen, zwei Teams
Die DFB-Bilanz gegen die Nordafrikaner ist also negativ: zwei Spiele, zwei Niederlagen. Erfreulich dagegen ist der Blick auf die Länderspielstatistik der DDR: drei Siege und ein Unentschieden.
Reporter: "Frank Rohde mit großem Kraftaufwand und guten Szenen. 2:0. "
So auch im Oktober 1984: 5:2 gewann die DDR gegen Algerien. Doppel-Torschütze Rainer Ernst präsentierte sich so, wie wir uns das heute Abend von den Löw-Schützlingen auch wünschen.
Reporter: "Übersicht, das ständige Pendeln zwischen Mittelfeld und Angriff und den richtigen Torriecher zeichnen Reiner Ernst aus."
Reporter "Eine technische Delikatesse sein zweiter Treffer. Andreas Thom, Flanke, Ernst mit dem Außenrist."
Das große Plus der Algerier ist ihre Leidenschaft und Emotion. In dieser Hinsicht müssen die Deutschen noch deutlich zulegen. Wie Kapitän Philipp Lahm, der gegen die USA in letzter Minute eine Torchance vereitelte und anschließend seine Grätsche mit geballten Fäusten feierte.