Fußball-WM in Katar
Borussia Dortmund-Anhänger zeigen ihre Haltung zur WM in Katar auf der Tribüne. Arno Orzessek findet, alle Fans könnten mit der TV-Fernbedienung ein Zeichen setzen – und lieber auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein trinken. © picture alliance / SvenSimon / Elmar Kremser
Den Fernseher einfach ausschalten
04:19 Minuten
Vorfreude auf die Spiele der Nationalmannschaft in Katar? Die ist sogar harten Fußballfans vergangen. Zwar wäre ein offizieller Boykott jetzt sinnlos, findet Arno Orzessek. Aber jeder habe die Möglichkeit, die Spiele zu ignorieren. Wenigstens das.
Die Aussage des katarischen WM-Botschafters Khalid Salman ist absolut inakzeptabel: Homosexualität ist kein „geistiger Schaden“, Homosexualität ist eine sexuelle Orientierung unter anderen. Und jede fällt im Rahmen der Selbstbestimmung unter den Schutz der Menschenrechte.
Da würden Sie zustimmen, oder? Tja, Khalid Salman sieht das offenbar anders – und mit ihm auch weitere Katari, in deren Land bald die unselige WM beginnt.
Sorge um die LGBTQ-Fans in Katar
Homosexualität steht dort unter Strafe, was nun wirklich keine Neuigkeit ist. Wenn aber, wie jüngst von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Sicherheitsgarantien für Fans aus der LGBTQ-Community gefordert werden, gibt es Contra.
„Arrogant und rassistisch“ sei die andauernde Kritik aus Europa, motzte Katars Außenminister al Thani. Merke: Leicht ist es zu behaupten, die Menschenrechte und das Gebot der Nicht-Diskriminierung seien universell gültig, schwer ist es, Andersdenkende davon zu überzeugen ...
Die Frage ist: Was kann man jetzt noch tun?
Erst recht, wenn diese taktisch-provokant auf Nicht-Einmischung und kultureller Selbstbestimmung beharren und Menschenrechte dezent in einen neo-kolonialen Kontext rücken.
Die Frage ist nun nicht, ob Katar die WM überhaupt hätte bekommen sollen. Natürlich hätte das – vom heutigen Standpunkt aus – nie und nimmer passieren dürfen, damals, 2010. Diese Erkenntnis scheint sogar beim DFB durchzusickern, der jahrzehntelang nicht als moralische Anstalt bekannt war.
Die Frage ist: Was kann man jetzt und während der WM noch tun, um auszudrücken, dass ein Freudenfest des Fußballs in einem Land mit krasser Menschenrechtsproblematik und einem homophoben WM-Botschafter kein Freudenfest sein kann – erst recht nicht in Stadien, die von modernen Sklaven vielfach unter Verlust ihres Lebens erbaut wurden?
Boykott in letzter Minute wäre unsinnig
Jeder und jede Einzelne kann den Fernseher auslassen. Mittlerweile befassen sich Philosophen mit der Frage, ob das moralisch dringend geboten ist oder eher ein hohler Akt der Selbstkasteiung.
Was aber die hiesigen Politiker betrifft, den DFB, die Mannschaft und die Fans, die nach Katar wollen, werden die nächsten Wochen schwierig. Seien wir realistisch: Ein Boykott in letzter Minute wäre in der Sache so wenig konstruktiv wie das Ankleben der Klimaschützer für das Klima. Es würde nur über den Boykott und die Spielverderber geredet.
Mit Anpfiff wiederum nur noch Fußball im Kopf zu haben, wie es sich FIFA-Präsident Infantino und die WM-Gastgeber erträumen, wäre schäbig und inkonsequent: Alle Kritik wäre als heiße Luft entlarvt.
WM zum Plenum für Menschenrechte machen?
Sollte man versuchen, die WM zu einem Plenum für Menschenrechte mit Fußball im Begleitprogramm zu machen? Auch das wäre heikel. Denn sich erst dann so richtig laut aufzuregen, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, Empörung nichts mehr kostet und das Turnier ohnehin seinen Gang geht – wen würde das überzeugen?
Zu Recht meinte Thomas Hitzlsperger: „Der Schaden ist nicht mehr zu reparieren.“
Der schwule Ex-Nationalspieler wies darauf hin, dass auch Heterosexuelle in Katar mit öffentlichen Zärtlichkeiten höchst vorsichtig sein sollten.
Der schwule Ex-Nationalspieler wies darauf hin, dass auch Heterosexuelle in Katar mit öffentlichen Zärtlichkeiten höchst vorsichtig sein sollten.
Jetzt kommt es auf Fingerspitzengefühl an. Die WM-Gastgeber sollten jederzeit merken, dass die WM kein Feigenblatt ist, mit dem er die Missstände im Land vor den Augen der Welt tarnen kann – im Gegenteil.
Keine weitere Vergabe nach Scheckbuch
Die WM-Gastgeber sollten aber auch spüren, dass da keine ewigen Besserwisser anmarschieren, die zu Hause den Dreck im Zweifel unter den Teppich kehren, aber in der Welt umso lieber den Lauten machen.
Der FIFA aber sollte klar werden: Nach Russland 2018 und Katar 2022 darf es keine weitere WM-Vergabe mehr geben, die blindlings nach Scheckbuch läuft. Andernfalls bliebe tatsächlich nur totaler Boykott.