Tod vorm Finale
10:17 Minuten
Die Mannschaft saß im Flug zum Finale der Südamerika-Klubmeisterschaft. Doch die Maschine stürzte ab. Die Tragödie um den brasilianischen Fußballklub Chapecoense zeigen Jeff und Michael Zimbalist in ihrem Dokumentarfilm „Unser Team – Nossa Chape“.
Susanne Burg: "Unser Team – Nossa Chape" so heißt ein Dokumentarfilm, der jetzt bei uns in den Kinos läuft. Er widmet sich einer Katastrophe, die sich Ende November 2016 ereignete und in allen Medien war: ein Flugzeugabsturz in Kolumbien.
An Bord war auch die brasilianische Fußballmannschaft des Vereins Chapecoense, die eigentlich auf dem Weg zum brasilianischen Sommermärchen war: Das lange eher unbekannte Team hatte sich bis ins Finale des wichtigen südamerikanischen Fußballturniers Copa Sudamericana gespielt. Das Spiel in Medellin sollte der große Triumph werden. Dann zerschellte das Flugzeug in den Anden. 71 Menschen starben, sechs überlebten, darunter auch drei Spieler.
Der Film "Unser Team – Nossa Chape" erzählt die Geschichte dieses Teams, der Überlebenden, der Witwen und begleitet den Verein auch beim Wiederaufbau. Die Regisseure sind die beiden Brüder Jeff und Michael Zimbalist. Sie begrüße ich hier im Studio. Wie erinnern Sie sich an diesen 28. November 2016?
Jeff Zimbalist: Mike und ich haben beide lange in Brasilien und Kolumbien gelebt und haben viele Freunde dort und es hat uns zutiefst bewegt, als wir die Nachricht gehört haben. Das war ja weltweit ein Schock.
Burg: Und es waren ja auch Kollegen von Ihnen im Flugzeug, nicht wahr?
Jeff Zimbalist: Wir arbeiteten zu dem Zeitpunkt an einer Dokumentarfilmreihe für Fox über Nachwuchsfußballer auf ihrem Weg zur WM. Sechs Kollegen von Fox Sports saßen in dem Flugzeug, das abstürzte. Wir bekamen einen Anruf von Fox und man fragte uns, ob wir nach Brasilien fahren würden. Eigentlich sollten wir nur einen Monat lang in Chapeco filmen.
Wir sollten dabei sein, wenn der Fußballverein entscheidet, ob er weitermacht oder ganz aufhört. Und gegebenenfalls sollten wir das erste Spiel filmen. Aber als wir dann beim ersten Spiel angekommen waren, hatten sich so viele interessante Geschichten entwickelt, im Team, aber auch in Chapeco selbst, dass wir mit Fox beratschlagt haben und länger geblieben sind.
Burg: Selbst wenn Sie nur einen Monat dageblieben wären: Gerade die Zeit direkt nach dem Absturz war ja für die Hinterbliebenen und die Betroffenen eine immens schwierige Zeit. Die Witwen trauerten um ihre Männer, die drei Überlebenden waren damit beschäftigt, zu genesen und wieder ins Leben zurückzufinden, und der Verein musste sich finden. Wie sind Sie da vorgegangen, den Trauernden zum einen genug Raum zu geben und trotzdem nahe dran zu sein?
Reden über Gefühle
Jeff Zimbalist: Wir haben versucht, immer daran zu denken, dass Menschen unterschiedlich trauern und dass es verschiedene Stadien der Trauer gibt. Eine Person redet vielleicht gerne über Gefühle, eine andere zieht sich zurück. Wir haben versucht, umsichtig vorzugehen. Und wir wollten auch ein größeres Thema finden, eines, bei dem es nicht nur um diesen speziellen Fall im Fußball geht.
Zwei zentrale Fragen waren für uns: Wie trauern wir? Und: Wie gehen wir mit dem Tod eines Angehörigen um? Diese Fragen müssen wir uns irgendwann alle stellen. Und leider müssen wir uns heute mit so vielen großen Tragödien durch Terrorismus, Amokläufe, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen auch die Frage stellen: Wie trauern wir kollektiv als Gemeinschaft?
Wir haben uns dieser Frage von verschiedenen Perspektiven aus genähert, von der der Witwen, der Überlebenden, der Spieler, die nicht mit nach Kolumbien geflogen sind, der neuen Spieler, der neuen Trainer. Und dadurch dass wir sehr lange vor Ort waren, konnten die Menschen auch in ihrem eigenen Tempo zu uns kommen und ihre Geschichten mit uns teilen.
Burg: Am Anfang waren wirklich alle in Chapeco schockiert und haben getrauert. Und wie Sie sagten, Leute trauern verschieden und in unterschiedlichem Tempo. Und dann kommen ja auch äußere Faktoren dazu. Das Team bildete sich neu. Und schon nach drei Monaten ebbte die Sympathiewelle teilweise ab und Kritik wurde laut. Was war da passiert?
Michael Zimbalist: Da gab es verschiedene Faktoren. So gingen zum Beispiel die Meinungen darüber auseinander, wie die Stadt Chapeco mit der Tragödie umgehen sollte. Eine Gruppe sagte, die Toten sollten bei jeder Entscheidung mitbedacht werden. Eine andere Gruppe versuchte, nach vorne zu blicken und nicht so sehr an die Verstorbenen zu denken. Das führte zu Konflikten innerhalb des Teams und der Stadt. Dann gab es Konflikte und Gerichtsverfahren wegen der Entschädigungszahlungen.
Und es gab die Spannungen wie in jeder Stadt, die ein beliebtes Fußballteam und sehr leidenschaftliche Fans hat. Die Fans wollten, dass das Team gewinnt. Und die Tragödie trat etwas in den Hintergrund. Das Team stand unter großem Druck. Sie sollten so erfolgreich wie zuvor sein. Und ich will nicht zu viel verraten, aber es war schließlich die Erinnerung an den alten Geist des Teams, der dabei geholfen hat, die Konflikte beizulegen.
Personen in ihrer Mehrdimensionalität zeigen
Burg: Sie haben zwei Begriffe erwähnt: Leidenschaft und Erfolg. Und weil Sie, Jeff, von den größeren Themen des Filmes gesprochen haben. Ist nicht auch ein Thema die Frage: Wieviel Menschlichkeit und Mitgefühl kann es geben in einem Millionengeschäft wie dem Fußball?
Jeff Zimbalist: Ja, das ist ein fundamentaler Konflikt bei diesem Sport. Es ist ein kapitalistisches Unterfangen und gleichzeitig geht es auch um Identität, für Individuen, für Städte, für Nationen. Diese beiden Aspekte stehen manchmal in direktem Konflikt. Und dieser Fall ist ein Beispiel dafür.
Michael Zimbalist: Und es war uns wichtig, auch die verschiedenen Seiten ausgewogen darzustellen. Dass nicht die neuen Besitzer des Clubs als zu profitorientiert und herzlos rüberkamen. Sie sind alle mehrdimensionale Personen. Und wir wollten niemanden in die Rolle des Antagonisten schubsen, sondern ein komplexes Bild dieser Situation zeigen.
Burg: Sie scheinen sehr viel Zeit vor Ort verbracht zu haben. Sie sind mit der Kamera auch in Konfliktsituationen dabei, zum Beispiel als ein Streit in der Umkleide ausbricht, der auch handgreiflich wird. Man kann natürlich Glück haben, aber Sie müssen vorher auch entscheiden, wo es sich lohnt, ein Kamerateam hinzuschicken, an so unterschiedliche Orte. Das wirkt sehr umfangreich.
Jeff Zimbalist: Ja, das war eines der umfangreichsten Projekte, das wir je gemacht haben. Es gab verschiedene Kamerateams gleichzeitig in verschiedenen Teilen der Welt. Mehrere Kameraleute sind mit dem Fußballteam mitgereist. Dann gab es Kamerateams bei den Leuten, die nicht reisten und in Chapeco waren oder auch an ganz anderen Orten. Oder in Kolumbien, wo der Unfall stattgefunden hat und das Team dann noch mal für ein zweites Finale zurückgekehrt ist. Der Gedanke war, Kameras vor Ort zu haben, wenn etwas Interessantes im Leben der Menschen passiert. Und das ist die Herausforderung bei Cinéma Vérité. Du weißt vorher nicht, wann das der Fall ist.
Treffen mit den Ersthelfern
Burg: Im Laufe der Zeit haben Sie auch Vertrauen zu den Menschen aufgebaut. Es ist alles eine so unglaubliche Geschichte. Ein Märchen am Anfang, dann der brutale Absturz mit den Überlebenden, der Wiederaufbau – und die Mannschaft schafft es dann ins Finale des südamerikanischen Turniers Recopa und reist noch einmal nach Medellin, an den Ort der Tragödie. Als Filmemacher, haben Sie nicht manchmal gedacht, dass die Realität doch größer als Fiktion ist?
Michael Zimbalist: Es war alles ein Prozess. Eigentlich wollten wir nur kurz dableiben und haben uns überlegt, was Akt 1, 2 und 3 sein könnte, und irgendwann haben wir innegehalten und nach einem Monat gedacht: Moment, wir sind ja noch nicht mal am Ende von Akt 1 angekommen. Es hat wirklich gedauert, bis der Trip zurück nach Kolumbien zum Recopa-Finale anstand. Und eigentlich dachten wir, das Team würde das Spiel bestreiten und gewinnen, zu Ehren der verstorbenen Teamkameraden – und dann stolz wieder nach Hause fahren. Und dann kam aber etwas viel Bedeutsameres: Alle Spieler fahren an den Ort, wo das Flugzeug abgestürzt ist, und treffen die Leute, die ein Jahr zuvor erste Hilfe geleistet hatten. Das wurde schließlich der Höhepunkt der Geschichte, ohne dass wir es vorher absehen konnten.
Burg: Was waren die Reaktionen der Beteiligten auf Ihren Film?
Michael Zimbalist: Es ist kompliziert in Lateinamerika – wegen der legalen Streitigkeiten, die es noch immer gibt rund um den Absturz. Wie wir im Film beleuchten, war es ja wirklich Fahrlässigkeit, die zum Absturz führte. Fahrlässigkeit auf Seiten der Airline und des Piloten, der Mitbesitzer der Airline war. Sie wollten unter anderem Geld sparen und hatten nicht genug Kerosin. Wenn man das als Hinterbliebener erfährt, ist es schwer, nicht verärgert zu sein und jemanden zur Verantwortung ziehen zu wollen. Es gibt noch viele ungeklärte Verfahren. Das heißt: Wir konnten den Film in Lateinamerika noch nicht öffentlich zeigen, freuen uns aber auf die Gelegenheit.