In England liegen viele Stadien mitten im Wohngebiet. Das trägt zur Faszination des englischen Fußballs bei – bringt aber Probleme für die Anwohner mit sich. Unser Autor Hendrik Buchheister hat die Skerries Road im Schatten des Anfield-Stadions in Liverpool besucht. Zum Beitrag:
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Liebe zu Spielorten mit Tradition
05:39 Minuten
Fußballstadien entstanden vor Jahrzehnten in Wohngegenden, als Zeichen organisch wachsender Städte. Sie stifteten Identität und Gemeinsamkeit, waren manchmal aber nur charmante Bruchbuden, aus denen dann Mythen erwuchsen.
Eine Straßenkreuzung im Nordosten Oldenburgs zwischen Autobahn und Innenstadt, optisch beherrscht von einem Supermarkt. In seinem Schatten ist im Gehweg eine Gedenktafel eingelassen für ein "Fußballstadion mit Seele", wie es in der Inschrift heißt. Das Stadion Donnerschwee. Fast 30 Jahre nach dessen Schließung tut diese dem früheren Spieler des VfB Oldenburg, Peter Darsow, immer noch weh:
"Eigentlich fahre ich nicht mehr gerne hier vorbei, an dieser Plakette, die da eingegraben ist oder hingelegt worden ist. Mit dem Hinweis 'Hölle des Nordens' und so weiter. Dann kriege ich doch schon so 'ne leichte Träne ins Auge, weil eben die Zeiten vorbei sind. Es hat eben nicht geklappt seinerzeit, das Stadion dementsprechend zu halten, und das ist nun mal der Lauf der Dinge."
Erinnerung an die "Hölle des Nordens"
1990 verkaufte der VfB Oldenburg das Stadion, um zahlungsfähig zu bleiben. Mit dem Umzug in ein städtisches Stadion zehn Autominuten entfernt können sich bis heute viele nicht anfreunden. Karl-Heinz Falkenberg etwa, seit 70 Jahren Mitglied im VfB und damals im Vorstand: "Wenn man daran denkt, dass wir ja gegenüber vom Stadion das so genannte Clubhaus hatten. Das war eine Institution für den Stadtteil Donnerschwee. Dort traf man sich, auch innerhalb der Woche. Dort wurden die ganzen Abteilungssitzungen abgehalten. Also der VfB war nicht nur integriert in der Stadt, sondern eben gezielt in Donnerschwee. Die Heimat war Donnerschwee. Mit diesem Stadion!"
Die "Hölle des Nordens" war ein ganz profanes Stadion. Der Rasen lag ein paar Meter tiefer als die Straßen der Umgebung. Asymmetrische Stehplatzränge, eine kleine Tribüne, von einer Backsteinmauer umrandet. Sieben Jahre lang ging Darsow hier auf Torejagd.
"Das ist so ein Gänsehautgefühl, das ist wirklich was", sagt er. "Man hat zwar einen gewissen Tunnelblick, weil einige sagen: Mensch, ich hab doch gegrüßt, warum haste nicht zurück? Wenn Du so fokussiert bist auf das Spiel und man hat dann da Dinge im Kopf, wie das jetzt so weit laufen wird und so weiter. Da kann man auf den Einzelnen nicht mehr so achten. Das puscht einen dann dementsprechend noch höher. Adrenalin steigt und so weiter. Dementsprechend hat man denn versucht, es so weit zu bringen, dass man am Ende als Sieger vom Platz geht."
Der ganze Stadtteil war Ohrenzeuge der Spiele. Werner Spaeth vom Bürgerverein Donnerschwee wohnt nur dreihundert Meter vom Platz entfernt und erinnert sich: "Man hörte eben anhand des Raunens, des Pfeifens – uuiiii und uuuhhh – dann hatten sie wieder irgendwo einen Ball versemmelt. Oder dann eben der frenetische Jubel, wenn dann das Tor gefallen und das Spiel gewonnen war."
Trauer nach dem letzten Abpfiff
1991 erfolgte der letzte Abpfiff. Ein Fragment der Backsteinmauer gibt es heute noch am alten Standort, einige weitere in manchen Gärten, so Falkenberg. "Es gab viele, die Backsteine mitgenommen haben. Und ich weiß das noch, beim letzten Spiel gegen Freiburg, das war 'eine sehr, sehr trübe Stimmung, kann ich wohl sagen. Die Leute wussten also, hier ist jetzt Schluss. Das war nicht einfach für den echten VfB-er, für den Fußballfan, zu verkraften."
Und für Anwohner wie Spaeth war es ungewohnt: "Es war eher, das etwas fehlte. Weil wir uns früher auch nicht gestört gefühlt haben, sondern so ein bisschen davon mitbekommen haben. Und es gehörte einfach dazu in Donnerschwee."
Eigenheiten des Osnabrücker Stadiums
Ganz ähnlich, wie das Stadion an der Bremer Brücke zum Stadtteil Osnabrück-Schinkel gehört. Seit mehr als 85 Jahren. Enge Straßen, Wohnhäuser, Kneipen, das Stadion stiftet Identität. Die Flutlichter erhellen eine Umgebung, die sonst eher nicht leuchtet, erklärt der Historiker Heiko Schulze. "Diese Bremer Brücke liegt in einem klassischen Arbeiter- Stadtteil, mitten in Wohnbereichen.
Es gehört zur Geschichte, dass man immer Mietswohnungen auf allen Seiten fast sehen kann. Ein Stadion, in dem man reingeht, wo es relativ schnell wieder nach gebratenen Würsten und Frikadellen riecht und so etwas zum Fußball dazugehört. Wo großformatig alte frühere Spieler zu sehen sind, um diese Tradition aufrecht zu erhalten."
Immer mal wieder wurde an- oder umgebaut. Damit bekommt das Stadion zwar keinen Architekturpreis, hat sich aber seine Eigenheiten bewahrt. Dazu Schulze: "Zum Beispiel die berühmte 'Omas Ecke', wo eine alte Dame über fast 50, 60 Jahre verhindert hat, dass dieses Stück an den VfL verkauft wird, damit das Stadion vernünftig in der Ecke ausgebaut werden konnte. Aber das gehört irgendwie auch optisch zu diesem Stadion dazu. Es ist was Authentisches."
Sorge um die Zukunft des Stadions
Nur die Gelegenheit, Fußball zum Nulltarif zu schauen, gibt es heute nicht mehr. "Ich hab früher immer unseren Pastor regelmäßig da stehen sehen, wo so eine Mauer umsonst das Angucken des Spieles ermöglichte", sagt Schulze. "Der Kopf mit roten Haaren war dann immer zu sehen. Früher kletterten Leute auch auf irgendwelche Reklametafeln oder auf Bäume, die da in der Nachbarschaft waren. Das gehört zur Stadiongeschichte dazu."
Aktuell sorgen sich die Fans darum, dass das Stadion selbst in absehbarer Zeit Geschichte sein könnte. Denn der sportliche Erfolg des Zweitligisten VfL Osnabrück sorgt für Gedankenspiele um einen Neubau an ganz anderer Stelle.