Fußballtrainer Petar Šegrt

"Als Nationaltrainer ist man in vielen Ländern immer politisch"

34:23 Minuten
Petar Šegrt, 2015 Trainer der afghanischen Nationalmannschaft, während der Pressekonferenz zur WM-Qualifikation.
"Ich wollte immer etwas Soziales machen", sagt Peter Šegrt. So versteht er auch seinen Job als Fußballtrainer, zum Beispiel bei der afghanischen Nationalmannschaft. © imago / AFLOSPORT
Moderation: Marco Schreyl |
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Petar Šegrt ist als Fußballtrainer an viele Orte gelangt, oft arbeitete er in sogenannten Krisenregionen. Von Georgien bis Afghanistan schien ihm keine Lage zu schwierig. Auch in seinem eigenen Leben war Sport ein Weg, Hoffnung und Respekt zu finden.
Fußball ist sein Leben – dafür reist Petar Šegrt um die Welt und geht manches Risiko ein. Der deutsch-kroatische Fußballlehrer trainierte in Georgien, Bosnien, Indonesien, auf den Malediven. Eine der prägendsten Stationen war Afghanistan. Dorthin kam er 2015 als Nationaltrainer.
Noch heute erinnert sich der 55-Jährige an seine Ankunft in dem von Krieg zerstörten Land. Bewacht von schwer bewaffneten Bodyguards laufen ihm Kinder mit Blumen entgegen. "Da war einer dabei, der hatte nur einen Schuh. Und dieser Junge hat es mir total angetan. Er war ungefähr so sechs, sieben Jahre alt, und dann habe ich ihn über den Dolmetscher gefragt, wo denn der andere Schuh ist? Dann sagt er: 'Trainer, ich brauche nur einen, ich habe nur ein Schussbein'. In dem Augenblick habe ich mir gedacht: Mensch, für diese Kinder musst du was machen. Ich habe den Jungen dann später auch noch ein paar Schuhe mitgebracht."

"Ich wollte immer etwas Soziales machen"

Sein Motiv, was ihn bis heute antreibt: "Ich wollte immer in meinem Leben etwas Soziales machen. Ich wollte mein Leben lang mit dem Fußball etwas Positives für die Menschen bewirken."
Petar Šegrt muss auch viele Probleme ausräumen, zum Beispiel die Konflikte zwischen den afghanischen Spielern, die als Flüchtlinge ins Land zurückgekommen sind und jenen, die die Kriegszeit in Afghanistan durchgemacht habe. Doch er schafft es gegen viele Widerstände, eine Nationalmannschaft zu formen. Davon erzählt auch der Dokumentarfilm "Men of Hope".
Die Zeit in Afghanistan habe ihn nachhaltig geprägt, so Šegrt.
"Ich glaube, dass kaum ein Mensch in unserer Region einschätzen kann, wie gut und wie sicher wir leben. In Afghanistan gehen Kinder zur Schule und bevor sie das Haus verlassen, drücken sie die Eltern noch mal. Denn sie wissen nicht, ob sie am Nachmittag noch den Papa oder die Mama sehen."

Erlebnisse als "Gastarbeiterkind"

Petar Šegrt wird 1966 im damaligen Jugoslawien geboren. Als er zwei Jahre alt ist, gehen die Eltern zum Arbeiten nach Deutschland, er und sein Bruder werden getrennt und bleiben bei Verwandten. Als sie nach Deutschland geholt werden, darf er als "Gastarbeiterkind" nicht in den Kindergarten, bringt sich selbst Deutsch bei, indem er die Aufkleber auf Flaschen auswendig lernt. Der Fußball hilft ihm, sich einzuleben. Sportlich steigt er schnell auf, trainiert eine Jugendmannschaft, mit 21 holt er den ersten Meistertitel. "Da war mir klar: Ich werde irgendwann mal Fußballtrainer."
Das will er auf ordentliche Füße stellen, doch dafür benötigt Petar Šegrt die deutsche Staatsbürgerschaft. Um aus der jugoslawischen entlassen zu werden, muss er jedoch Dienst bei der Armee leisten. Eine Zeit, die ihn nachhaltig belastet: "Ich habe unglaublich schreckliche Dinge gesehen, habe gesehen, was Menschen einander antun."
Zurück in Deutschland, versucht er alles, um seine Familie in den Kriegswirren zu Beginn der 90er-Jahre zu unterstützen. Als schließlich eine schwere Verletzung seine aktive Fußballkarriere jäh beendet, bricht er in Deutschland alles ab.
"Ich habe dann alles verkauft. Alles, was ich besessen habe – und bin dann ein Jahr um die Welt gegangen."
Seine Hoffnung: "Auch für mich innerlich etwas Frieden zu finden. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Ich glaube, dass es sinnvoller wäre, junge Menschen ein Jahr um die Welt zu schicken als in die Armee."

Rede vor 200.000 Menschen

Der Job als Fußballtrainer führt ihn danach weiter um die Welt. 2006 trainiert er die Nationalmannschaft von Georgien und erlebt den Krieg mit Russland. Auf einer Demonstration hält er eine Rede vor über 200.000 Menschen: "Ich glaube, dass man als Nationaltrainer in vielen Ländern immer politisch ist. Ich wollte den Menschen etwas Positives geben."
Nach seiner Zeit in Afghanistan übernimmt Petar Šegrt 2018 die Nationalmannschaft der Malediven, sie werden Südasienmeister. Nach seiner Rückkehr durchkreuzt die Corona-Pandemie seine weiteren Reisepläne. Und wie soll es weitergehen? "Ich würde auch gern mal wieder sesshaft werden, in Ruhe arbeiten. So wie der Jogi, der 15 Jahre in Deutschland arbeiten durfte. Das wäre auch eine tolle Geschichte."
(sus)
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