"Die Kunst des Krieges" heißt eine fünfteilige Serie in "Kompressor", die den formal-ästhetischen Umwälzungen während des Krieges nachspürt - in Bildender Kunst, Theater, Film und Musik.
Die Stunde der Angriffslustigen
Mit seiner Wucht und Brutalität war der Erste Weltkrieg ein Epochenereignis, auf das auch die Kunst reagierte. Futurismus und Dada erlebten ihren Durchbruch, indem sie den Krieg in neue Darstellungsformen übersetzten.
(Ausschnitt aus Lautgedicht "Zang tumb tumb" von Filippo Tommaso Marinetti)
Dieses Lautgedicht des italienischen Futuristen Filippo Tommaso Marinetti wirkt wie die Vorwegnahme des Ersten Weltkriegs. Veröffentlicht wird es 1914. Italiens künstlerische Avantgarde fordert damals vehement den Kriegseintritt an der Seite von Frankreich und England. Als dies 1915 geschieht, drängen die Futuristen zu den Waffen. Marinettis Verherrlichung des Krieges im ersten futuristischen Manifest wird zur blutigen Realität. Dabei wollte das Künstlermanifest, 1909 im Pariser "Figaro" auf der Titelseite publiziert, vor allem der etablierten Kultur und Italiens Vergangenheitssehnsucht, verkörpert in Akademien und Museen, ein Ende bereiten.
Literatur als angriffslustige Bewegung
Für die Literatur fordert der Schriftsteller Marinetti "angriffslustige Bewegung", Laufschritt, Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag. Tatsächlich ist sein Lautgedicht "Zang tumb tumb" in Folge des italienisch-libyschen Krieges von 1912 entstanden, den er als Kriegsberichterstatter miterlebt. Dort kommen zum ersten Mal Flugzeuge zum Einsatz, die Bomben abwerfen. Und Flugblätter, "manifesti", die den Feind zur Aufgabe bewegen sollen. Sind diese vom Himmel flatternden Flugblätter die Inspiration für Marinettis "parole in libertà", für die von Syntax, Versmaß und Logik befreiten Wörter, wie er sie in seinem Lyrikband "Zang tumb tumb" von 1914 in entsprechender Typografie vorführt?
(Ausschnitt aus "Zang tumb tumb")
Die futuristischen Manifeste, die einander pausenlos folgen, sind ein künstlerischer Luftangriff auf die Bastionen der traditionellen Kultur. Vor allem mit den "serate futuriste", den tumultuösen Abendveranstaltungen, machen sich die Futuristen in Italien bekannt. Alle Register werden gezogen, sämtliche Genres durchmischt: die Beleidigungsrede, die neue Lyrik, die dynamische Malerei von Umberto Boccioni, Gino Severini, Giacomo Balla und Carlo Carrà, theatralische Performances, Ohrfeigenattacken und Prügeleien.
Amüsement und Entsetzen beim Publikum
Das Publikum folgt den Darbietungen in einer Mischung aus Amüsement und Entsetzen. Vor allem die Geräuschmaschinen, die Luigi Russolo entwickelt hat, um den Lärm der technisierten Welt und der Großstadt zu simulieren, sorgen für Spott und Aufruhr.
"Wir wollen in die Musik alle neuen Haltungen der Natur hineintragen. Der Masse, den große Industriebetrieben, Zügen, Ozeandampfern, Panzerkreuzern, Automobilen und Flugzeugen die musikalische Seele geben ..."
...so heißt es im Manifest der futuristischen Musiker von 1910.
Und wirkt es nicht so, als höre man in dieser Geräuschmusik schon die Sirenen des Ersten Weltkriegs? Die Maler Giacomo Balla, Umberto Boccioni und Gino Severini jedenfalls lassen die Farben und die Leinwand explodieren. Sie geben ihrer Begeisterung für Geschwindigkeit, für Rennwagen, Flugzeuge und Massentumulte Ausdruck in Bildern, die den rasanten perspektivischen Wechsel feiern. Sie zerlegen und multiplizieren die Formen, simulieren Zeit und Bewegung durch überblendete Wiederholungen.
Herbeigesehntes Ende der Alten Welt
Der Erste Weltkrieg, von der italienischen Künstleravantgarde als Ende der Alten Welt herbeigesehnt, ist ein schrecklicher Aderlass für die junge Bewegung. 13 Futuristen verlieren das Leben, darunter der begabte Boccioni und der Architekt Sant'Elia, der in seinen eleganten Zeichnungen eine auch heute noch verblüffende Zukunftswelt entworfen hat. Noch während des Krieges gründet Marinetti die "Futuristische Politische Partei". Damit beginnt die ideologische Annäherung an Mussolinis Faschismus, 1924 wird Marinetti sogar vorübergehend italienischer Kultusminister.
Das futuristische Manifest von 1909 propagiert die Gefahr, die Energie, die Waghalsigkeit, den Kampf, den neuen Menschen, die technische Welt der Zukunft. So entwirft der Futurismus die Moderne. Und so wird er zum Taufpaten der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts.