Hamburg im Ausnahmezustand
Ist es wirklich eine gute Idee, den G20-Gipfel mitten in einer Millionenstadt abzuhalten? In Hamburg wird debattiert: über das Übernachtungsverbot in Zelten, mögliche Polizeieinsätze auf dem Schulhof und die Kriminalisierung friedlich Protestierender.
Besonders entspannt scheint die Stimmung ausgerechnet im Karolinenviertel zu sein, in dem Quartier, in dem die Messehallen, das Tagungszentrum des Gipfels, liegen. Die Marktstraße ist so etwas wie die Hauptstraße des Karo-Viertels. Mit Cafés, kleinen Läden, einige davon im Souterrain. Einen Bioladen gibt es, kleine Schneidereien und gut sortierte Boutiquen. Davon, dass gleich um die Ecke, nur ein paar hundert Meter entfernt der G20-Gipfel stattfindet, lässt sich hier kaum jemand beeindrucken.
Aber vorbereitet möchte man schon sein, erzählt ein junger Mann vor einem der Klamottenläden, Spraydose in der Hand, das T-Shirt mit Farbe bekleckert:
"Das ist ein Shop und wir haben eine LKW-Plane davor gemacht damit die Scheiben nicht eingeschlagen werden. Also beides."
Vegane Buletten auf dem Grill
Hellgelbe, rote und pinke Farblinien fließen von oben die Plane hinunter, gerade klebt noch die Schablone für eine tanzende Steetart-Ballerina auf der LKW-Plane. Daneben legt ein DJ seine Vinyl-Platten auf, aus einem Grill schlagen hohe Flammen, bald können die ersten Würste, die ersten veganen Buletten gegrillt werden.
Auch Ruben Jonas Schnell, Chef des Internetradiosender ByteFM, der gleich in der Nähe im alten Weltkriegsbunker untergebracht ist, sieht den Gipfeltagen gelassen entgegen: "Nicht zum Programm kommen können."
Natürlich sollen sich die Mächtigen der Welt treffen können, so Ruben Jonas Schnell. Aber: "Inkonsequent."
Im kleinen Kiosk, betrieben von einer türkischen Familie, steht Mustafa Kudu, der Sohn des Chefs hinter seinem Tresen, hinter Schokoriegeln und Bonbons, vor der ganzen Palette von Zigarettenpackungen. Natürlich bleibe der Laden auch während der Gipfeltage geöffnet, erklärt der junge Mann.
Die ganze Familie freut sich auf den Besuch des Mannes, den sie verehren: Recep Tayyip Erdogan. Hinten im Laden zeigt er stolz ein ganz besonders Foto:
"Weiß nicht viel über seine Politik."
Mustafa Kudu zuckt mit den Schultern, kehrt hinter seinen Tresen zurück. Gleich gegenüber lässt sich der Kanadier James Friesendorf die Sonne ins Gesicht scheinen, dunkle Sonnenbrille, vor sich einen Kaffee. Auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau wird nach Hamburg kommen, zu einem Gipfel, den die wenigsten im Viertel sich herbeigesehnt haben.
"Ich hoffe, es bleibt so friedlich."
Über zehntausend Menschen waren schon am Sonntag in Bewegung, der Demonstrationszug zog vom Rathausmarkt rund um die Hamburger Binnenalster, mit Fahnen, Transparenten: "Schluss mit dem Drohnenkrieg!", "Gerechte Welt statt G20", "Kohle stoppen!" forderten sie, junge und alte, Eltern mit ihren Kindern.
Bunte bürgerliche Anti-G20-Demonstration
Timo Zill, Sprecher der Hamburger Polizei blickte zufrieden auf den mittlerweile fast leeren Rathausmarkt:
"Diese Demonstration ist im Grund genommen ein großer, bürgerlicher, breiter Protest. Es ist bunt! 10.500 haben sich jetzt hier auf den Marschweg gemacht, es ist alles friedlich geblieben bisher und unsere Einschätzung ist, dass es auch friedlich bleibt."
Acht Stunden später kam es dann zur ersten Eskalation, die Polizei rückte an anderer Stelle mit einem Großaufgebot an. Im Elbpark Entenwerder, weit ab der Innenstadt hatten G20-Gegner ihre Zelte aufgebaut. Und das sei verboten, urteilt die Polizeiführung. In der beginnenden Dämmerung riegelten Polizeiketten die 16.000 Quadratmeter große Fläche ab. Pfefferspray kam zum Einsatz, während einer der Sprecher des linksautonomen Zentrums "Rote Flora" den Abbruch der Polizeiaktion forderte:
"Stoppen Sie diesen rechtswidrigen Einsatz."
Unter dem Protest der Aktivisten wurden elf Zelte beschlagnahmt, ein G20-Gegner festgenommen. Zwar hatte erst kurz zuvor das Hamburger Verwaltungsgericht entschieden, dass ein Camp von Gipfelgegner im Entenwerder Elbpark nicht einfach verboten werden darf.
Nach Ansicht der Polizei gelten dabei aber die gleichen Regeln, die auch für das bereits aufgebaute Camp im Altonaer Volkspark gelten, erklärt Polizeisprecher Timo Zill:
"Wir haben immer deutlich gemacht: Gerade auch Übernachtungszelte wird es dort eben nicht geben, werden nicht aufgebaut. Und das muss man dann ein Stück weit auch überprüfen."
Übernachten im Zelt verboten
Während der Gipfeltage dürfen nur Versammlungszelte genutzt werden, Übernachtungen darf es in den G20-Protest-Camps aber nicht geben. Sonst, so die Begründung der Polizei, könnten die Zeltstädte als Rückzugsort für gewaltbereite Gipfel-Gegner dienen. Die Warnungen vor Gewalttätern bestimmten auch den Besuch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Hamburg kurz vor dem Start des Gipfels. Nach dem Händeschütteln mit Mitgliedern der Kommunikationsteams der Polizei und einer hochgerüsteten sogenannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, trat der Minister an der Seite von Hamburgs Innensenator Andy Grote vor die Presse:
"Gewalttätiger Protest kann sich nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen und wird unterbunden. Ich finde, die Haltung, die hier von Hamburg gezeigt wird – eine Mischung von Gelassenheit und Entschlossenheit – genau richtig. Das entspricht dem Wesen unserer freiheitlichen Demokratie und das wird auch so durchgehalten."
Wie gefährlich die geplanten Camps von Gipfelgegnern seien, würden die Funde bei zwei Hausdurchsuchungen von radikalen Protestlern im Vorfeld des G-20-Treffens belegen, erklärt Hamburgs Innensenator Andy Grote:
"Wir haben ein erschreckendes Arsenal an Waffen und anderen Gegenständen zur Durchführung von Straftaten gefunden. Von Pyrotechnik über Wurfmesser, über Baseballschläger, über Präzisionszwillen mit Stahlkugeln – all das, was unsere Polizistinnen und Polizisten dann im Einsatz auf der anderen Seite erleben werden oder zu befürchten haben. Und wir haben eine klare Erkenntnislage, dass für diese extremistischen Strukturen die Camps eine ganz zentrale Rolle spielen."
Friedlich Protestierende werden kriminalisiert
Andreas Beuth, nach eigenen Angaben Rechtsanwalt im aktiven Ruhestand und in vielen Verfahren Verteidiger der linksautonomen Szene spricht dagegen von einer Kriminalisierung eines breiten, und größtenteils friedlichen Protests. Zusammen mit seinen Mitstreitern hatte er der Polizei ein Ultimatum bis Dienstagmorgen um zehn Uhr gesetzt: Zentrale Camps zum Übernachten müssten zugelassen werden, ansonsten würde an vielen Orten in der Stadt wilde Camps errichtet werden.
Die Polizei – kaum verwunderlich – ließ diese Frist verstreichen. Und räumte schon am Abend eines dieser wilden Camps im kleinen Hamburger Gählerpark. 300 Beamte rückten gegen 200 Protestierer und ihre elf kleinen Zelte vor.
Eine halbe Stunde später waren alle Zelte abgeräumt. Einer Handvoll Demonstranten wird Pfefferspray in die Gesichter gespritzt. Alles in allem bleibt und trotz des lautstarken Protests dagegen verläuft die Konfrontation ohne Ausschreitungen.
Christiane Schneider, Mitglied der Linken in der Bürgerschaft, kritisiert den Einsatz der Polizei noch vor Ort:
"Das ist halt die Linie: Kein Rechtsbruch wird geduldet. Das ist ein Verstoß gegen Auflagen, das ist ja noch nicht einmal ein Rechtsbruch, also eine Ordnungswidrigkeit und da mit die Hundertschaften zu kommen, das ist wirklich unverhältnismäßig. Und so agiert die Polizei ja die letzten Tage schon: unverhältnismäßiger Einsatz gegen friedliche Proteste."
Infoabend an einer Schule in Gipfelnähe
Große Sorgen vor Zusammenstößen machen sich auch die Eltern schulpflichtiger Kinder. Die Schule Altonaer Straße liegt nur wenige hundert Meter von der sogenannten "Roten Zone" entfernt, die besonders streng bewacht wird. Hier könnte es zu Zusammenstößen kommen. Beim Informations-Abend der Polizei an der Schule ist die Aula brechend voll.
Der Leiter der nahegelegenen Wache gibt Auskunft, womit an den Gipfeltagen zu rechnen ist:
"Speziell bei der Schule ist es so, dass wir an den relevanten Tagen Herrn Fangmann, das ist der zuständige 'Cop for You', den werden wir hier dauerhaft an der Schule haben. Das heißt, wir werden darüber die aktuellen Informationen über Funk, über Telefon umsetzen, damit hier eine sehr unmittelbare Information an die Schulleitung, an die Lehrer erfolgen kann."
Wirklich beruhigen kann der Beamte die Eltern nicht. Ja, es könne auch sein, dass es vor dem Schulgebäude zu Ausschreitungen kommt und ja, auch ein Polizeieinsatz auf dem Schulhof sei denkbar, aber ziemlich unwahrscheinlich.
Sorge und Wut bei manchen Eltern
Nach dem Info-Abend gehen die Diskussionen über den G20-Gipfel auf dem Schulhof weiter:
"Ich habe kein gutes Gefühl. Vor allem nicht, weil ich die Bedrohung sehe, dass hier wahnsinnig viel Polizei steht. Und meine Kinder haben Angst davor. Und davor möchte ich sie gerne schützen. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass hier in vollem Umfang gesagt wird, wie es wirklich sein wird."
"Die Wut richtet sich jetzt nicht gegen die Leute, die vorne saßen, sondern die Verantwortlichen, die die Entscheidung getroffen haben, hätten hier sitzen müssen und sich das anhören müssen. Und dementsprechend eine andere Entscheidung treffen müssen und nicht das in einem Stadtgebiet abhalten."
Viele Eltern wollen das Angebot der Schulbehörde annehmen, ihre Kinder am Donnerstag und Freitag zu Hause zu lassen. Zu unwägbar scheint das, was im Schanzen- und dem Karolinenviertel während des Gipfels passieren könnte.
Viele werden frühzeitig die Stadt verlassen, andere wiederum verstehen die ganze Aufregung nicht:
"Also, ich finde das gut! Die Leute sollen her, dann wird Hamburg bekannt! Ist doch gut. Ich denke, Hamburg ist eine weltoffene Stadt oder ist das ein Dorf?"
"Der Effekt ist ja häufig übersichtlich. Aber ich finde gut, dass generell eine Gesprächssituation da ist unter international Mächtigen. Muss ich sagen."
GSG 9 und Scharfschützen im Gipfel-Einsatz
Insgesamt sollen 19.000 Beamte von Landes- und Bundespolizei den Gipfel schützen. Dazu kommen noch rund 1000 Beamte des Bundeskriminalamts. Die GSG 9 wird vor Ort sein, Amtshilfe leisten auch österreichische und niederländische Spezialeinheiten. In den Dachkammern in der Nähe der Messehallen werden Scharfschützen postiert. Und längst ist der Secret-Service der Amerikaner in Hamburg unterwegs.
Vor den Toren der Stadt hat die Polizei eine Gefangenen-Sammelstelle in einem einstigen Baumarkt aufgebaut. Drinnen stehen dicht an dicht weiße Stahlcontainer. Mit zwei Riegeln an der Tür und einer glatten, harten Liegefläche.
"Hier sehen sie ein Containermodul mit acht Einzelzellen. Die Sammelzelle hat neun Quadratmeter, die Einzelzelle 3,2 Quadratmeter. Die Räume sind klimatisiert. Wir haben hier dimmbares Licht. Das heißt, auch zur Nachtzeit besteht die Möglichkeit natürlich das Licht ein bisschen runter zu dimmen, damit die Personen, die sich hier befinden, auch schlafen können. Wir haben Türspione."
Und Platz für 400 in Gewahrsam oder festgenommene G20-Gegner. Acht Arbeitsplätze stehen für Rechtsanwälte zur Verfügung. Und auf dem gleichen Gelände stehen – getrennt durch einen Zaun – die Container, in denen Richterinnen und Richter darüber entscheiden können, ob Festgenommene in Haft bleiben dürfen oder nicht.