Programmtipp: In unserer Sendung Fazit - Kultur vom Tage berichtet Redakteurin Claudia Wheeler ab 23:08 Uhr über die Ausstellung.
"Wir brauchen keine weiteren Helden"
Mit Gabi Ngcobo leitet zum ersten Mal eine afrikanische Kuratorin die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die am Samstag beginnt. Unter dem Motto "We don't need another hero" wolle sie eine Ausstellung zeigen, die viel zum Sehen und Fühlen bietet, sagt die Südafrikanerin.
Am Samstag startet die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (9. Juni - 9. September 2018). Sie findet alle zwei Jahre statt. Das Motto "We don´t need another hero" habe man sich von der Sängerin Tina Turner ausgeliehen, sagt die Südafrikanerin Gabi Ngcobo, die diesmal die Schau kuratiert.
Die Ankündigung dieser Berlin Biennale war ein "Aufreger". Nicht nur, weil in Ngcobo zum ersten Mal eine afrikanische Kuratorin als Leiterin der renommierten Ausstellung verpflichtet wurde. Das Pressefoto mit den vier Co-Kuratoren zeigte ein rein schwarzes Team. Ngcobo hat diese Reduzierung auf die Hautfarbe sehr geärgert.
Was will Gabi Ngcobo mit ihrer Biennale? Knüpft sie an den postkolonialen Diskurs an, der gerade in vielen Museen geführt wird? Und brauchen wir wirklich keine neuen Helden?
Dieter Kassel: "We don´t need another hero": Warum ist gerade dieser Song titelgebend für die Biennale?
Gabi Ngcobo: Ich würde eher sagen, dass wir den Titel des Songs ausgeliehen haben, nicht, dass wir die Biennale nach dem Song benannt hätten. Wir stecken damit eine Position ab. Es ist nicht notwendigerweise das Thema, aber eine Botschaft an die Vergangenheit und an die Zukunft. Der Song ist natürlich eine Referenz – und für uns war es interessant zurückzublicken in die Zeit, in der dieses Lied geschrieben und gesungen wurde, auch in Verbindung mit dem Film "Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel" von 1985, und dabei festzustellen, wie relevant sowohl dieser Film als auch der Text dieses Songs für uns heute sind. 1985 war ein Jahr, dem viele historische Momente folgen sollten, es war nicht unbedingt 1989, aber es ging jenen historischen Veränderungen voraus, die neue Helden oder neue politische Protagonisten hervorbringen sollten.
Wie sieht ein Held aus?
Kassel: Warum brauchen wir keine Helden mehr?
Ngcobo: Es ist nicht so, dass wir keine weiteren Helden brauchten. Aber die Frage muss lauten: Wenn wir wirklich Helden brauchen, was für Helden sollen das sein? Wie sieht ein Held aus? Welche Charakteristika muss ein Held haben? Für uns ist ausschlaggebend, dass bestimmte Machtpositionen so schädlich geworden sind, und wir deshalb erneut herausfinden müssen, was wir brauchen und was es bedeutet zu sagen, wir brauchen keine weiteren Helden. Im Verlauf der Geschichte hat es natürlich viele Menschen gegeben, deren Beitrag zur Menschheit global keine Anerkennung gefunden hat, auch Menschen, die in marginalisierten Gesellschaften täglich wichtige Arbeit leisten und sich um so viele Menschen und um sich selber kümmern. Das ist eine Frage der Hierarchie und der Macht und eine Frage nach der Geschichte – was verschwiegen und was bekannt wird, was die offizielle Wahrheit ist und was die unbekannte Wahrheit ist.
Recherche in der Karibik
Kassel: Weil Sie die Kuratorin sind, erwarten viele nun einen südafrikanischen Blick auf die aktuelle Kunst. Wollen Sie diese Erwartungen erfüllen?
Ngcobo: Ja, ich finde das in gewisser Weise unfair. Aber gleichzeitig komme ich in der Tat aus Südafrika und bestimmte Dinge haben die Person, die ich bin, beeinflusst. Ich habe in vielen verschiedenen Kontexten gearbeitet und auch in Südafrika selber versuche ich, wenn ich arbeite, die ganze Welt im Kopf zu haben. Die Erwartungen, dass diese Biennale nun also genau so sein würde, zwingen uns nun dazu, uns zu erklären - und zu klären, wer wir nicht sind. Dadurch sind vielleicht auch interessante Gespräche entstanden und Arbeitsweisen, die gegen diese Eindrücke vorgehen. Für mich als Südafrikanerin sind bestimmte geographische Orte sehr wichtig, darunter natürlich Europa und Nord- und Südamerika. Für meine Haupt-Recherchereise bin ich zum Beispiel in die Karibik gefahren, weil ich dort noch nie war und ich dachte, dass ich es mir nicht länger leisten konnte, ohne diese Region in meiner Arbeit fortzufahren. Das heißt nicht, dass man in die Karibik fährt und sie nach Deutschland oder Berlin bringt, sondern dass sich dadurch die eigene Weltsicht ausweitet. Ich hoffe, dass all die Dinge, die mich auf dieser Reise bewegt haben, nicht unbedingt überdeutlich sichtbar, aber doch Teil der Erfahrung der Berlin Biennale werden.
"Wir sind zu einer sehr interessanten Zeit nach Berlin gekommen"
Kassel: Wie globalisiert ist die zeitgenössische Kunst?
Ngcobo: "Man arbeitet vom Boden ausgehend. Oder man versucht, den Boden zu finden, aber der ist konstant in Bewegung. Wir suchen nach einer Position in einem Berlin, das sehr stark mit den dringenden Fragen unserer Zeit beschäftigt ist, es gibt Debatten über die Geschichte Deutschlands und auch Afrikas zum Beispiel, Deutschlands koloniale Vergangenheit. Ich denke, wir sind zu einer sehr interessanten Zeit nach Berlin gekommen, in der viele Menschen diese Debatten verfolgen. Das macht unsere Arbeit je nach Blickwinkel schwieriger oder leichter. Es geht um den Raum in der Mitte – die Prozesse zu erkennen, die bereits stattfinden, zu versuchen eine Position zu finden und auch mit dem Unbekannten zu arbeiten – mit Dingen, von denen wir nicht wissen, wie sie sich entwickeln werden. Bei der Ausstellung geht es also nicht exakt darum, festzulegen, was passieren wird, sondern bestimmte Situationen zu schaffen, die sich gegenseitig anregen können oder auch von einander abkehren lassen. Es gibt also eine Veränderung im kuratorischen Raum, im Ausstellungsraum, aber auch im geistigen Raum, im historischen Umfeld – mit all diesen Räumen hoffen wir uns auf globaler Ebene befassen zu können. Aber natürlich kann eine Ausstellung nicht jeden zufriedenstellen. Man versucht, eine Ausstellung auf eine Art und Weise zu inszenieren, dass die Leute die Möglichkeit haben, bestimmte Assoziationen zu haben, ohne dass man als Ausstellungsmacher zu viel erklären muss. Wir konzentrieren uns auf bestimmte Ausgangspunkte und von da an sollen die Leute in der Lage sein, selber ihre Schlüsse zu ziehen.
Ihr Traum von der Biennale
Kassel: Machen Sie sich Gedanken darüber, wie politisch die Ausstellung sein soll? Was das überhaupt genau sein soll: politische Kunst?
Ngcobo: Ja, ich denke über solche Dinge nach. Aber sie dienen mir nicht als Richtlinien. Ich habe geträumt – denn für mich hat das eine Menge mit Träumen zu tun – ich habe von einer Ausstellung geträumt, die viel mehr zum Sehen und viel mehr zum Fühlen bietet und überhaupt viel mehr macht als es eine Ausstellung normalerweise tut. Ob wir das schaffen oder nicht, ist eine andere Frage, aber ich suche immer nach dem Statement, das über die Welt der Werbung hinausgeht. Ich denke, alles ist politisch, alles kann politisiert werden, das Persönliche ist politisch und so lädt sich auch die Tatsache, dass ich auf der Welt bin und zum U-Bahnhof gehe mit politischen Inhalten auf, derer ich mir in meinem Körper bewusst bin und die ich vielleicht auch bei anderen Menschen auslöse. Ich schrecke eher davor zurück, direkt auf Dinge zu zeigen und zu sagen, das ist solche Kunst und das ist solche Kunst, für mich ist es Nichts, wenn es nicht politisch ist.
Gabi Ngcobo war 2007 Kuratorin der ersten Großausstellung zeitgenössischer Kunst in Kapstadt. Drei Jahre später gründete sie gemeinsam mit anderen Kunstschaffenden das "Center for Historical Reenactments" in Johannesburg, das untersuchte, wie historische Vermächtnisse in der zeitgenössischen Kunst aufgegriffen und verarbeitet werden. 2015 war sie an einer Schau mit alter und neuer afrikanischer Kunst im Frankfurter Weltkulturenmuseums beteiligt. Vor zwei Jahren war sie Mitkuratorin der Biennale Sao Paulo. Ngcobo ist Mitbegründerin der Plattform NGO (Nothing Gets Organised) und Dozentin an der Wits School of Arts in Johannesburg.