Gabriela Garcia: "Von Frauen und Salz"

Eine Einwanderungsgeschichte ohne Klischees

05:37 Minuten
Buchcover "Von Frauen und Salz"
© Claassen Verlag

Gabriela Garcia

Aus dem Englischen von Anette Grube

Von Frauen und SalzClaassen, Berlin 2022

304 Seiten

22,00 Euro

Von Sonja Hartl |
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Eine Zigarrenfabrik im Kuba des 19. Jahrhundert, Nachtclubs in Miami und ein Familiengefängnis in Texas: Gabriela Garcia erzählt von sechs Frauen aus fünf Generationen in vier Ländern. Alle kämpfen für ein besseres Leben.
Miami, 2018: Carmen bangt um das Leben ihrer drogensüchtigen Tochter Jeanette, die wieder einmal rückfällig geworden ist. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, die gesamte Vergangenheit zu sehen, alle Weggabelungen, vielleicht hätte ich dann eine Antwort auf das Warum: Warum ist unser Leben so verlaufen.“
Die zwölf miteinander verbundenen Erzählungen suchen in Gabriela Garcias „Von Frauen und Salz“ einige dieser Weggabelungen auf. Von 1866 bis 2018 umspannen sie wichtige Momente im Leben von sechs Frauen aus fünf Generationen in vier Ländern.

Lebenswege eingewanderter Frauen

María Isabel dreht 1866 Zigarren in einer Fabrik in Camagüey auf Kuba und findet Hoffnung in der ersten spanischen Übersetzung von Victor Hugos „Les Misérables“, die ihre Ur-Ur-Enkelin Jeanette 2015 wiederfindet und deren monetären Wert sie als Ex-Junkie sofort erkennen wird. Ein Jahr zuvor hatte Jeanette gerade einen Entzug hinter sich und für kurze Zeit die Tochter ihrer Nachbarin Gloria aufgenommen, die von der Einwanderungsbehörde mitgenommen und in ein „Familiengefängnis“ in Texas gesteckt wurde – eine Abschiebehaftanstalt für Mütter und ihre Kinder.
Nachdem Jeanette die Tochter der Polizei übergeben hat, trifft sie dort auf ihre Mutter und zusammen werden sie nach Mexiko abgeschoben. In Glorias Heimatland El Salvador können nicht zurück: Einst floh Gloria in die USA, um der Gang-Gewalt dort zu entkommen. Ein Wiedersehen wird es zumindest von zwei dieser drei Figuren geben. 

Geschichten über Ausbeutung und Gewalt

Die unterschiedlichen Handlungsorte und -zeiten verweisen auf Geschichten, die nicht erzählt werden, aber auch auf die vielen Verbindungen zwischen den zentralen Frauenfiguren, die ihnen selbst meist unklar sind: Sie sind Opfer von Gewalt, über die sie schweigen – der kolonialistischen, kapitalistischen und patriarchalen Ausbeutung ihres Körpers und ihrer Länder und der Einwanderungs- und Drogenpolitik der USA. Geschichte und Politik schreiben sich in Land und Menschen ein, wie in diesem poetischen und vielschichtigen Buch sehr deutlich wird.
Die Erzählungen unterscheiden sich im Stil, in der Sprache und in den Perspektiven, in allen zeigt sich Garcias Gespür für Rhythmus und Metaphern. Dazu widerlegen sie klischeehafte Vorstellungen und Mythen vieler Einwanderungsromane: Arme Menschen sind hier weder durchweg glücklich noch leidend. Es gibt nicht die eine Einwanderungserfahrung von Menschen aus Lateinamerika in den USA, sowie nicht alle Immigranten solidarisch untereinander sind oder lateinamerikanische Mütter per se aufopferungsvoll, und eine Reise in das Herkunftsland der Eltern muss keine lebensverändernde Wirkung haben.

"Wir sind stark"

Gabriela Garcia ist in den 1980er-Jahren in Miami aufgewachsen als Tochter einer kubanischen Mutter und eines mexikanischen Vaters. Mit dem Schreiben hat sie angefangen, als sie in einem „Family Detention Center“ in Texas angestellt war. Sie weiß also, wie mit Immigranten in den USA umgegangen wird. In „Frauen und Salz“ erzählt sie literarisch kraftvoll von Frauen, die auf verschiedene Weise stark und schwach sind.
Am Leben gehalten wird ihre Widerstandskraft auch durch die Literatur, so las einst ihre Figur María Isabel in Victor Hugos „Les Misérables“ den Satz „Wir sind stark“, der ihr Kraft gab und dem ihre Ur-Ur-Enkelin Jeanette hinzufügte: „Wir sind mehr, als wir glauben.“ Noch erkennen diese Frauen ihre Gemeinsamkeiten nicht. Ein Buch wie dieses könnte das ändern.
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