Gabriele Clima: „Der Geruch von Wut“
© Hanser Verlag
Auf die harte Tour
05:20 Minuten
Gabriele Clima
Übersetzt von Barbara Neeb & Katharina Schmidt
Der Geruch von WutHanser, München 2022192 Seiten
17,00 Euro
Der italienische Autor Gabriele Clima packt seine Themen immer wieder auf ungewöhnlich an. In seinem neuen Jugendbuch erzählt ein Teenager, wie er nach dem Tod seines Vaters in eine rechtsradikale Gruppierung abdriftet.
Der Titel klingt dramatisch, fast martialisch, doch er täuscht ein wenig. Gabriele Climas neuer Jugendroman ist spannend, aber nicht reißerisch. Dafür sorgt schon Alex, sein 16-jähriger Erzähler, der viel zu sensibel ist, um sich unreflektiert oder drastisch zu äußern.
Alex‘ Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Für den Jungen steht fest, dass der Fahrer des anderen Wagens, ein Dunkelhäutiger, schuld ist. Alex‘ Trauer und Wut sind grenzenlos, er will sich an dem Mann rächen. Unterstützung erhofft er sich von einer rechtsradikalen Gruppe, im Gegenzug allerdings muss er sich an den Terror-Aktionen der Truppe beteiligen. Immer tiefer rutscht Alex in einen Strudel aus Wut, Hass und Gewalt, auf der Suche nach einem Ausweg gerät er aber selbst ins Visier der Gang.
Verarbeitung von Schicksalsschlägen
Rechtsradikalismus ist ein beliebtes und häufiges Thema in der aktuellen Jugendliteratur. Was diesen Roman von vielen anderen unterscheidet, ist nicht nur der sympathische und empathische Protagonist, dem Terror und Radikalismus eigentlich fremd sind und der sich die notwendige Unterstützung bei der Verarbeitung des schrecklichen Unfalls im falschen Lager holt.
Auch Mutter und Sohn waren im Auto, als es in den Fluss stürzte, diese Sekunden kommen immer wieder in Flashbacks hoch. Wie Alex langsam hineingleitet in den rechtsradikalen Sumpf und wie er sich dann im letzten Augenblick wieder selbst befreit – das ist starke Prosa!
Dialoge mit dem toten Vater
Zentrales Thema ist damit auch die Frage, wie Jugendliche mit schweren Schicksalsschlägen fertig werden können. „Der Beschiss ist, dass du es selbst herausfinden musst“, stellt Alex im Nachhinein fest. Er hat „die harte Tour“ der „Wut-Austreibung“ gewählt, die Gewalt, und bekommt entsprechend massive Probleme.
Dabei hat er noch Glück, wenn er schließlich nur mit einer Fleischwunde und einer Jugendstrafe davonkommt. Wobei seine Mutter immer hinter ihm steht – was für eine starke Persönlichkeit sie ist, wird erst in der Mitte des Romans plötzlich schockierend deutlich.
Alex erzählt von diesem dramatischen Jahr nicht wütend oder aufgebracht, sondern rückblickend und erstaunlich ruhig. Gekonnt vermischen sich dabei eine mitreißende, spannende Story mit Flashbacks und Albträumen vom Unfall, realistische Gewaltszenen und fiktive Dialoge mit dem toten Vater. Manchmal wird das Motiv des phantomartig anwesenden Vaters etwas überstrapaziert, weniger Phantastik hätte da gutgetan.
Klare Sprache gegen Extremismus
Aber insgesamt gesehen steht die innere, die psychologische Spannung dieses überzeugenden Romans der äußeren Action-Spannung keinesfalls nach.
Und eines wird nicht nur Alex, sondern auch den Lesern klar: wie mächtig Sprache ist. Als Alex eine Rede für den Chef der rechtsradikalen Truppe schreiben soll, entdeckt er selbst unmittelbar, wie Worte mobilisieren, ja manipulieren, wie leer und zugleich gefährlich sie sein können. Gabriele Climas Roman schärft auch das Bewusstsein für eine begrifflich klare und offene Sprache. Und für die entsprechend mutige Haltung gegenüber jedem Extremismus.