Gabriele von Arnim: "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand"

Liebe und Pflege als Balanceakt

12:06 Minuten
Literaturkritikerin Gabriele von Arnim auf einem Porträtfoto. Sie hat weiße Haare und blickt in die Kamera.
Die Kraft aus sich selbst holen: Gabriele von Arnim. © Rowohlt / Ralf Hiemisch
Gabriele von Arnim im Gespräch mit Frank Meyer |
Audio herunterladen
Gabriele von Arnim hat zehn Jahre lang ihren schwerkranken Mann gepflegt. Trost und Kraft schöpfte die Literaturkritikerin aus ihrer Arbeit und aus sich selbst. Nach seinem Tod fand sie mit Hilfe von Rilke ins Leben zurück.
Gabriele von Arnim hat zehn Jahre an der Seite ihres schwer kranken Mannes gelebt und darüber nun ein sehr bewegendes Buch geschrieben. In "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" erzählt die Literaturkritikerin, wie ihr Mann binnen weniger Tage zwei Schlaganfälle erlitt.
Danach war alles anders: Er konnte nicht mehr lesen, nicht schreiben, nicht gehen, und vor allem konnte er sich nicht mehr so artikulieren, dass andere ihn verstanden hätten, berichtet von Arnim. Gleichzeitig sei er hellwach im Kopf gewesen.

Ein Kreis von fast zwanzig Vorlesern

Von Arnim schildert in ihrem Buch, wie sie das neue Leben bewältigt hat. Unter anderem organisierte sie einen Kreis von Menschen, fast zwanzig, die ihrem Mann vorlasen und ihn so mit der Welt verbanden.
Zugleich warf ihn das Vorlesen immer wieder auf seine Beschränkungen zurück. "Er wollte reden, wollte diskutieren. Er wollte über die Bücher reden, die sie ihm vorgelesen haben oder über die Zeitung. Aber dann lagen seine Worte da herum wie geplatzte Knallerbsen und keiner konnte sie richtig aufsammeln."
Von Arnim betont, dass das auch für die Vorleser eine Herausforderung war: "Das haben die ausgehalten: Da zu sitzen, ohne ihn zu verstehen. Trotzdem haben sie sich immer wieder hingesetzt und immer wieder gelesen, haben ihm immer wieder eine unglaubliche Freude gemacht."
Für sie sei es schwierig gewesen, nicht übergriffig gegenüber dem Kranken zu sein, gesteht die Kritikerin - ihn seine eigenen Entscheidungen treffen zu lassen, auch wenn es aus ihrer Sicht nicht immer "das Beste" für ihn gewesen sei. Ein "Nein" zu akzeptieren, sei "unglaublich schwierig, wenn man gerade so tolle Ideen hat, was man alles Neues machen könnte", sagt von Arnim. Doch: "Man muss dem Kranken seinen eigenen Weg lassen."

Leben an der Seite eines Schwerkranken

Während der Krankheit ihres Mannes fühlt sich von Arnim ans Haus gefesselt. "Es war immer die Suche nach Kraftquellen und die Suche nach Trost. Die spielt eine große Rolle in diesem Buch." Von Arnim fand beides in ihrer Arbeit. Sie habe zwischendurch arbeiten können, weil eine Pflegerin da gewesen sei, berichtet sie.
Man müsse aufpassen, andere nicht zu überfordern, sagt die Autorin. Zudem müsse man die Kraft aus sich selbst holen: "Ich sage immer: aus geklauter Zeit. Irgendwo mal sitzen, nur für sich, und ganz bewusst nicht an den Kranken denken, ihn wirklich wegschieben für eine Weile." Ein schöner Blick, ein Glas Wein oder Kaffee, zählt von Arnim auf. "Das klingt ja zu blöd, bei sich selbst zu sein. Aber das ist wirklich ganz entscheidend in solchen Momenten."
Von Arnim berichtet auch davon, wie sie nach dem Tod ihres Mannes wieder ins Leben zurückfand: "Es gibt einen Satz von Rilke: 'Die Toten sterben in uns hinein.' Und irgendwann bin ich nicht mehr bei ihm in der Vergangenheit gewesen, sondern ich habe ihn mit in mein Leben genommen."
(mfu)

Gabriele von Arnim: "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand"
Rowohlt, Hamburg 2021
240 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema