Berlins Stern als hipper Kunststandort sinkt
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Berlin ist der größte Galeriestandort Europas. Und dank staatlicher Unterstützung musste keine einzige in der Coronakrise schließen. Dennoch geben sich Branchenvertreter pessimistisch, was die Zukunft der Kunst in der Stadt betrifft.
Kollabiert die Kunsthauptstadt Berlin? So hatte es ein Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Ende 2019 diagnostiziert, als sich mit der Art Cologne die einzige internationale Kunstmesse aus der Stadt zurückzog – nach nur zwei Jahren, weil Berlin nicht in der Lage oder willens war, ihr die nötige Planungssicherheit für den Standort im Flughafen Tempelhof zu geben.
Zuvor hatten namhafte Sammler wie Christian Friedrich Flick oder Thomas Olbricht der Stadt den Rücken gekehrt, der Hamburger Bahnhof verlor mit den Rieckhallen einen Großteil seiner Ausstellungsflächen. Nur wenige sahen in der Abwärtsspirale der Kunststadt Berlin nicht ein beispielloses Versagen der Berliner Kulturpolitik.
Kunstmarkt wird nicht anerkannt
Und so sieht es auch, wenngleich höflicher ausgedrückt, Maike Cruse, Direktorin des Berliner Gallery Weekends. Sie spricht von großen Anerkennungsproblemen für den Kunstmarkt.
"Das manifestiert sich in fehlender Unterstützung, die es für den Kunstmarkt gibt. Wir werden oft gleichgesetzt mit Auktionsrekorden und mit Geldwäsche, aber dass es hier sehr viele kleine Betriebe sind, die wahnsinnig viele Künstler unterstützen und aufbauen und auf allerhöchstem Niveau gratis für jedermann Kunstausstellungen machen, das wird nicht so viel gesehen."
Der Stadt fehlt eine große Kunstmesse
Das reklamiert Cruse, die seit der Jahrtausendwende in Berlin ist, und schon die Kunstmesse "ABC Art Berlin" geleitet hat. Sie ist eine der geladenen Experten, die von der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses zu einem öffentlichen Fachgespräch eingeladen wurde. Thema: "Kunstmarkt in der Krise. Was kann die Politik tun?"
Zum Beispiel, sich Gedanken machen, wie man wieder eine große Kunstmesse nach Berlin bekommt, fordert Cruse. Unterstützung erhält sie von Werner Tammen, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Galerien – die brauche es als Zugpferd für kaufkräftige Sammler, von der die Stadt selbst nur wenige hat.
"Wir müssen an das Thema Messeförderung unbedingt wieder ran. Für die analogen Erlebnisse sind Messen genauso wichtig natürlich für den Bereich des Kunstmarktes, und auf dem Sektor muss unbedingt etwas passieren."
Erhöhte Mehrwertsteuer macht Berlin unattraktiver
Berlin ist noch immer der größte Galeriestandort Europas, dennoch erklärten 85 Prozent der Berliner Galeristen in einer Umfrage ihres Landesverbandes, sie würden den Job nicht noch einmal machen.
Dabei sind sie, auch durch staatliche Unterstützung, bislang gut durch die Corona-Zeit gekommen, trotz großer Umsatzeinbußen musste nicht eine Galerie der Stadt zumachen, eine gute Nachricht, so Tammen.
Existenzgefährdender als die Pandemie sei die vor einigen Jahren für Kunst erhöhte Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent, die es günstiger mache, Kunst aus Paris zu kaufen als in Deutschland. Zu leiden hätten sie auch unter den steigenden Mieten für Galerien und Ausstellungsräume.
"Und nicht zuletzt ein Unding, wo wir hoffen, dass wir auch in der kommenden Legislatur Bewegung reinkriegen: Das ist die der fehlenden Ankaufsetats der Berliner Museen, wo dann in den Galerien eingekauft wird."
Die Politik muss die Kunstszene schützen
Anders der Sammler Axel Haubrok. Die Künstler, nicht die Galerien machten die Attraktivität der Stadt aus. Dennoch tue die Politik wenig, um die Kunstszene in der Stadt zu schützen.
Er selbst befand sich lange im Konflikt mit dem Bezirksamt Lichtenberg, das ihm untersagen wollte, auf dem von ihm jahrelang aufgebauten Kunststandort "Fahrbereitschaft" Ausstellungen durchzuführen, weil es sich um ein Gewerbegebiet handelte. Betroffen waren auch mehr als 50 Künstler, an die er Atelierräume vermietet hatte.
"Ich glaube, in die Köpfe der Regierenden muss einfach rein: Eins der wichtigsten Assets von Berlin ist die Kultur! Das ist einfach so! Und wenn über Berlin berichtet wird, wird häufig über Kultur berichtet und die Attraktivität von Kultur. Und ich glaube, man muss das einfach in die gesamten Strukturen einziehen, dass das wirklich etwas ist, was genauso wichtig ist wie Arbeitsplätze, was genauso wichtig ist wie viele andere Punkte."
Umfeld für Kunst schaffen
Solange das von der Berliner Politik nicht verstanden werde, werde man immer nur punktuell da oder dort etwas retten können, statt ein Umfeld zu schaffen und zu erhalten, in dem Kunst gedeihen könne.
Nur 9,3 Prozent der Berliner Künstlerinnen und Künstler erzielten ihre Einkünfte überhaupt über Galerien, erklärte auch Heidi Sill, Sprecherin des Bundesverbandes Bildender Künstler*innen Berlin. Und das größte Problem für die meisten: die Raumnot. Es gebe kaum noch bezahlbare Ateliers in der Stadt.
"Wie wissen ja alle, es wird nicht nur im Zentrum, sondern auch in den Randbezirken zunehmend schwerer, es verstärkt sich ja ständig und ständig und ständig und es ist kein Abwärtstrend in Sicht."
Lernen von Düsseldorf
Und Axel Haubrok warnt: "In Düsseldorf war es so, in den 60er- und 70er-Jahren war das der Nabel der Kunstwelt. Und dann ist die Kunstwelt weitergezogen. Und Düsseldorf – das habe ich nun wirklich erlebt und war auch politisch da aktiv – hat versucht, diese Attraktivität wieder zu gewinnen, zu behalten. Das geht nicht! Also Kunst ist erst mal ein scheues Reh, das wegläuft."
Der Sprecher für Kultur und Kreativwirtschaft der Grünen, Notker Schweikhardt, konstatiert zum Schluss lakonisch: Das Verhältnis Berlins zu Künstlern und Galerien ist gestört. Abhilfe schaffen soll ein Runder Tisch, so bald wie möglich. Ob das vor den Wahlen und im Zeichen von Corona noch was wird? Zweifelhaft.