Gambia drei Jahre nach der Diktatur

Rappen für den Umbruch

21:11 Minuten
Jugendliche tanzen auf dem Dach eines Autos.
Jugendliche Anhänger von Adama Barrow im Jahr 2017: Inzwischen macht sich Enttäuschung über dessen Amtsführung breit. © Getty Images / Anadolu Agency / Xaume Olleros
Von Susanne Burg |
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Immer mehr Menschen verlassen das arme Gambia in Westafrika. Diktator Yahya Jammeh ist vor drei Jahren abgetreten, sein Nachfolger Adama Barrow macht es sich gerade gemütlich. Die Jugend protestiert und hat mit Hip-Hop ein Ventil gefunden.
Es herrscht reges Treiben im Nationalstadion von Bakau. Morgen sollen hier Dutzende gambischer Rapper auftreten, aber noch ist einiges zu tun. Philip Küppers wirkt trotzdem recht entspannt. Der Chef des Goethe-Instituts von Dakar sitzt auf dem Rasen und schaut sich um.
"Die Aufbauten haben hier gerade begonnen", sagt er. "Wir sehen, dass die Bühne schon steht, aber es müssen noch viele Gerüste aufgebaut werden. Ich habe so ein bisschen Angst um die Leute, die hier ungesichert über die Trassen klettern. Aber die sind das gewöhnt, das so zu machen. Wir waren schon letztes Jahr hier und waren auch kurz vor knapp im Stadion und haben gedacht: Das wird nie was. Und das war dann nachher eine ziemlich coole Show. Es ist ein bisschen so wie immer. Alles ist einen Tick zu spät, aber es funktioniert dann doch. Das ist vielleicht für uns Europäer mit unserer Zeitplanung gewöhnungsbedürftig, aber wir sind ja hier Gast und wir machen das zusammen mit unserem lokalen Partner. Und die haben das ganz gut unter Kontrolle gerade."
Ein riesiges Stadion unter blauem Himmel in dem viele unfertige - darunter schon sehr hohe - Gerüste stehen. Ein Mann fotografiert einen anderen, der auf einem der Gerüste sitzt, mit seinem Smartphone.
Ein Rapperfest als Nationalfeiertag - Gerüstaufbau für das OpenMic im Nationalstadion von Bakau.© Susanne Burg
Der lokale Partner ist BlackLynx Entertainment. Die Veranstalter haben das OpenMic Fest zu einer Art gambischen Nationalfeiertag gemacht. In den letzten Jahren drängten sich dicht an dicht 15.000 Menschen im Stadion und bejubelten den gambischen Hip-Hop-Nachwuchs. Abdou Karim Wagan Faye ist einer der Gründer.
"Vor zehn, 15 Jahren befand sich die Musik in Gambia im Koma", erzählt er. "Und wir brauchten eine Plattform, wo wir heimische Talente präsentieren konnten. Wir haben in einem kleinen Saal angefangen, in den gerademal 200 Leute hineinpassten. Später sind wir auch jeden Monat in unterschiedliche Nachbarschaften gegangen und haben dort nach neuen Talenten gesucht. Die Musikszene wurde größer und alle Stars aus Gambia sind durch diese Schule gegangen."

Hip-Hop mit politischer Botschaft

Was als lokale Talentförderung begann, wurde 2016 auch zu einer politischen Plattform.
Jugendliche Anhänger von Adama Barrow tanzen auf der Straße.
Das Ende der Diktatur unter Yahya Jammeh wurde in ganz Gambia gefeiert.© Getty Images / Anadolu Agency / Xaume Olleros
"Gambia Has Decided" – Gambia hat entschieden – das riefen Musiker und Zuschauer beim OpenMic im Dezember 2016 immer wieder und forderten den langjährigen Diktator Yahya Jammeh auf, abzutreten. In Wahlen hatte dieser einige Wochen zuvor gegen eine Koalition aus Oppositionsparteien verloren, weigerte sich jedoch, diese Wahlen anzuerkennen.
"Da waren in diesem Stadion hier 10.000 Leute, die auf das Musikfest kamen", erzählt Philip Küppers. "Und da war dieser Moment 'Gambia has decided', da wurden T-Shirts verteilt, Banner rausgeholt, und die Musiker kamen auf die Bühne und haben gesagt: 'Jetzt ist Schluss, wir wollen unser Land zurück.' Und aus diesem Moment – weil du hast 10.000 Leute im Stadion, was soll die Polizei machen? Weil du kannst nicht 10.000 Leute in den Knast stecken. Und man hat in dem Moment gespürt, welche Kraft diese Musik hat, dass sie die Leute hier vereint. Welche Energie das frei setzt, und dass wenn alle Leute zusammenhalten, dass eigentlich keiner einen stoppen kann. Es gab dann nachher einen neuen Präsidenten und jetzt herrscht in diesem Land hier Meinungsfreiheit und alle dürfen sagen, was sie vorher nicht sagen durften."
Eine junge Frau mit bunter weiter Hose und engem Top singt auf einer bunt beleuchteten Bühne in ein Mikrofon. Im Hintergrund begleitet von einer Band.
Auch eine politische Plattform - das OpenMic Fest in Bakau ist ein vielbejubeltes Treffen des gambischen Hip-Hop-Nachwuchses.© Susanne Burg
An den Geist der Zivilcourage wollte man Ende Dezember anknüpfen. Das Goethe-Institut organisierte, in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern des OpenMics, einen zweiten Festivaltag, "Africourage". Eine Mischung aus internationalen und gambischen Musikern. Senegals Star Baaba Maal ist mit dabei, Smockey aus Burkina Faso, Wimme & Rinne aus Finnland – und auch Killa Ace aus Gambia.

Ein Rapper, der wegen seiner Texte verhaftet wurde

Fünf Mal wurde Killa Ace alleine in diesem Jahr verhaftet. Immer wieder legt der Rapper mit seinen Texten den Finger in politische Wunden – und musste dafür auch schon während der Diktatur ins senegalische Exil fliehen.
"Ich war ein Opfer von systematischem Missbrauch. Wie sollen wir Frieden finden, wenn wir noch nicht einmal die Wahrheit kennen?" rappt Killa Ace in diesem Song, "I’m A Victim". Seit drei Jahren ist Adama Barrow Regierungschef, ein Übergangspräsident. Er versprach, den allgemeinen Lebensstandard in Gambia zu steigern, demokratische Reformen auf den Weg zu bringen sowie Neuwahlen nach drei Jahren einzuleiten, an denen er nicht teilnehmen würde – so die Abmachung bei Amtsantritt.
"Wir erwarten von ihm, dass er den Übergang bildet zwischen der Diktatur und der Demokratie, die wir wollen. Bei den Wahlen 2016 gab es eine Koalition aus Oppositionsparteien. Und sie einigten sich darauf, wer auch immer die Wahlen gewinnt, wird drei Jahre Präsident sein. Das war die Einigung – bis Barrow an die Macht kam, davon profitierte und die übliche Geschichte von afrikanischen Regierungschefs begann. Geschichte wiederholt sich."
Adama Barrow fährt durch die ihn begrüßende Menschenmenge und schaut dabei aus dem Dachfenster seines Autos.
Im Januar 2017 konnte Adama Barrow das Präsidentenamt antreten. Er galt als Übergangspräsident, der die Demokratie in Gambia wiederherstellen sollte.© Getty Images / Andrew Renneisen
Vor zwei Monaten verkündete Adama Barrow, er werde die normalen fünf Jahre im Amt bleiben und danach erneut zur Wahl antreten. Menschenrechtler werfen dem Präsidenten vor, er regiere ähnlich wie sein Vorgänger.
Korruption, Veruntreuung von Geldern, Menschenrechtsverletzungen – all das gibt es weiter, sagt auch Killa Ace: "Was mich am meisten ärgert, ist, dass Täter aus dem alten Regime wieder im Amt sind. Menschen, die Verbrechen gegen Gambier begangen haben, meistens im Auftrag von Yahya Jammeh. Sie arbeiten jetzt für den neuen Präsidenten oder in der Armee. Es gab keine Veränderung. Auch die Verfassung ist, anders als versprochen, noch die gleiche. Es gibt noch immer den Public Order Act – das Gesetz über öffentliche Ordnung -, das friedliche Demonstrationen verbietet. Als Rapper und Aktivist und Vater, der ein besseres Gambia für seine Kinder will, bin ich enttäuscht. Dafür haben wir nicht gekämpft."

Ein Ex-Diktator und seine Verbrechen

Seit Januar 2019 gibt es in Gambia eine Wahrheitskommission, die Truth, Reconciliation and Reparations Commission. Sie sammelt Material über geschehenes Unrecht während der 22-jährigen Diktatur von Yahya Jammeh. Knapp 200 Opfer und Täter haben bereits ausgesagt und im nationalen Fernsehen von gewaltsamen Entführungen erzählt, von Folter und außergerichtlichen Exekutionen. Im letzten Sommer trat Malick Jatta in grüner Uniform und Barett vor die Wahrheitskommission und wurde unter anderem zum Tod von sieben Menschen befragt.
Malick Jatta war Mitglied der Junglers, eines Todesschwadrons, das im Auftrag des Diktators arbeitete. Viele Gambier waren schockiert zu hören, wie brutal die Junglers vorgingen, wie sie ihre Opfer mit Plastiktüten erstickten, erschossen und zerstückelten. Mit den Anhörungen begann Gambia, das Ausmaß der Gewalt während der Diktatur zu begreifen.

Eine Schönheitskönigin, die vergewaltigt wird

Zu den Opfern, die vor die Kommission traten, gehörte Fatou Toufah Jallow. Die 23-Jährige erzählte in einer fast achtstündigen Anhörung von ihren Erfahrungen mit dem ehemaligen Präsidenten. Immer wieder lud Yahya Jammeh die gambische Schönheitskönigin 2014 und 2015 in seine Residenz ein und versprach ihr Jobs und Stipendien – bis die väterliche Zuwendung in Gewalt umschlug, so Fatou Toufah Jallow. Eines Tages zog er sie in ein Zimmer und warf sie auf ein Bett.
"Mein Oberkörper lag auf dem Bett und von der Taille abwärts baumelte ich auf dem Boden", erzählt sie. "Yahya Jammeh riss mir das Kleid vom Leib und vergewaltigte mich. Mein Kopf war in die Kissen gedrückt. Und während all das passierte, hörte ich die Koranrezitationen im Hintergrund. Er wollte mir wehtun. Und während er es tat, wirkte er so selbstsicher, dass das nie rauskommt, dass mir niemand glauben wird. Die Imame lasen draußen aus dem Koran. Wer würde glauben, dass so etwas drinnen passierte?"
Yahya Jammeh begrüßt seine Anhänger in seinem Geburtsort Kanilai in Gambia.
Als Yahya Jammeh bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2016 unterlag, weigerte er sich zunächst die Wahlergebnisse anzuerkennen.© Getty Images / Corbis Historical / Jason Florio
Ein Bericht von Human Rights Watch sprach im letzten Jahr von einem ausgeklügelten System, mit dem Yahya Jammeh immer wieder Frauen zum Sex zwang. Angeklagt dafür wurde er in Gambia bisher nicht. Und große Sorgen scheint sich der 55-Jährige, dem auch vorgeworfen wird, vor seiner Flucht nach Äquatorialguinea im Januar 2017 die Staatskassen geplündert zu haben, nicht zu machen. Vor vier Wochen verkündete er, er plane, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Jammeh-Unterstützer gingen auf die Straße und jubelten.

Gambia heute - ein traumatisiertes Land

Die Menschenrechtsaktivistin, Radiomoderatorin und Schauspielerin Mariama Colley hingegen spricht von einem traumatisierten Land.
"Diese ganzen Erkenntnisse sind neu für uns", sagt sie. "Wir haben immer geglaubt, Gambia sei eine friedliche Nation, auch wenn wir manchmal verstörende Geschichten hörten. Aber die Menschen glaubten nicht, dass Yahya Jammeh so viel Böses tun könnte. Jeder hier im Land braucht jetzt Therapie. Vor allem die Opfer. Und erstrecht die Opfer von sexuellem Missbrauch. In unserer Gesellschaft ist es schwer, darüber zu sprechen. Toufah, die live im nationalen Fernsehen aufgetreten ist, wurde beleidigt und man hat ihre Geschichte nicht geglaubt."
Jugendliche auf der Straße in Banjul: Zwei in Sportkleidung und ein Mädchen mit Hijab.
Im Zuge der Afrikanisierung wurde die gambische Hauptstadt 1973 von Bathurst in Banjul umbenannt.© Getty Images / Anadolu Agency / Ercin Top
Mariama Colley setzt sich vor allem für Kinder und Frauen ein. Die Missstände in diesem Bereich seien groß, sagt sie.
"Wir beschützen unsere Kinder nach wie vor nicht gut genug. Babys werden schon im Alter von drei Monaten vergewaltigt. Es gibt bei uns dieses Prinzip der Scharia, die sogenannte Maslaha, durch die viele Verbrechen gedeckt werden. Häufig sind die Vergewaltiger Familienmitglieder. Und der Onkel wird dadurch besser geschützt als das Kind. Die Vergewaltigungsrate bei Kindern ist nicht zurückgegangen in Gambia, auch nicht die von Kinderehen. Es muss Aufklärung passieren, wenn es um Genitalverstümmelung, Kinderehen und auch Vergewaltigung geht."

Soziale Medien und Musik als Ventil für die Jugend

Gambia befindet sich an einem Scheideweg. Schafft es das kleine westafrikanische Land, die eigene Geschichte aufzuarbeiten? Sich eine neue Verfassung zu geben? Gewachsene politische Strukturen zu ändern? Ein Teil der Jugend kämpft dafür. Artikuliert sich über soziale Medien, Radiosendungen oder die Musik.
Zwei junge Männer singen auf einer großen, bunt bestrahlten Bühne ins Mikrofon. Im Hintergrund stehen jede Menge Musikinstrumente.
Voller Einsatz auf der Bühne - zwei Rapper beim OpenMic Fest in Bakau.© Susanne Burg
Im Video zu "I’m Hungry" von GEEbril and the MessenJah halten Frauen und Männer Schilder hoch: "I’m Wolof. I’m Mandinka. I’m Jola. I’m You" steht darauf.
Sag nein zu Tribalismus – darum geht es, so der Musiker GEE: "In Gambia wählst du je nachdem zu welchem Stamm du gehörst. Jede Partei ist einem Stamm zugehörig. Viele kennen noch nicht einmal das Parteiprogramm, aber weil die Eltern schon für die Partei gestimmt haben, tun es die Kinder auch. So hat das lange funktioniert. Wir jungen Leute versuchen, das zu ändern."

Die letzte Option: das Land verlassen

In Gambia scheint sich die Jugend selbst um eine eigene Vision zu kümmern. Musiker wie ST, Jizzle, Jee oder Killa Ace arbeiten daran, eine funktionierende Musikindustrie aufzubauen. Unterstützung von der Regierung gibt es dabei nicht. Im Staatshaushalt waren weniger als ein Prozent für die Jugend vorgesehen, sagt Killa Ace. Kein Wunder also, wenn Menschen das Land verlassen wollen.
"Es ist traurig", sagt er. "Sehr gute Freunde von mir sind abgehauen. Ich habe mit ihnen abgehangen und plötzlich eröffnen sie mir: 'Ace, ich gehe.' Was soll ich ihnen sagen? Zum Glück sind die meisten gut in Europa angekommen, auch wenn einige Freunde gestorben sind. Aber das ist die traurige Realität. Wenn es ihnen zu Hause besser ginge, würden sie nirgendwo hingehen."
Ibrahim Sorry aus Gambia sitzt im November 2017 in einem Transitzentrum der Internationalen Organisation für Migration in Agadez (Niger). Er wartet dort auf seine Rückführung nach Gambia.
Ibrahim Sorry aus Gambia sitzt in einem Transitzentrum in Agadez in Niger. Er wartet dort auf seine Rückführung nach Gambia.© picture alliance / Kristin Palitza
Ende des letzten Jahres ist ein überfülltes Boot mit gambischen Flüchtlingen vor der Küste von Mauretanien gekentert. 62 Menschen starben. Zwei Tage später ist ein weiteres Boot mit 192 Gambiern vor der Küste Mauretaniens gerettet worden. Seitdem die Route von Libyen über das Mittelmeer immer stärker kontrolliert wird, brechen auch von der gambischen Küste aus vermehrt Flüchtlingsboote auf – Richtung Kanaren. Auch das ist die traurige Realität in einem Land, dessen Bewohner so sehr vom Aufbruch träumen.

Die Recherche für die Reise nach Gambia wurde unterstützt vom Goethe-Institut.

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