Cyber ohne Punk
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Das Open-Word-Rollenspiel "Cyberpunk 2077" wurde von Gamern sehnsüchtig erwartet. Doch zum Start macht es vor allem mit Macken von sich reden. Unseren Spielekritiker stört noch mehr: Wirklich "Cyberpunk" sei das Spiel trotz seines Namens nicht.
Konzerne herrschen über die Erde, Menschen leben in riesigen, anonymen Städten: Die Welt der Cyberpunks ist düster, dreckig, ausweglos. Das trifft auch auf das von vielen sehnsüchtig erwartete Game "Cyberpunk 2077" zu. Selbstbewusst trägt es das Genre, das durch die Neuromancer-Romane von William Gibson geprägt wurde, bereits im Namen und spielt in einer dystopischen Megastadt: In "Night City"* spiegelt sich nur das Licht greller Neonreklamen in den dunklen Straßen. Die Stadt scheint vor allem aus Wolkenkratzern, Autobahnen und Slums zu bestehen.
"Das Spiel gibt sich Mühe, in Kulisse und geschichtlichem Rahmen quasi eine Quintessenz von Cyberpunk oberflächlich abzubilden", sagt der Gameskritiker Marcus Richter, der das Open-World-Rollenspiel bereits gespielt hat. Als Spieler sei man ein Söldner oder eine Söldnerin, die sich für alles Mögliche verdinge.
"Die Geschichte beginnt auch ganz klassisch mit dem Versuch, ein Stück Technologie zu stehlen, das die Welt verändern soll. Aber dabei passiert – natürlich! – etwas Unvorhergesehenes."
Gigantische Open World
An dieser Stelle wird der Spieler Zeuge eines Mordes an dem Chef eines mächtigen Unternehmens. Der Diebstahl gelingt trotzdem: ein Biochip, den sich die eigene Figur im Eifer des Gefechts in den Kopf steckt und nun eine zweite, digitale Seele in sich trägt. Von diesem Ausgangssetting entwickelten sich die zwei zentralen Geschichten, beschreibt Marcus Richter. "Alles wird eine riesige Verschwörung." Gleichzeitig gebe es rundherum eine riesige Open World mit unendlich vielen Aufgaben. "Alleine für den Prolog des Spiels habe ich ungefähr fünf Stunden gebraucht."
Richter sieht hier ein klassisches Problem eines solchen Spiels: Die vielen Nebenaufträge führten nicht unbedingt zu einer dichten Welt, sondern zum Gefühl, eine To-do-Liste abzuarbeiten.
Mehr Actionfilm als Kapitalismuskritik
Wie "Cyperpunk" ist das Spiel "Cyberpunk 2077" tatsächlich? Es sei zwar ein unterhaltsames Actionspiel, sagt Richter. "Als Genre-Fan macht es großen Spaß, selbst durch die Straßen zu fahren". Aber "Cyberpunk 2077" sei eine reine Actionfilm-Machtfantasie, findet der Spielekritiker: Die Charaktere seien, sehr genreuntypisch, muskelbepackte Kämpfer – statt Underdogs, die sich gegen die Konzernwelt wenden.
"Ich vermisse schon die Metaebene des Cyberpunks", sagt Marcus Richter. "Aus der subversiven, literarischen Kapitalismuskritik wird hier so ein formvollendetes, millionenschweres Produkt, das glänzt." Vielleicht sei das Spiel sogar das Ende des Cyberpunks als Genre.
Viel Druck, viele Fehler
Im Vorfeld des Erscheinens gab es bereits eine kritische Debatte rund um das Spiel, unter anderem über die Arbeitsbedingungen der Entwicklerinnen und Entwickler. Es sei leider immer noch gang und gäbe, dass es in der Entwicklung von Computerspielen zu "Crunch" komme, also dass die Entwickler massiv Überstunden machen müssten, erklärt Richter. Das Studio "CD Projekt Red" habe eigentlich versprochen, dass das nicht passieren solle.
"Aber dann gab es doch Sechstagewochen, und das soll es sogar über mehrere Monate gegeben haben", so der Spielekritiker. Außerdem seien Bonuszahlungen für die Mitarbeitenden an die Bewertungen für das Spiel gekoppelt worden, was erst kürzlich aufgehoben worden sei.
"Und all das schlägt sich in dem Spiel nieder", stellt Richter fest: Es sei voller Fehler. "Noch nie ist meine PS4 so abgestürzt wie mit diesem Spiel." Die Ursache für diese Fehler sei schlechtes Management, betont er. "Und jetzt arbeiten die Entwickler an der Fehlerbeseitigung. Selbst nach der Veröffentlichung geht dieser Crunch also wahrscheinlich weiter."
(jfr)
* Redaktioneller Hinweis: Wir haben den Namen eines fiktiven Ortes korrigiert.