"Game of Thrones"-Hype in Spanien

Filmtourismus inklusive Selfie

14:31 Minuten
Im Vordergrund steht die Schauspielerin Emilia Clarke. Sie trägt einen Mantel und lange blonde gewellte Haare. Im Hintergrund ein riesiger Drache.
Haben in Game of Thrones schon eine ganze Stadt in Trümmer gelegt: Daeneris Tagaryen und ihr letzter Drache. Auch nach dem Ende der Serie können die Drehorte noch besichtigt werden. © Imago / HBO The Hollywood Archive Los Angeles
Von Oliver Neuroth |
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Gerade ging die US-amerikanische Kultserie "Game of Thrones" nach acht Jahren zu Ende. Sie erreichte pro Folge allein in Amerika rund 43 Millionen Menschen. Gegen eventuelle Entzugserscheinungen bieten wir Ihnen eine akustische Reise zu Drehorten in Spanien.
Eine graue Mauer schlängelt sich durchs Meer. Sie verbindet die kleine Insel San Juan de Gaztelugatxe mit der Küste. Von weitem sieht die Mauer fast so aus wie der Schwanz eines Drachens, der im Wasser liegt. Fans von "Game of Thrones" brauchen für diesen Vergleich nicht viel Fantasie. Denn in der Serie ist die Insel schließlich "Dragonstone", der Familiensitz der Targaryens.
Qi Chuan ist extra hierher gereist, um den berühmten Drehort aus der Nähe zu sehen. Der Chinese studiert in Heidelberg, macht aber gerade ein Auslandssemester in Madrid. "Das ist auch eine spezielle Erfahrung, dass man einmal in der Szene ist, die man aus der Serie kennt", sagt er.
San Juan de Gaztelugatxe ist im Film Familiensitz "Dragonstone"und in der Realität eine "Burg auf dem Felsen" an der spanischen Atlantikküste.
San Juan de Gaztelugatxe ist im Film Familiensitz "Dragonstone"und in der Realität eine "Burg auf dem Felsen" an der spanischen Atlantikküste. © Oliver Neuroth, ARD Madrid
Eine knappe Stunde dauert der Fußmarsch vom Parkplatz runter zur Küste. Es geht über die graue Mauer zur Insel und dort rund 240 Treppenstufen hinauf. Alles wirke hier deutlich kleiner als in "Game of Thrones", sagt Qi. Die großen Bauten, die in der Serie auf der Insel stehen, sind nur Computeranimationen:
"Es gibt ein sehr großes Schloss auf der Insel. Aber jetzt sieht man nur eine kleine Kirche. Trotzdem ist es sehr schön hier."

Wo böse Geister vertrieben werden

Als hätten die Namensgeber der Insel schon geahnt, dass hier einmal Szenen der erfolgreichsten Fernsehserien der Welt entstehen würden. Das baskische Wort "Gaztelugatxe" heißt nämlich "Burg auf dem Felsen". Wer an der Glocke der kleinen Kapelle dreimal läutet, darf sich etwas wünschen, außerdem werden böse Geister vertrieben. So eine Sage. Álvaro und Maria sind aus Málaga in Südspanien angereist, um diesen Ort zu besuchen.
"Wir sind große Fans der Serie und wollten immer schon mal nach 'Dragonstone'", sagen sie. Und:
"Ich finde es toll hier, weil es gerade auch nicht so überfüllt ist. So können wir dieses Erlebnis ganz in Ruhe genießen, es ist unglaublich!"
Idylle ohne Eintrittskarte - San Juan de Gaztelugatxe.
Idylle ohne Eintrittskarte - San Juan de Gaztelugatxe.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Tatsächlich kommen im Frühjahr noch eher wenige Urlauber nach San Juan de Gaztelugatxe, was auch am unberechenbaren Wetter an der spanischen Atlantikküste liegt. Voller wird es im Sommer. Es sind Zahlen im Umlauf, wonach vor dem "Game of Thrones"-Hype etwa 2000 Besucher im Jahr zu der kleinen Insel kamen. Nach den Dreharbeiten 2017 waren es rund 150.000.

Unterschied zwischen Fiktion und Realität

Begoña Gangoiti leitet das Tourismusbüro in Bermeo, der Gemeinde, zu der die Insel gehört. Sie stellt klar, dass nicht exakt erhoben werden kann, wie viele Besucher San Juan de Gaztelugatxe hat. Schließlich muss niemand eine Eintrittskarte kaufen. Dass ein Großteil der Besucher Film-Touristen sind, sieht Begoña kritisch.
"Ich war vor zwei Wochen in San Juan de Gaztelugatxe. Ich sah ein junges Mädchen, eine Instagramerin wahrscheinlich. Und sie rief: 'Oh, schau mal, da ist Dragonstone!' Ich drehte mich um und sagte: 'Nein, nein. Das ist San Juan de Gaztelugatxe, wo Dragonstone gedreht wurde.' Die Leute müssen lernen, was Fiktion und was Realität ist."
Nicht nur Filmtouristen kommen hierher ins Baskenland - Begoña Gangoiti, Leiterin des Tourismusbüros in Bermeo.
Nicht nur Filmtouristen kommen hierher ins Baskenland - Begoña Gangoiti, Leiterin des Tourismusbüros in Bermeo.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Begoña glaubt, dass die gestiegenen Besucherzahlen nicht nur auf "Game of Thrones" zurückzuführen sind. Das Baskenland sei schon seit längerem für Urlauber interessant, sagt sie. Erst recht, seitdem die Terrororganisation ETA 2011 die Waffen niedergelegt und sich vor zwei Jahren komplett aufgelöst hat. Das habe dem Tourismus einen Schub gegeben. Wer zum Beispiel das berühmte Guggenheim-Museum in Bilbao besuche, mache auch gerne einen Ausflug an die baskische Küste.
"Bilbao entwickelt sich seit Jahren zu einem wahren Publikums-Magnet, vor allem wegen der Kultur-Highlights dort. Alle Ausflugsziele drum herum profitieren natürlich davon, auch sie werden von tausenden zusätzlichen Urlaubern besucht. Genau diesen Effekt bekommt San Juan de Gaztelugatxe zu spüren."

"Wir kennen die Serie überhaupt nicht"

Zu diesen eher kunst- und kulturorientierten Touristen gehören auch viele deutsche Urlauber. Anne und Hugot Slonina aus Brandenburg zum Beispiel. Die beiden sind explizit keine "Game of Thrones"-Fans, sagen sie.
"Wir kennen die Serie überhaupt nicht. Also vom Namen wohl, aber nicht, weil wir sie gucken."
"Wir haben unseren zehnte Hochzeitstag und da haben wir gesagt: Da fahren wir einfach mal nach Bilbao, gucken uns diese Kulturhauptstadt mal an, Guggenheim und und und. Und beim Stöbern sind die darauf gekommen, dass die Küste so spannend ist. Da fahren wir einfach mal hin. Und das haben wir uns heute angetan. Jetzt sind wir durchgeschwitzt, haben Hunger und Durst auf ein Bier."
Fans nach  San Juan de Gaztelugatxe locken - Die Natur bewundern und dabei baskische "Game of Thrones"-Tapas verspeisen.
Fans nach San Juan de Gaztelugatxe locken, die Natur bewundern und dabei baskische "Game of Thrones"-Tapas verspeisen. © Oliver Neuroth, ARD Madrid
Für die Bars und Restaurants in den Küstenorten bedeutet der Touristenschub ein gutes Geschäft – vor allem für die Gastronomie in Bermeo. Durch das 17.000-Einwohner-Städtchen kommt fast jeder Besucher von San Juan de Gaztelugatxe auf dem Weg zu der Insel oder auf der Rückfahrt. Nach den Dreharbeiten zur siebten Staffel von "Game of Thrones" wollten die Wirte in Bermeo vor allem die Fans anlocken: Sie versuchten, die Serie mit der berühmten Küche der Region zu verbinden, mit Pintxos, den baskischen Tapas.
"Am 7. Juli 2017, als die siebte Staffel der Serie veröffentlicht wurde, starteten die Barbesitzer eine 'Game of Thrones'-Pintxos-Route durch den Ort. In jedem Laden gab es eine andere Pintxo, die immer auf einen Charakter der Serie zugeschnitten war – auf die Familie Stark zum Beispiel."

"Die Menschen in Bermeo haben alles richtig gemacht"

Aus der Sicht von Stefan Roesch haben die Menschen in Bermeo alles richtig gemacht, indem sie sich Aktivitäten für die Fans von "Game of Thrones" überlegt haben. Roesch ist Fachmann für Tourismus rund um Serien und Filme. Der Deutsche hat mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben und einen Doktortitel in Film-Tourismus.
"Es genügt nicht, eine Destination durch einen Kinofilm oder eine TV-Show zu vermarkten, sondern die Problematik liegt darin, dass wenn die Fans kommen, sie ein Erlebnis haben möchten, das irgendwie mit der Filmwelt zu tun hat", betont er. "Und daran mangelt es meistens. Es geht um Produkte, um Erlebnisse vor Ort, die man den Fans bieten kann."
Stefan Roesch auf der Tourismusmesse FITUR in Madrid.
Stefan Roesch auf der Tourismusmesse FITUR in Madrid.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Zum Beispiel Führungen an den Drehorten – idealerweise mit Insidern, die an der Filmproduktion beteiligt waren und erzählen können, was hinter den Kulissen passiert ist. Solche Angebote gibt es zum Beispiel in der katalanischen Stadt Girona, wo ebenfalls Szenen von "Game of Thrones" gedreht wurden. Spanien habe sich inzwischen gut auf Film-Touristen eingestellt, meint Eugeni Osácar, Film-Tourismus-Experte aus Barcelona.
"Es ist eine Herausforderung und eine Chance, die Spanien hat. Nämlich ein abwechslungsreiches Angebot für Film-Touristen zu schaffen – und zwar für alle diese Urlauber. Denn nicht jeder erwartet das gleiche: Einige wollen allgemein die Stadt sehen, in der ein Film gedreht wurde – andere wollen konkret die Drehorte besuchen und Selfies machen, um diese dann in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen."
Emilia Clarke als Daenerys Targaryen in der achten und letzten Staffel von "Game of Thrones".
Emilia Clarke als Daenerys Targaryen in der achten und letzten Staffel von "Game of Thrones".© imago images | Cinema Publishin Collection
Kostenlose Werbung für eine Stadt: Wenn Film-Touristen sich auf Fotos prominent in Szene setzen, diese dann auf Instagram oder Facebook posten, machen sie andere User damit neugierig auf die Region. Handelt es sich bei den Urlaubern sogar um Instagram-Nutzer mit mehreren tausend oder mehreren Millionen Followern, ist der Werbeeffekt entsprechend höher. Für Stefan Roesch sieht der typische Film-Tourist so aus:
"Wir definieren ihn zwischen 19 und 59 Jahren. Er hat entsprechend hohes Einkommen, um an entfernte Orte reisen zu können, ist kulturell sehr interessiert. Film-Touristen kommen oft in ein Land, um das Land kennenzulernen und die Drehorte sind sozusagen der Bonus. Das ist natürlich etwas Emotionales. Das Land wird besucht, die Drehorte individuell bereist. Die Leute haben natürlich eine hohe Affinität zu Filmen und TV-Shows."

Vor allem Chinesen buchen Pauschal-Pakete für Film-Touristen

Reiseveranstalter bieten aber auch Pauschal-Pakete für Film-Touristen an, vor allem für "Game of Thrones"-Fans. Oft sind es gleich Europa-Touren. Denn die acht Staffeln der Erfolgsserie wurden in etlichen Ländern gedreht. Student Qi erzählt, dass vor allem seine Landsleute, also Chinesen, solche Pakete buchen:
"Das sind sozusagen die Hardcore-Fans. Und die Touren verlaufen durch Kroatien, Spanien – vorbei an den Drehorten, überall in Europa."
Im Baskenland wurde "Game of Thrones" gleich an zwei Orten gedreht. Neben San Juan de Gaztelugatxe ist auch die Küste bei Zumaia ein wichtiger Spot für echte Fans.
Der zweite Drehort von "Game of Thrones" im Baskenland - der Strand von Zumaia.
Der zweite Drehort von "Game of Thrones" im Baskenland - der Strand von Zumaia.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Der Strand Itzurun ist für seine seltenen Steinformationen berühmt, den sogenannten Flysch: Meterhohe Felswände, die in den verschiedensten Farben schimmern. Die Deutsch-Baskin Jone Karres ist Touristenführerin in der Region und trifft immer wieder auf Serien-Fans.
"International, aus vielen Ländern, kamen alle an diesen Strand, um Selfies zu machen. Um natürlich diesen spektakulären Ort zu sehen, an dem es gedreht wurde. Das bietet sich total an für Fotos. Und das war schon ein ziemlicher Boom. Es kam zu lustigen Situationen, dass die Leute sich auch entsprechend gekleidet haben, um die Selfies machen zu können. Das war schon spektakulär!"

Im "Game of Thrones"-Outfit über den Strand

An solche Momente erinnert sich auch der Bürgermeister des 10.000-Einwohner-Städtchens, Oier Korta. An asiatische Besuchergruppen, die in "Game of Thrones"-Outfits den Strand von Zumaia abgelaufen sind.
"Wir müssen schon zugeben, dass der Dreh dieser weltberühmten Serie, uns als Ort sehr bekannt gemacht hat. Das war so eine Art Lautsprecher. Klar, das sehen wir positiv. Es war quasi ein Lotteriegewinn für uns, dass die Produzenten Zumaia als Drehort für 'Game of Thrones' ausgewählt haben."
Der Bürgermeister von Zumaia, Oier Korta, mit der Leiterin des Tourismusbüros Zumaia.
Der Bürgermeister von Zumaia, Oier Korta, mit der Leiterin des Tourismusbüros Zumaia.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Wie viele Touristen genau durch die Serie nach Zumaia gelockt wurden, kann der Bürgermeister nicht sagen – exakte Statistiken gibt es nicht. Aber der Rathauschef will den Film-Tourismus auch nicht überbewerten. Deshalb erwähnt die Stadt auf ihrer Internetseite und in Prospekten auch nicht, dass an ihrem Strand "Game of Thrones" gedreht wurde. Das Tourismusbüro konzentriert sich ausschließlich auf den Naturpark mit seinen spektakulären Steinwänden.
"Wer Zumaia nicht kennt, könnte meinen, wir seien ziemlich dumm. Aber wenn du siehst, was wir hier zu bieten haben, verstehst du schnell, warum wir diese Strategie fahren. Der Flysch erzählt eine Geschichte von 60 Millionen Jahren. Die Bedeutung dieses Geoparks wollen wir einfach hervorheben."
Der sogenannte "Flysch", das sind meterhohe Felswände am Strand von Zumaia.
Der sogenannte "Flysch", das sind meterhohe Felswände am Strand von Zumaia.© Oliver Neuroth, ARD Madrid
Eine Stadt im Süden Spaniens hätte gerne damit Werbung gemacht, zu den "Game of Thrones"-Drehorten zu gehören und damit Filmtouristen angelockt: Granada. Vor dem Dreh der siebten Staffel hatten die Macher der Serie die Universitätsstadt besucht, die historischen Bauten ausführlich besichtigt. Ihre Idee: "Game of Thrones" hätte rund um die Alhambra spielen können, die bedeutende Burg von Granada, eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Europas und Weltkulturerbe.
War im Gespräch als Drehort für "Game of Thrones" -  die Alhambra in Granada.
War im Gespräch als Drehort für "Game of Thrones" - die Alhambra in Granada.© picture alliance / Richard Linke
Fans bekamen damals mit, dass die Produzenten sich für Granada interessierten. In Internet-Foren hieß es gleich, die andalusische Stadt sei als Top-Spot für die anstehenden Dreharbeiten gesetzt.

"Game of Thrones" in Sevilla

Doch es kam anders. Der Zuschlag ging schließlich an Sevilla: den Machern der Serie gefiel der Alcázar dort besser, der mittelalterliche Königspalast. Eine schlechte Nachricht für Granada, an die sich Bürgermeister Francisco Cuenca noch gut erinnert.
"Wir hätten es natürlich gut gefunden, wenn sie hier bei uns gedreht hätten. Als das Team hier unterwegs war, hieß es irgendwann, dass es einen größeren Ort sucht. Granada ist zwar ein Schmuckstück, aber ein kleines. Wir setzen nun auf Produzenten, die etwas sehr Spezielles haben wollen. Granada ist sehr viel spezieller als Sevilla. Aber die Macher dieser Serie haben es eben so entschieden."
Doch Granada trauert der verpassten "Game of Thrones"-Chance nicht mehr nach. Die Stadt hat sich inzwischen professionell aufgestellt: Im Rathaus gibt es eine spezielle Abteilung, die sich um Anfragen von Film-Produzenten kümmert und mit ihnen Kontakt hält. Ihr ist es gelungen, eine Produktionsfirma aus Südkorea anzulocken. Sie hat in Granada "Memories of the Alhambra" gedreht, die inzwischen meistgesehene Netflix-Serie in dem ostasiatischen Land. Sie läuft seit Anfang dieses Jahres und sorgt dafür, dass hunderte Besucher aus Korea nach Granada reisen, um die Drehorte zu sehen, sagt der Bürgermeister.
"Nicht nur die Alhambra, auch viele andere Plätze bei uns: Den Albacín, den Realejo, auch eine Ski-Station in der Sierra Nevada, die in der Serie vorkommt. Von diesen Gästen profitiert also auch das Umland von Granada."
Im Film-Tourismus steckt viel Potenzial. Zusätzliche Gäste können an Orte gelockt werden, die für den klassischen Strand-Urlauber weniger interessant sind. Doch Spaniens Film-Hotspots wollen auch nicht auf Drehorte reduziert werden, sie sind stolz auf ihre Geschichte, auf ihre historischen Bauten oder spektakuläre Natur. Vielen ist bewusst, dass Filme und TV-Serien Modeerscheinungen sein können. In 20 oder 30 Jahren redet möglicherweise niemand mehr über "Game of Thrones". Über die Schönheiten der baskischen Küste oder der Städte in Andalusien dagegen wohl schon.
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