Gamer und Geldwäsche

Schon heute kann man als Computerspieler viel Geld verdienen, indem man im Spiel erworbene Schätze gegen Bares verkauft. Diese Schattenwirtschaft ist Grundlage von Neal Stephensons Thriller "Error". Zugleich zeigt er eine düstere Zukunftsvision über die Zusammenhänge von Geldströmen und Daddelei.
Es geht um "Goldfarming", ein Phänomen aus der Welt der Computerspiele. Genauer gesagt: aus der Welt erfolgreicher, massenkompatibler Online-Computerspiele wie World of Warcraft. "Goldfarmer" sind digitale Hilfsarbeiter, meist aus China und anderen Schwellenländern, die mehrere Stunden am Tag im Netz sind, Waffen, Rüstungen und andere Ausrüstungsgegenstände anhäufen und gegen Bezahlung an amerikanische und europäische Spieler abgeben.

Allein in den USA werden für solche virtuellen Güter in diesem Jahr vermutlich knapp drei Milliarden Dollar in Form von Micropayments ausgegeben – auf einem nicht regulierten Markt, der sich der Kontrolle staatlicher Institutionen weitgehend entzieht.

Das ist der Hintergrund für Neal Stephenson Thriller "Error". Seine Hauptfigur, der späte Hippie Richard Forthrast, hat ein kleines Vermögen damit gemacht, Marihuana von Kanada in die USA zu schmuggeln. Irgendwann entdeckt er, dass sich die finanziellen Transaktionen im Umkreis von Online-Spielen ideal zur Geldwäsche eignen. Also entwickelt er mit ein paar überqualifizierten Teilzeit-Kiffern "ein von Grund auf goldfarmerfreundliches" Spiel.

"T‘Rain" ist ein mittelalterlich geprägtes Szenario mit einer eigenen, trickreich stabilisierten Währung – und einem userfreundlichen Interface zum Umtausch der virtuellen "Goldtaler" in amerikanische Dollar, Schweizer Franken oder eine andere harte Währung: ein Eldorado für halblegale und illegale Unternehmungen.

Damit beginnt es: Richards Nichte Zula hat einen Freund namens Peter, der sich ein bisschen zu gut mit Computern auskennt und gerade einen Haufen Kreditkartendaten gestohlen hat. Ein Käufer beißt an, doch kurz bevor der Deal abgewickelt wird, setzen chinesische Goldfarmer über das Netzwerk von T‘Rain einen Virus in Umlauf. Die Malware verschlüsselt zufällig ausgewählte Datenpakete, für die die Hacker anschließend Lösegeld verlangen. Auch Peters Kreditkartennummern sind dem Virus zum Opfer gefallen - und die Käufer sind leider keine Kleinkriminellen, sondern Vertreter der russischen Mafia.

Zula und Peter werden von einem Psychopathen namens Iwanow in einen Privatjet verfrachtet und nach China geflogen. Die Suche nach dem Hacker führt zunächst in die Hafenstadt Xiamen, dort kommen muslimische Terroristen ins Spiel, die ihre nächsten Anschläge vorbereiten. Und das ist erst der Anfang.

"Error" – über 1000 Seiten! – ist ein fettes Stück Literatur: digitaler Thriller und postmoderner Abenteuerroman, Hackermanifest und turbulente Technologie-Komödie. Aber es ist noch mehr. Für Neal Stephenson – er steht in der Tradition von Cyberpunk-Autoren wie William H. Gibson und Bruce Sterling – ist ein Roman in erster Linie eine Art Prognose-Software für zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen. Ein Thema interessiert ihn schon seit den frühen Neunzigerjahren: der Zusammenhang zwischen Informationstechnologie und Geldwirtschaft.

In Romanen wie "Snow Crash" (1992) und "Diamond Age" (1995) hat Stephenson komplizierte Science-Fiction-Szenarien ausgearbeitet, mit anarchistischen Mikro-Ökonomien und Staaten, die als Franchise-Unternehmen geführt werden. Dieses literaturgestützte Experiment setzt er in "Error" jetzt fort: Stephensons High-Tech-Thriller rund um das fiktive Computerspiel T‘Rain testet die Möglichkeiten einer virtuellen Ökonomie aus.

Wir reden hier nicht über die ferne Zukunft – sondern über die kommenden Jahre. Phänomene wie "Goldfarming" und "grenzübergreifende virtuelle Währungen" werden längst diskutiert, "gaming" entwickelt sich zu einem globalen Wirtschaftsfaktor. "Error" wirft einen ersten hochaufgelösten Blick auf diese Ökonomie von morgen – und am Rand fallen ein paar beunruhigende Einsichten über das aktuelle Marktgeschehen ab.

Auch die Finanzwirtschaft bekommt schließlich zunehmend virtuellen Charakter – ein transnationales Online-Rollenspielen, in dem Politiker und Banker in den letzten Jahren Milliardenbeträge verzockt und verdaddelt haben. Wir leben längst in T‘Rain. Kein schlechter Grund, Neal Stephensons neuen Roman zu lesen.

Besprochen von Kolja Mensing

Neal Stephenson: Error
Roman. Aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Sting
Manhattan Verlag, München 2012
1024 Seiten, 24,99 Euro

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