Umfallen auf der digitalen Achterbahn
Dank neuer Brillen und Displays kann das Erleben virtueller Realität körperliche Auswirkungen haben. So kann es passieren, "dass man einfach umfällt, wenn man zum Beispiel auf den digitalen Achterbahnen unterwegs ist", "Games Week"-Organisator Michael Liebe.
Das besondere an "virtual reality" sei, dass sich im Raum die Perspektive mit anpasse, wenn man den Kopf bewege, sagte der Leiter der gerade in Berlin laufenden Games Week, Michael Liebe, im Deutschlandradio Kultur.
"Dadurch bin ich viel intensiver in dieser digitalen, virtuellen Welt drin", sagte er über die neuen Erlebnisse mit Spielebrillen. Der Nutzer fühle sich wie selbst in diese virtuelle Welt hineinversetzt. Das Erlebnis erinnere an den Effekt von Panoramavideos in Erlebnisparks. Die Brillen gebe es in verschiedenen Modellen, die sich entweder mit dem Smartphone verbinden ließen oder andere Spezialbrillen. "Es ist sehr viel möglich und es sind spannende Zeiten vor uns."
Die Nutzer nicht für blöd halten
Liebe sagte, diese neue Spieletechnik führe nicht unbedingt zu verstärkten Abhängigkeiten und zeigte sich bei möglichen Gefahren skeptisch. "Gewaltverherrlichende Spiele sind in Deutschland gar nicht erlaubt", sagte er und warnte davor, die Nutzer für blöd zu halten. "Die meisten Menschen können das auseinanderhalten, Unterhaltungsinhalt versus langweilige Realität." Was beim Umgang mit "virtual reality" in Zukunft passiere, werde sich zeigen und es werde in der Gesellschaft entsprechende Reaktionen und ein Korrektiv geben.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Virtuelle Welten in Computerspielen sind eines der großen Themen auf der gerade in Berlin stattfindenden "Games Week". Allerdings, diese Welten versprechen einem solche Spiele ja schon ziemlich lange. Aber es war tatsächlich noch nie so viel möglich wie heute. Der Gründer und Organisator der Games Week, sollte das sehr genau wissen, denn er leitet dort heute die Diskussion "The business and design of virtual reality as of today", sehr frei übersetzt: Der Stand der Dinge bei der virtuellen Realität. Und darüber wollen wir jetzt mit ihm reden. Schönen guten Morgen, Herr Liebe!
Michael Liebe: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ich habe gestern ein neues Wort gelernt, einen neuen Begriff: Head Mounted Display. Das ist das, was Nicht-Auskenner immer einfach Spielebrille nennen. Wenn man so was hat, wenn man die neueste Hardware hat und dazu das richtige Spiel – was ist heute schon möglich?
Liebe: Zwei Bemerkungen dazu. Der neue Trend ist Virtual Reality. Virtuelle Welten sind ja allgemein einfach digitale Erlebniswelten. Das Besondere an Virtual Reality ist, dass ich mich mit dem Blick, also wenn ich meinen Kopf bewege zum Beispiel, auch frei im Raum die Perspektive sich mit anpasst. Dadurch bin ich viel intensiver in dieser digitalen, virtuellen Welt drin, nämlich quasi echt reingesetzt, und kann mich da entsprechend frei im dreidimensionalen Raum bewegen.
Die Head Mounted Displays dabei sind dann die Virtual-Reality-Brillen. Die gibt es in verschiedensten Modellen, einfache Smartphones reinstecken und dann bestimmte Linsen davor und eine kleine Software noch dazwischen, oder eben spezialisierte Brillen für Virtual Reality wie die Oculus Rift oder HTC Vive oder das rauskommende Playstation-VR-System. Es ist sehr viel möglich, und es sind spannende Zeiten vor uns.
Kassel: Aber wenn ich wirklich das Neueste aufhabe, komme ich mir dann wirklich vor, als wäre ich in dieser erfundenen Welt oder auch in einer simulierten echten?
"Der Körper reagiert, als ob es echt wäre"
Liebe: Ja, das ist tatsächlich ein erstaunliches Erlebnis. Sie kennen es vielleicht von so Themenparks, da gibt es so 360-Grad-Panoramavideos, und der Körper sieht, wie ich mit dem Hubschrauber über eine Landschaft fliege, und dann komme ich plötzlich aus dem Gleichgewicht, obwohl der Boden stabil ist. Und so einen ähnlichen Effekt hat man mit den Virtual-Reality-Brillen.
Man fühlt sich wirklich in diesen Raum hineinversetzt und in diese alternative physikalische Umgebung hineinversetzt. Das heißt, das, was ich sehe, denkt mein Körper, wäre real. Und der Körper reagiert dann manchmal anders als das, was eigentlich um mich herum physisch passiert, und reagiert, als ob es echt wäre, auf das, was ihm virtuell präsentiert wird.
Das verursacht ganz witzige Effekte manchmal. Dass man einfach umfällt, wenn man zum Beispiel auf den digitalen Achterbahnen unterwegs ist.
Kassel: Ist das eigentlich grundsätzlich eher was, von den Zielgruppen her, für erfahrene Gamer, die jetzt einfach den nächsten Kick brauchen, oder spricht Virtual Reality auch ganz neue Zielgruppen an?
Liebe: Das wird sich noch weisen. Von der Zielgruppenansprache her ist das aktuell eher an den sogenannten First Mover, also die Leute, die früh sich neue Hardware und neue Software zulegen. Das sind in der Regel die erfahrenen Gamer, wobei die Inhalte eher grundsätzlich beginnen, weil auch für die erfahrenen Gamer ist das eine neue Erfahrung, und die müssen sich auch erst mal neu in dieses System reindenken und lernen, damit umzugehen.
Das heißt, die Spiele, die aktuell herauskommen für diese Virtual-Reality-Systeme, sind eher simplere Puzzlespiele, kleine Chaträume oder kleine Fahrzeugspiele. Aber die großen epischen Welten oder actiongeladenen Spiele gibt es eher selten.
Kassel: Aber die werden ja kommen. Ist da nicht die Gefahr von Abhängigkeit, von der berühmten Spielesucht größer? Weil wenn ich mir vorstelle, ich bin in dieser virtuellen Welt, nehme die Brille – ich nenne es jetzt mal der Einfachheit halber so – wieder ab, und dann sehe ich mein langweiliges Wohnzimmer. Da will ich doch eigentlich sofort wieder zurück.
Keine höhere Abhängigkeitsgefahr
Liebe: Jein. Die vermutete Abhängigkeit, die durch erhöhten Computerspielkonsum entsteht, die liegt in erster Linie am Gameplay, das heißt, an den Herausforderungen, die ständig neu kommen. Man hat eine Herausforderung gemeistert, freut sich darüber, kriegt dann sofort die nächste Herausforderung präsentiert, und die möchte man als Spielerin oder Spieler dann noch mitnehmen.
Nur, weil das System jetzt anders ist, ist nicht automatisch die Gefahr einer Abhängigkeit höher, sondern das kommt dann eher durch die entsprechenden Inhalte dazu.
Kassel: Aber die entsprechenden Inhalte könnten natürlich auch – Sie haben es ja gerade beschrieben, am Anfang noch einfache Anwendungen –, aber könnten natürlich irgendwann auch Ego-Shooter, gewaltverherrlichende Spiele sein. Die Diskussion darüber ist alt, und das Argument von den Leuten, die sagen, das ist nicht schlimm, das macht nicht gewalttätig, ist ja immer gewesen, es ist nicht besonders schwierig, so ein Spiel und die Realität auseinanderzuhalten.
Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, ich laufe jetzt selbst als Ego-Shooter durch eine Welt, die mir real vorkommt, und erschieße Leute, die mir real vorkommen, dann ist das ja nicht mehr so einfach mit dem Auseinanderhalten.
"Konsumenten nicht als blöd darstellen"
Liebe: Jein. Gewaltverherrlichende Spiele sind ja in Deutschland gar nicht erlaubt. Solche Inhalte gibt es auch gar nicht. Es ist trotzdem ein virtueller Raum, und die Leute sind erfahren. Wir müssen auch aufpassen immer, den Konsumenten nicht als blöd darzustellen, dass der irgendwie nicht mehr trennen kann zwischen dem, was er konsumiert oder erlebt, und dem, was er dann draußen halt so im normalen Umfeld halt hat.
Die meisten Menschen können das auseinanderhalten: Entertainment, also Unterhaltungsinhalt, versus von mir aus langweilige Realität. Es ist natürlich so, man ist mit Virtual Reality durchaus tiefer mit drin. Was da dann genau noch passieren wird, das müssen wir alle erst mal open minded, also mit offenem Gewissen abwarten.
Da wird es auch entsprechende Reaktionen dann innerhalb der Gesellschaft geben, die dann das Korrektiv mit sich bringen, damit unsere Leute nicht irgendwie abrauschen, oder wie auch immer man es formulieren will.
Kassel: Sagt Michael Liebe, Gründer und Veranstalter der Games Week, die gerade in Berlin stattfindet, und er sagt es über die Realität in der virtuellen Realität. Herr Liebe, vielen Dank fürs Gespräch!
Liebe: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.