"Computerspiele auf allen Ebenen fördern"
Wer es ernst meint mit dem "Kulturgut" Computerspiel, dürfe nicht nur die Interessen der Spieleindustrie im Auge haben, meint der Kulturwissenschaftler Christoph Bareither. Sondern Forschung und seriöser Computerspieljournalismus müssten gefördert werden.
Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Videopodcast dafür plädiert, dass Computerspiele stärker zu Bildungsträgern ausgebaut werden sollen, ist für den Berliner Kulturwissenschaftler und Computerspielforscher Christoph Bareither zunächst einmal begrüßenswert:
"Wenn jetzt die Bundeskanzlerin sich ausdrücklich für die Förderung von Computerspielen ausspricht, ist das auch in gewisser Hinsicht eine politische Wende", sagte der Juniorprofessor für Europäische Ethnologie im Deutschlandfunk Kultur. Denn noch vor gut einem Jahr habe Bundesinnenminister Thomas de Maizière die bereits totgeglaubte Killerspieldebatte wiederbelebt und gesagt, an der schädlichen Wirkung von Computerspielen könne es keinen Zweifel geben.
Entscheidende Frage: was machen die Menschen mit den Spielen?
Bareither hingegen plädiert für einen breiteren Zugang zum Kulturgut Computerspiel, der auch die aktive Rolle des Spielers berücksichtigt: "Die Frage ist ja nicht nur: Was machen eigentlich die Computerspiele mit den Menschen? Sondern ich als Kulturwissenschaftler würde auch sagen: es geht immer darum, was machen die Menschen denn mit diesen Spielen? Wie gehen sie damit um und was erleben sie damit?"
Denn im Gegensatz etwa zu Filmen würden Computerspiele nicht einfach nur rezipiert, sondern die Spieler täten etwas damit. "Sie sind ja aktiv, auch körperlich, und mit ihren eigenen Entscheidungen und mit ihren eigenen Fähigkeiten in Spiele eingebunden. Und genau das macht ja so vielen Spielern so viel Spaß."
Nicht nur die Spieleindustrie fördern
Die von der Bundeskanzlerin angesprochene stärkere Förderung von Computerspielen dürfe aber nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Spieleindustrie bedienen, mahnt Bareither. Vielmehr gelte es, Computerspiele auf allen Ebenen zu fördern. "Das könnte beispielsweise so aussehen, dass man eine Bildungsarbeit rund um Computerspiele fördert." So gebe es Vereine und Initiativen, die sich ernsthaft und kritisch mit Computerspielkulturen auseinandersetzten.
"Oder einen Computerspielejournalismus, der also nicht nur den Spaßfaktor von Spielen diskutiert, sondern sich auch gesamtgesellschaftlich einmischt, oder natürlich, als Wissenschaftler sage ich, es gibt auch eine Computerspielforschung an den Universitäten und Fachhochschulen, die da viel beitragen kann."
(uko)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Für die Freunde des gepflegten und manchmal auch ungepflegten Computerspiels steht Köln ganz dicke im Terminkalender. Ab morgen öffnet die größte europäische Messe für digitale Spielkultur für das Publikum. Heute hat sich erst mal Prominenz angesagt, verbunden mit einer Premiere, denn die Bundeskanzlerin kommt. In ihrem letzten Videopodcast hatte Angela Merkel den Besuch schon mal vorbereitet, verbunden mit dem Appell an die Spieleentwickler, doch bitte mehr Bildungsinhalte einzubauen. Ob dieser Appell und diese Idee funktionieren, dazu hat Christoph Bareither bestimmt eine Idee. Er ist Juniorprofessor für europäische Ethnologie mit dem Schwerpunkt Medienanthropologie an Humboldt-Universität Berlin. Guten Morgen!
Christoph Bareither: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was halten Sie von der Vorstellung der Kanzlerin, Computerspiele könnten für eine bessere Bildung sorgen?
Bareither: Zuerst ist, glaube ich, zu wissen, dass die Bundeskanzlerin diese Aufforderung, also dass Computerspiele als Bildungsträger aufgebraut werden können, in ihrem Podcast sehr eng mit der Idee verknüpft, dass sie auch als Kulturgut verstanden und gefördert werden, und genau das möchte ja nicht nur die Kanzlerin, sondern viele Spieler und auch Vertreter der Spieleindustrie betonen genau das ja seit Jahren, und mir als Kulturwissenschaftler stellt sich dann natürlich erst mal die Frage, was bedeutet das eigentlich, Computerspiele sind ein Kulturgut.
Computerspiele aus der Schmuddelecke holen
Welty: Was bedeutet es denn?
Bareither: Für viele Computerspieler, und ich denke, inzwischen auch Politiker, soll das – zumindest denke ich das – anscheinend heißen, Computerspiele sind ein akzeptabler und vielleicht sogar wertvoller Bestandteil unserer Kultur. Also man möchte Computerspiele auch ein bisschen aus der Schmuddelecke rausholen und betonen, dass sie mehr sind als bloß billige und gefährliche Unterhaltung, und das halte ich jetzt grundsätzlich erst mal für positiv und eigentlich auch für historisch bemerkenswert, könnte man fast sagen, weil Sie wissen vielleicht, dass unser Innenminister – ich denke, es ist jetzt ein bisschen über ein Jahr her – noch diese Killerspieldebatte, die viele schon für beendet hielten, ein Stück weit wiederbelebt hat und gesagt hat, es könne keinen Zweifel an der schädlichen Wirkung von Computerspielen geben.
Also, wenn jetzt die Bundeskanzlerin sich ausdrücklich für die Förderung von Computerspielen ausdrückt, ist das auch in gewisser Hinsicht eine politische Wende, aber unabhängig davon, dass diese Aussage, also ich persönlich sie zumindest für begrüßenswert halte, würde ich auch davor warnen, dass diese Rede von Computerspiel als Kulturgut auch schnell zu einer hohlen Phrase werden kann, und zwar vor allem dann, wenn man sie im Endeffekt nur also an die wirtschaftlichen Interessen der Computerspielindustrie bedient damit.
Menschen fördern, die sich mit Computerspielen auseinandersetzen
Welty: Das wollte ich gerade gefragt haben: Sind denn die Hersteller von Spielen überhaupt die richtigen Ansprechpartner? Gemeinhin vermutet man ja, dass die vor allem wollen, dass ihr Spiel sich verkauft.
Bareither: Ja, also ich würde sagen, wenn die Bundeskanzlerin es ernst meint und auch ihre Partei es ernst meint mit dieser Computerspielen als Kulturgut und Bildungsträger, dann sollte man diese Idee eben auf allen Ebenen fördern, und das heißt, es müsste meiner Meinung nach mehr getan werden, als dass man nur gute Bedingungen für die Spieleindustrie hierzulande schafft, weil diejenigen, die die Spiele produzieren, sind ja nur die eine Seite, um die es geht, weil auf der anderen Seite haben wir Millionen Menschen, die diese Spiele auch spielen, und was Spiele jetzt zu Kultur macht oder zum Kulturgut macht, das ist ja nicht nur die Spieleindustrie, sondern das sind natürlich die Menschen, und ich finde, wenn man Spiele als Kulturgut fördern möchte, dann sollte man auch diese Menschen fördern, die sich intensiv mit diesen Spielen auseinandersetzen, also Spieler, Pädagogen, Journalisten oder eben auch Wissenschaftler.
Welty: Wie könnte das aussehen?
Bareither: Das könnte beispielsweise so aussehen, dass man eine Bildungsarbeit rund um Computerspiele fördert. Es gibt ja verschiedene Vereine und Initiativen, die sich mit Computerspielkulturen ernsthaft und auch kritisch auseinandersetzen und ein Computerspielejournalist nicht nur den Spaßfaktor von Spielen diskutiert, sondern sich auch gesamtgesellschaftlich einmischt oder natürlich als Wissenschaftler sage ich, es gibt auch eine Computerspielforschung an den Universitäten und Fachhochschulen, die da viel beitragen können, also nicht nur mit der Forschung über das Design von Spielen, sondern auch mit der Forschung über die Kulturen des Spielens, also über das, was die Spiele eigentlich mit Computerspielen erleben.
Spielkulturen fördern
Welty: Wenn man jetzt mal Bildung fordert für Computerspiele, wie das die Bundeskanzlerin getan hat, dann bedeutet das ja im Umkehrschluss, dass man davon ausgeht, Bildung hat in Computerspielen bisher genau gefehlt. Möchten Sie diesem Schluss überhaupt zustimmen?
Bareither: Nicht unbedingt. Was heißt, Bildung hat in Computerspielen gefehlt? Die Frage ist ja nicht immer nur, was machen eigentlich die Computerspiele mit den Menschen, sondern ich als Kulturwissenschaftler würde auch sagen, es geht immer darum, was machen die Menschen denn mit diesen Spielen, also wie gehen sie damit um und was erleben sie damit, welche Erlebnisse gestalten sie damit. Ich glaube, das muss man berücksichtigen, wenn man darüber sprechen möchte, ob und wie Computerspiele bessere Bildungsträger werden können. Also wir müssen nicht einfach nur fragen, wie gestalten wir die Spiele so, dass sie Bildung wirksam transportieren, sondern wir könnten ja auch fragen, wie können wir eigentlich Spielkulturen fördern, in denen die Menschen, also die Spielerinnen und Spieler, diese Spiele auch tatsächlich für die Bildung nutzen.
Welty: Und da sind wir wieder bei der Bildungsarbeit, die Sie eben beschrieben haben. Sie haben sich in einer Studie vor allem mit Gewalt in Computerspielen beschäftigt und mit der Frage, warum das Spielen solcher Spiele offensichtlich vielen Menschen Vergnügen bereitet. Ließe sich diese Systematik auch für andere Ziele nutzen?
Virtuelle Gewalt wird sehr emotional erlebt
Bareither: Es kommt jetzt drauf an, welche Systematik Sie meinen. Also grundsätzlich ging es mir darum, dass die Spiele-, offensichtlich Millionen Spieler sehr viel Spaß, sehr viel Vergnügen an virtueller Gewalt haben, und mir ging es erst mal darum zu fragen, was macht eigentlich dieses Vergnügen aus, also nicht auf diese Wirkungen oder die möglichen Wirkungen der Spiele zu schauen, sondern darauf, was macht Menschen Spaß damit, und was man feststellen kann, sehr Unterschiedliches, und was man eben ganz genau zeigen kann, ist, dass virtuelle Gewalt auf dem Bildschirm ein sehr starkes Potenzial hat, um Spieler Emotionen erleben zu lassen.
Das heißt jetzt gar nicht, dass ich das moralisch als gut oder schlecht bezeichnen möchte, aber das heißt, wenn wir eine ernsthafte Debatte über Gewalt in Computerspielen führen möchten, dann müssen wir erst mal verstehen, welche emotionalen Erfahrungen Spieler eigentlich damit machen, und das kann man auch allgemein auf Computerspiele, denke ich, übertragen, dass wir mehr darüber lernen könnten, was Spieler eigentlich in diesen Spielen erleben, welche Erlebnisse sie auch suchen, und wenn wir das besser verstehen, dann ließe sich das sicherlich auch in eine Bildungsarbeit durch Computerspiele mit einfließen lassen.
Welty: Das heißt, der Weg führt über die Emotion und nicht über den Verstand.
Potenzial von Spielen für die Bildungsarbeit nutzen
Bareither: Sowohl als auch. Emotionen und Verstand als etwas Getrenntes zu behandeln, auch Emotionen als etwas Getrenntes von Rationalität zu verhandeln, das ist ja auch historisch ein Denkkonstrukt, kann man so sagen. Das ist ja überhaupt nicht gegeben, dass Verstand und Emotion zwei getrennte Dimensionen sein sollten. Vielleicht lassen sich ja gerade kognitive Inhalte, also was wir jetzt zum Beispiel als Verstand bezeichnen, durchaus sehr eng an Emotionen, durch Emotionen transportieren, und ich denke, genau dafür haben Spiele auch ein Potenzial, weil Spieler ja nicht wie beispielsweise in Filmen einfach rezipieren, sondern sie tun ja etwas, sie sind ja aktiv, auch körperlich und mit ihren eigenen Entscheidungen, mit ihren eigenen Fähigkeiten in Spiele eingebunden, und genau das macht ja vielen Spielern so viel Spaß, und wenn wir dieses Potenzial eben mehr nutzen als Gesellschaft, zum Beispiel auch für die Bildungsarbeit, dann käme man sicherlich einen Schritt weiter.
Welty: Können Computerspiele Menschen tatsächlich verändern zum Guten oder zum Schlechten?
Bareither: Noch mal: Ich würde sagen, die Frage ist falsch herum gestellt. Also wenn man einfach danach fragt, was machen die Spiele eigentlich mit den Menschen, dann lässt man die wichtigste Dimension des Spielens erst mal aus dem Blick, nämlich die … Spielen bedeutet ja immer, dass die Menschen etwas mit den Spielen machen. Also die Frage ist, was machen die Menschen mit sich selbst, indem sie spielen und nicht wie wirken die Spiele auf die Menschen, und deshalb müssen wir auch viel mehr darüber reden, wie wird eigentlich gespielt, wie werden Spiele eigentlich genutzt.
Welty: Die Bundeskanzlerin möchte, dass Computerspiele mehr Bildung vermitteln. Ich habe darüber gesprochen mit dem Kulturwissenschaftler Christoph Bareither. Haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Bareither: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.