Gamestop und der Finanzkapitalismus

Das Schlechteste aus beiden Welten

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Illustration eines Jungen im Amzug, Krawatte und Sonnenbrille, mit zur Seite ausgestreckten Armen. Darunter ist der Schriftzug "WallStreet Bets" zu sehen.
Die Aktie der Videospielshop-Kette GameStop wurde zum Symbol eines Kräftemessens zwischen Hedgefonds und einer Anleger-Community. © picture alliance / STRF / STAR MAX
Ein Kommentar von Yannick Haan |
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Die Rebellion gegen das Imperium, so wurde die Spekulationsblase um den Spielhändler Gamestop geframt. Das ist falsch, findet der Politiker Yannick Haan. Vielmehr erleben wir die ungute Verschmelzung von Finanz- und Plattformkapitalismus.
"David gegen Goliath. Kleinanleger gegen Hedgefonds." – So titelten viele Artikel in den letzten Wochen. Internetnutzer*innen hatten sich in Foren verabredet, um gemeinsam Aktien des angeschlagenen Unternehmens Gamestop zu kaufen. Der Kurs von Gamestop stieg rasend schnell an. Dadurch verloren Hedgefonds innerhalb weniger Tage einige Milliarden Euro. Durch neue Portale oder Apps ist das Handeln mit Aktien heute einfacher als je zuvor: Börse für alle! Die Gebühren sind niedrig, man zahlt zudem mit der Preisgabe der eigenen Daten, die an Finanzdienstleister verkauft werden – der klassische Weg der Monetarisierung im Internet.
Mit der öffentlichkeitswirksamen Aktion ist ein neues Zeitalter im Finanzkapitalismus angebrochen. Doch anders als vielerorts verkündet und erhofft nicht das einer demokratischen Börse. Wir erleben vielmehr die ungute Verschmelzung von Finanz- und dem Plattformkapitalismus – quasi das Schlechteste aus beiden Welten.

Als vor etwa 15 Jahren die ersten sozialen Netzwerke aufkamen, schwang dabei ein neues Freiheitsversprechen mit. Auch ich habe ihm geglaubt. Ich dachte, allein durch die Technologie würden wir eine neue Welle der Demokratisierung erleben. Doch am Ende hat sich die Überwachungsdividende durchgesetzt. Netzwerke die Daten sammeln, diese in Verhaltensvorhersagen umwandeln, um sie dann an Werbetreibende zu verkaufen, sind heute marktbeherrschend.
Zentrales Element der neuen Plattformökonomie ist die Asymmetrie des Wissens. Auf der einen Seite die Nutzer*innen, die wenig Einfluss auf die gesammelten Informationen haben. Auf der anderen die Unternehmen mit ihrem unfassbaren Detailwissen über unsere Leben. Die David- und die Goliath-Rolle sind dabei klar verteilt. Jeder effektive Regulierungsversuch wurde von den Plattformen als Angriff auf die Freiheit gebrandmarkt und verhindert.

Der Markt und das Unternehmen sind heute oft identisch

Mit den Plattformen ist eine ganz neue Art des Kapitalismus entstanden. Der Markt und das Unternehmen sind heute oft identisch. Wenn der Neoliberalismus die Eroberung immer neuer Felder durch den Markt ist, dann ist der digitale Kapitalismus die Übernahme des Marktes selbst durch eine kleine Zahl privatwirtschaftlicher Unternehmen.
Ein ähnliches Bild bietet der globale Finanzkapitalismus. Dieser hat sich, wie sich gerade wieder zeigt, von den Geschehnissen der realen Wirtschaft entkoppelt. Er verfolgt eine ähnliche wirtschaftliche Logik. Die Machtverhältnisse sind auch beim Finanzkapitalismus sehr klar verteilt. Meistens gewinnen die Großen und fast immer verlieren die Kleinen. Mit den neuen Handelsplattformen erscheint auch hier wieder das Freiheits- und Teilhabeversprechen am Horizont.

Plattformen wissen, was zukünftig passieren wird

Die fortschreitende Verschmelzung von Finanz- und Plattformkapitalismus bedeutet für unsere Gesellschaft eine weitere Konzentration von Macht und Wissen. Die Plattformen können die Prinzipien der Überwachung und der Verhaltensvorhersagen auch im Finanzwesen einsetzen. Sie haben damit den entscheidenden Vorteil an der Börse: Sie wissen, was zukünftig passieren wird. Die Nutzer*innen sind dabei jedoch nicht der kämpferische David, als der sie in der Gamestop-Geschichte kurz erschienen, sondern dienen den Plattformen als reine Datenquellen. Sichere Verlierer dieser Entwicklung sind die Demokratie und unsere Gesellschaft im Ganzen.

Viel mehr als eine Verschmelzung der beiden Wirtschaftsformen brauchen wir eine wirkliche Regulierung der beiden. Wir brauchen Plattformen, die uns nicht überwachen, sondern sich dem Diskurs verpflichtet fühlen. Wir brauchen Börsen, die wieder der realen Wirtschaft dienen. Bei denen es nicht um schnelles Geld geht, sondern darum, Innovationen gezielt zu fördern. Das wäre eine wirkliche Demokratisierung.

Yannick Haan, 1986 geboren, Publizist und Politiker. Er ist unter anderem Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und Autor des Buches "Gesellschaft im digitalen Wandel – ein Handbuch". Außerdem ist er Vorsitzender der SPD Alexanderplatz und stellvertretender Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte.

Porträt des Politiker Yannick Haan
© Foto: privat
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