Ganz unten

Von Svenja Pelzel |
Frank ist glückspielsüchtig. Zwölf Jahre lang hat er an Automaten in Spielkasinos sein gesamtes Vermögen verspielt, gelogen und betrogen, seinen Job in der Finanzbranche riskiert. Erst als Frau und Kinder ihn verlassen, will er etwas ändern. Dank eines guten Freundes und einer Selbsthilfegruppe kriegt er sein Leben wieder in den Griff.
Frank spielt. Fußball. Eigentlich ist heute Handball-Training der Altherrenmannschaft. Doch die Saison ist vorbei, Frank und seine Mitspieler kicken deshalb zur Abwechslung. "Wegen der Kondition, das ist wichtig bei uns Alten", sagt er lachend und haut den Ball Richtung Tor. Zehn Männer um die 50 rennen verschwitzt, in Shorts und T-Shirt durch die kleine Turnhalle in Berlin-Tempelhof, Frank immer mittendrin. Handball und Fußball sind für ihn okay, viele andere Spiele nicht. Denn Frank war sieben Jahre lang süchtig, hat an Kasino-Automaten Geld verzockt, zwischen 250.000 und 400.000 Euro verloren.

Seit anderthalb Jahren ist der Horror vorbei. Frank ist trocken. Wer den 42-Jährigen durch die Turnhalle rennen sieht, merkt ihm seine Vergangenheit nicht an. Der Mann sieht ganz normal aus: freundliches Lächeln, kurze braune Haare, Brille, kaum Bauchansatz. Spielsucht macht keine Säufernase, keinen Raucherhusten, weder mager noch dick. Seine Handballkumpels haben deshalb all die Jahre nichts gemerkt, bis er es ihnen vor ein paar Monaten erzählt hat.

"Die haben det eigentlich sehr gut aufgenommen. Die fanden det gut, dass ick et ihnen erzählt habe und die haben ooch immer zu mir gestanden. Die haben mir immer ihre Unterstützung angeboten, mit denen konnte ick immer reden und det ist schon gerade in solchen Zeiten viel Wert, Freunde zu haben."

Franks wichtigster Freund sitzt ihm am nächsten Morgen im Büro gegenüber. Thomas, wie er Anfang 40, lässig gekleidet in Jeans und Hemd. Die beiden Männer kennen sich seit Kindertagen, arbeiten gemeinsam in Franks Unternehmen. Das Büro liegt in einer gutbürgerlichen Westberliner Wohngegend, in einer schönen Altbauvilla. Der Vorgarten ist grün, die Möbel solide aus Holz, in zwei Nebenräumen sitzen Mitarbeiter und eine Sekretärin, leise brummen die Computerserver im Flur. Das alles hätten Frank und Thomas beinahe verloren. Um ihre Geschichte richtig zu verstehen, muss man von der Vergangenheit erzählen, vom Jahr 2000. Damals fängt Franks Spielsucht an.

"Ick bin mit 'nem Freund in 'ne Automatenspielbank gegangen und habe dort Geld eingesetzt durch Zufall gewonnen. Und dann ist man mal wieder hingegangen und dann hat man noch mal gewonnen. Und irgendwann wurde die Intensität größer, man ist dann häufiger hingegangen, dann hat man inzwischen auch verloren und so bin ich eigentlich in diese Spirale geraten."

Seit einer Viertelstunde steht Frank nervös vor dem Kasino-Eingang, wartet darauf, dass der Automatenbereich endlich öffnet. Um 11 Uhr schließt ein Mitarbeiter in dunkelblauem Anzug die Glas-Drehtüre auf.

Frank eilt an ihm vorbei, geht zielstrebig zu den Automaten im hinteren Kasinobereich. Hier sind die Einsätze am höchsten.

Fünfzig Euro verschwinden in dem schmalen Schlitz des blinkenden Automaten. Pro Spiel frisst die Maschine fünf Euro. Schon nach wenigen Minuten ist das ganze Geld weg, schiebt Frank den nächsten Schein nach. Er drückt die Tasten im Sekundentakt, starrt konzentriert auf die Anzeige. Stundenlang sitzt er auf dem Hocker. Zwischendurch steht er nur kurz auf, um mit seinen Kreditkarten am Kassenschalter frisches Geld zu holen.

"In den Hochphasen des Spiels ist es so, dass du dein Leben ausblendest. Du setzt dich vor den Automaten, drückst auf Knöpfe, hoffentlich passiert was, sachste Dir dann immer, hoffentlich gewinnste dann irgendwo. In der Zeit, die du dort verbringst, vergisste alles, die Probleme, die de auf Arbeit hattest, die du in deiner Partnerschaft hast, in der Familie oder mit sonstigen Leuten. Die verdrängst du einfach."

Vier Kreditkarten hat Frank heute dabei, alle reizt er bis zum Limit aus. Am Ende, nach acht Stunden im Kasino, wird er viertausend Euro verspielt haben, das Übliche. "Ab und zu habe ich es auch schon geschafft, nach einem großen Gewinn nach Hause zu gehen", sagt er stolz, während er den Automaten keine Sekunde aus den Augen lässt.

"Man hatte dann immer so das Gefühl, heute hatte man alles unter Kontrolle gehabt, heute konnte man alles berechnen, heute hat man die richtigen Entscheidungen getroffen und man hat sozusagen den Automaten beherrscht."

In Wirklichkeit beherrscht schon längst der Automat ihn.

"Man hat halt diese Sucht in sich und die will befriedigt werden und Ausreden und Gründe und Begründungen gibt’s viele, warum man spielen gehen kann oder sollte."

Zurück ins Jetzt, zu Frank und Thomas, die sich im Büro am großen Schreibtisch gegenübersitzen und an diesem Morgen ebenfalls von der Vergangenheit reden.

Frank: "Man macht sich selber was vor. Man macht sich und den anderen vor, dass das eine Sache ist, die man irgendwie im Griff hat und man hat sie definitiv nicht im Griff, das ist einfach so."

Thomas: "Es ist ja schwierig, jemandem beizubringen, dass er wirklich süchtig ist, ihm zu sagen, das sind nicht nur einfach Vorfälle, sondern hier steckt ein System dahinter und das muss eine Ursache haben. Beim Alkoholiker sagt man, der muss mal völlig fertig auf der Straße aufgewacht sein, bis ihm bewusst wird, dass er mit seinem Leben spielt."

Frank: "Wenn man sich das eingesteht, dann muss man ja was tun, man will aber nichts tun."

Thomas weist Frank darauf hin, dass er mal wieder "man" statt "ich" gesagt hat, was dieser schmunzelnd zur Kenntnis nimmt. Die beiden 42-Jährigen, die sich in Jeans und Hemd an dem großen Schreibtisch gegenübersitzen, wirken wie ein altes Ehepaar, das nichts mehr auseinanderbringen kann. Thomas hat verziehen, Frank schämt sich nur noch ganz selten, wenn er zum Beispiel daran denkt, was der Freund alles versucht hat, um ihm zu helfen.

Damals recherchiert Thomas im Internet zum Thema Spielsucht, legt ihm die ausgedruckten Seiten demonstrativ auf den Schreibtisch, kontrolliert Franks Privat- und Geschäftskonten, redet mit ihm über die hohen Summen, die dauernd abgebucht werden. Er vertröstet Kunden, die auf ihr Geld und Mitarbeiter, die auf ihren Lohn warten müssen, verzichtet selbst. Alles vergeblich.

Thomas: "Ich hab ihm Bilder seiner Kinder ins Portemonnaie gemacht und habe hinten draufgeschrieben, sie wollen eine Zukunft haben und all so 'ne Sachen. Weil ich versucht habe, ihn auf der emotionalen Ebene zu kriegen, dass er sein Portemonnaie öffnet und die Bilder seiner Kinder sieht. Das hat sicherlich eine Zeit lang geholfen, aber ein Ende hat das dem nicht gemacht."

Erst als seine Frau ihn verlässt, die gemeinsame Tochter mitnimmt, wacht Frank endlich auf. Sieben Jahre und mehrere Hunderttausend Euro später.

Frank: "Ich hab des einfach bis zu dem Tag, wo - ich sag mal so schön - ich mich nicht mehr im Spiegel sehen konnte und mein Leben an mir vorbeigezogen ist und ich erinnere mich an eine Aussage von Thomas, als ich für mich ganz unten war, da sagte Thomas zu mir, du bist noch nicht ganz unten. Und das war so 'ne Sache, die hat mich tage- und wochenlang beschäftigt und ich hatte ihm unmittelbar geantwortet, doch ich bin ganz unten."

Dieses Mal ist es Frank ernst. Er lässt sich bei allen öffentlichen Spielbanken sperren. Das geht seit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag vom Januar 2008 problemlos. Er gesteht Thomas noch einige Geldtransfers, die dieser nicht selbst bemerkt hat, erzählt Freunden und Mitarbeitern von seiner Sucht, macht reinen Tisch.

Auch wenn die schlimmste Zeit seit anderthalb Jahren vorbei ist, wühlen Erinnerung und Gespräch die beiden Freunde doch wieder auf. In der kleinen Büroküche kocht Frank deshalb erstmal Kaffee, beide reden von was anderem.

Während Thomas Frank vom letzten Kundengespräch berichtet, macht er nebenbei das, was er jeden Tag tut:

Er checkt am Computer die Geschäfts- und Privatkonten von Frank.

Thomas: "Das ist dann sein Konto und da guck ich mir wirklich an, was ist da passiert, wofür hat er Geld ausgegeben, wo war er? Es ist tatsächlich gläsern. Wenn seine Kartenabhebung in 'ner zu schnellen Frequenz ist, dann frag ich schon mal entsprechend nach, was damit ist. Jede kleine Öffnung in der Mauer, die ich ihm gegeben habe, hat er ja auch entsprechend ausgenutzt und so ist das eben intim geworden. Aber das hat er sich in dem Sinne ja auch selber ausgesucht. Vier Konten durchgesehen, so schnell geht das."

Frank reagiert überhaupt nicht erstaunt auf die Kontrolle durch den Freund, greift stattdessen zum klingelnden Telefon. Vielmehr ist er ihm dankbar, braucht seinen kritischen Blick als Hürde gegen einen Rückfall. Um Missverständnisse zu vermeiden, berichtet er sofort von jeder größeren Ausgabe. Hat Frank im Sommerschlussverkauf drei Hemden erstanden, mit seiner Tochter einen teuren Ausflug gemacht, im Restaurant gegessen, weiß das wenig später auch Thomas.

Frank: "Für mich ist das natürlich auch ziemlich wichtig, ich weiß, dass dit für ihn nicht angenehm ist und dass ich ihn da durchaus auch in prekäre Situationen bringen kann, dass es auch sein kann, dass eine Abhebung vielleicht war, wo ich ihm noch nichts dazu gesagt habe, wo er vielleicht gleich ein schlechtet Gefühl kriegt oder so. Also ick nehm ihn da schon mit ins Boot, mir ist auch wirklich sehr wichtig, dass er da kein Vertrauen hat. Er soll misstrauisch sein. Sein Job ist es, misstrauisch zu sein!"

Thomas: "Deswegen beobachte ich nach wie vor die Konten und ich werde damit auch sicherlich nicht aufhören. Mein Misstrauen ist nach wie vor riesig groß, dafür hab ich zu viel erlebt."

Frank muss aufbrechen, heute Abend trifft sich seine Selbsthilfegruppe. Thomas nickt ihm zum Abschied zu.

Thomas: "Darauf lege ich auch Wert, dass er in regelmäßigen Abständen zu dieser Gruppe hingeht. Und zwar ganz einfach deshalb, weil ich sehen möchte, nein, ich möchte, dass er sieht, wie es anderen geht. Er soll sehen, wie weit das reichen kann, das will ich, das verlange ich auch, dass er dort immer wieder hingeht."

Um zur Kreuzberger Gruppe zu kommen, fährt Frank durch die halbe Stadt. Ziemlich rasant, mit Tempo 70 statt 50. Der Spaß am Risiko steckt wohl einfach zu sehr in ihm. Auf dem Weg passiert er mit seinem Auto unzählige private Kasinos. Den meisten Vorbeifahrenden fallen die Schilder, die für Dart, Billard, diverse Spielautomaten und 24 Stunden Öffnungszeiten werben, kaum auf. Anders Frank.

"Wenn man mal drauf achtet, für Leute, die nicht betroffen sind, die werden es nicht sehen, aber Leute, die betroffen sind, sollen mal drauf achten, wie viel Spielhallen oder Kasinos oder wat auch immer es in der Zwischenzeit gibt. Das ist unglaublich. An jeder Straßenecke."

Diese Spielsalons unterscheiden sich von staatlichen Einrichtungen vor allem durch eines: Für sie gilt der Glücksspielstaatsvertrag nicht. Das heißt konkret: Niemand muss beim Einlass seinen Ausweis zeigen und niemand kann sich zentral sperren lassen, auch Frank nicht. Bislang hat er es trotzdem geschafft, in keinen dieser Läden reinzugehen.

Mit Schwung öffnet Frank die schwere, braune Holztüre, betritt den dunklen Hausflur. Das Café Beispiellos liegt im Erdgeschoss eines Kreuzberger Altbaus, etwas abseits der belebten Kneipenszene. Seit 21 Jahren betreibt die Caritas hier eine Beratungsstelle ausschließlich für Spielsüchtige und Angehörige, was deutschlandweit einmalig ist. Die Kranken - als solche gelten Spielsüchtige - können in den zahlreichen Räumen einfach ihre Freizeit verbringen, gemeinsam kochen, Skat spielen, Ausflüge mitmachen, Tipps zur Schuldenberatung bekommen. Im Moment ist noch Kaffeeklatsch. Die eigentliche Selbsthilfegruppe geht erst in einer Stunde los.

An die zehn Männer sitzen um den langen, weißen Tisch, erzählen sich Alltags- und Suchtgeschichten, trinken Kaffee, Cola oder Bionade, knabbern Kekse, die einer mitgebracht hat. Die Besucher sind ein Querschnitt durch alle sozialen Schichten: zwischen 20 und 60, manche gepflegt, manche zerzaust, tragen Jeans, Anzug, zerrissene Klamotten. Zu 80 Prozent sind Glücksspielsüchtige Männer, deshalb ist Lene Zielke heute die einzige Frau am Tisch. Sie ist Sozialpädagogin und leitet die Gruppe. Frank nimmt neben ihr Platz, greift in die Keksdose.

"So, warte mal, ich brauche mal ein Stück Keks, indem ich was für die Figur tue."

Sofort unterhält sich Frank mit den Männern am Tisch, auch wenn er von den Anwesenden nur wenige kennt.

"In der Gruppe haben wir eine relativ große Fluktuation, wir haben auch einen relativ harten Kern, wo einige Leute schon seit Jahren dabei sind, aber wir haben auch viele neue Gesichter. Wir haben sehr unterschiedliche Menschen dort, wir haben alle Bevölkerungsschichten, vom Akademiker bis zum Harz IV-Empfänger. Und wir haben aber auch sehr viele Leute, die dort gegenwärtig noch nichts zu suchen haben, weil diese Leute noch nicht da angekommen sind und noch nicht bereit sind. Viele kommen dort alibimäßig hin, um es ihrem Arbeitgeber recht zu tun oder ihrem Lebenspartner oder wem auch immer recht zu machen."

Frank weiß, wie wichtig es Thomas ist, dass er heute hier ist. Aber eigentlich ist er einzig und allein wegen sich selbst da.

"Weil wir ja auch oft Neuankömmlinge haben, erinnert einen das oft an früher, wie man nicht mehr sein möchte. Das ist ein wesentlicher Punkt, finde ich, oder 'ne wesentliche Motivation, herzukommen. Zum einen finde ich es durchaus auch gesellig und man macht hier 'ne gewisse Lebenserfahrung, man nimmt hier gewisse Sachen mit."

Zum Beispiel von Helmut. Er kommt wie Frank schon ein paar Jahre regelmäßig. Die beiden Männer verstehen sich gut, verziehen sich deshalb erstmal raus auf die Straße. Helmut will Frank sein neues Auto zeigen. Die meisten Menschen freuen sich über solche Neuanschaffungen, bei den beiden Exspielern ist die Freude besonders riesig. 20 Jahre hat Helmut allen Verdienst sofort verzockt. Geld für Anschaffungen - das kennt er eigentlich nicht.

Auch Frank bekommt bald einen Neuwagen. Die beiden müssen deshalb noch eine Weile über Automatik, PS und Spritkosten fachsimpeln, bevor sie zu den anderen ins Café zurückkehren. Sozialpädagogin Lena Zielke hat inzwischen einige Neulinge begrüßt und ihnen die Gruppe erklärt.

Zielke: "Das ist kein Stammtisch. Wir haben auch Regeln, zwar wenige, um es sehr auf freiwilliger Basis zu halten, aber wir fangen immer mit einer Blitzlichtrunde an, wo jeder sich auch noch mal vorstellt und sagt, was er besprechen möchte und sagt, was in der Woche schwierig war und dann steigen wir aber auch ein. Es ist Arbeit, es ist kein Stammtisch."

Für alle gelten die gleichen Regeln: Niemand muss die Sitzungen bezahlen, weil Spielsüchtige sowieso kaum Geld haben, niemand muss seinen echten Namen nennen, weil sich die meisten schämen, niemand darf aktiv spielen. Bei seinem einzigen Rückfall vor einem Jahr hat Frank sofort allen davon erzählt. Sie hätten es sowieso gemerkt.

"Dat war eine der Sachen, die ich hier schnell mitbekommen habe. Wir kennen ja alle selber unsere Geschichten, die wir in der Vergangenheit erzählt haben, wo wir uns, der Welt, unserer Familie, den Freunden, den Bekannten wat vorgemacht haben. Und von daher ist et sehr schwierig, jemandem wat vorzumachen. Det kriegen wir dann schon mit. Und meistens werden die Leute in der Gruppe dann ooch zur Rede gestellt. Oder wat heißt meistens, aber die werden dann gelegentlich auch zur Rede gestellt. Nicht, Helmut?"

Der so Angesprochene grinst und antwortet prompt.

Helmut: "Ja, je länger man dabei ist, je häufiger hat man gewisse Geschichten ja schon gehört und man weiß im Verlauf der Erzählung desjenigen ja schon, was als nächstes kommt. Wir machen alle die gleichen Fehler letztendlich und det ist dann halt eine Wiederholung halt natürlich. Aber hinter jeder Geschichte steht ein Mensch für mich und das muss ich einfach respektieren."

Die Gruppe beginnt. Die Männer ziehen sich in den Nebenraum zurück. Außer den Spielsüchtigen und ihrer Beraterin wird die nächsten eineinhalb Stunden niemand bei dem Gespräch dabei sein.

Kaum ist Frank am Abend zu Hause, ruft seine kleine Tochter an, die fünf Tage pro Woche bei ihrer Mutter lebt und zwei bei ihm. Lächelnd macht er es sich auf seinem orangefarbenen Sofa bequem, hört sich die neuesten Geschichten der Sechsjährigen aus dem Kindergarten an. Jeden Morgen und jeden Abend telefonieren die beiden miteinander.

In den Gesprächspausen ist im Hintergrund leise die Stimme der Mutter zu hören, die wie immer direkt daneben sitzt und Anweisungen gibt. Dann schüttelt Frank kurz genervt den Kopf, lässt sich aber nichts anmerken. Noch immer verweigert ihm seine ehemalige Partnerin eine Aussprache zum Thema Sucht. Sie lehnt jede Mitverantwortung ab, ist mit seiner Krankheit völlig überfordert. Vielleicht weil sie selbst das Kind eines Alkoholikers ist. Von all dem erzählt Frank seiner Tochter aber nichts.

Kurz schaut Frank nach dem Auflegen wehmütig auf das Foto des niedlichen Mädchens, das in einem bunten Bilderrahmen auf dem schlichten Holzregal im Wohnzimmer steht. Direkt daneben ein Bild ihres Halbbruders aus erster Beziehung.

"Da ist mein Sohn, als er janz klein ist. Mein kleines Flatterohr."

"Das kleine Flatterohr" ist mittlerweile elf und verbringt jedes zweite Wochenende bei Frank. Am Samstag ist auch die Tochter da, die enge Drei-Zimmer-Wohnung voll besetzt. Doch trotzdem bleibt im Kinderzimmer das Stockbett leer, das dort neben vollen Spielzeugkisten steht.

"Die schlafen bei mir und solange mein Sohn nicht rebelliert und meine Tochter nicht rebelliert. Meine Tochter schläft immer neben der Heizung, mein Sohn in der Mitte und Papa schläft außen. Und meine Eltern sind da total dagegen. 'Jaaa und dein Sohn ist schon elf und schläft noch neben Papa im Bett!' Und da hab ick gesacht, jeht euch janischt an. Wenn der Sohn sagt, er will nicht mehr neben Papa im Bett schlafen, dann muss er det nicht. Aber solange er det noch will, ist det völlig in Ordnung."

Bevor Frank an diesem Abend alleine in sein großes Bett geht, räumt er noch schnell die Kinderspiele ins Wohnzimmerregal, die vom letzten Besuch seiner Tochter herumliegen.

"Billy Biber und Nacht der Magier scheint mir nicht so. Nein. Wir spielen relativ viel mit meinen Kindern, geht gar nicht jetzt von mir aus, sondern die wollen natürlich auch spielen. Da machen wir schon eine ganze Menge, stimmt schon."

Noch sind die Kinder zu klein, Frank hat sich keine wirklichen Gedanken darüber gemacht, ob er seine Neigung zur Spielsucht vielleicht weitervererbt hat.

"Aber ich habe das natürlich schon in einer gewissen Beobachtung. Ich würde meinem Sohn sicherlich, wenn er det wünscht, Skat beibringen. Aber ich würde ihm jetzt nicht det pokern beibringen und ich werde ihm sicherlich auch nicht klammern beibringen oder ähnliche Sachen."

Die beiden Kinder bedeuten Frank mittlerweile alles, für sie will er kämpfen, durchhalten, trocken bleiben.

"Für mich ist es einfach so, dass man natürlich, nachdem man diese erste Sucht überwunden hat oder zumindest im Griff hat, dass man gewisse Beziehungen ganz anders erlebt, die man vorher ja nie so erlebt hat wie jetzt. Man war schon immer mit seinen Gedanken bei den Kindern, aber eben nur zu 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent schwirrten irgendwo an irgendwelchen Kasinos. Ja, ich, ja. Man, man, man - ich bin das nicht, das ist ein anderer."

Eine Weile amüsiert sich Frank darüber, dass er schon wieder "man" statt "ich" gesagt hat, so als ginge ihn das ganze nichts an. In Wirklichkeit macht er sich über seine Sucht nichts mehr vor. Er weiß, dass er jederzeit rückfällig werden kann und wie wichtig die Hürden sind, die er sich aufgebaut hat: das Handballspielen mit seiner Mannschaft, die Kontokontrolle durch den Freund Thomas, die Treffen mit der Selbsthilfegruppe und das Leben mit seinen Kindern.

"Na sicher ist man nie, denk ick, aber ich bin relativ gut geschützt insgesamt."