Ganzheitliches Medizinverständnis
Viktor von Weizsäcker gilt als Mitbegründer der Anthropologischen Medizin und als solcher hat er stets dafür plädiert, die Einheit von Körper und Seele zu beachten. Anders gesagt: Bei Erkrankungen sind nicht nur organische Ursachen zu erforschen, sondern auch etwaige psychische Einflüsse. Seine Ideen macht er an vielen Fallbeispielen deutlich. Seine zum Teil über 50 Jahre alten Texte wirken auch heute noch aktuell.
Das Lesebuch "Warum wird man krank?" mit Texten von Viktor von Weizsäcker befasst sich mit dem Menschenbild der Medizin, einem Thema, das heute noch genauso aktuell ist wie zu Lebzeiten des 1957 verstorbenen Autors. Der ausgebildete Mediziner und spezialisierte Neurologe wirbt in seinen Texten eindringlich dafür, nicht nur den Körper, sondern auch die Seele zu untersuchen. Erst dann, so von Weizsäcker könne man Krankheiten besser verstehen. Denn hinter jeder Angina, jedem Magengeschwür können auch ein persönlicher Konflikt oder psychische Probleme stecken.
Von Weizsäcker verurteilte die klassische Schulmedizin zwar nicht, er hielt sie aber für ergänzungsbedürftig. Der Mensch müsse als Einheit von Körper und Seele verstanden werden und auch als solche Einheit behandelt werden.
Der Onkel des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker hatte seine große Zeit Ende der zwanziger Jahre. Damals traf er auf Sigmund Freud und wurde stark von dessen Thesen geprägt. Er strebte eine Reform des Sozialversicherungswesens an, die allerdings unter dem Einfluss der Nationalsozialisten zum erliegen kam.
Die Texte des Lesebuchs, die allein ihres Inhalts wegen hohe aktuelle Bezüge haben, sind Auszüge aus Vorträgen und Schriften des Mediziners und erlauben eine tiefen Einblick in das Denken dieses bedeutenden Arztes, der sich seiner Zeit einer hohen Popularität erfreute.
Im vorderen Teil des Buches beschreibt er verschiedene Krankengeschichten. Es sind Vorlesungsprotokolle, in denen zuerst der Dialog zwischen Arzt und Patient niedergeschrieben ist, und Viktor von Weizsäcker dann seine Diagnose der Probleme erläutert. Hier kann man dem Autor sehr gut folgen, da er seine Theorien an konkreten Beispielen deutlich macht und eine lebendige Sprache wählt:
"Ist ihnen aufgefallen, dass die Kranke, die vor eineinhalb Jahren die Lähmung schon einmal auf der anderen Seite hatte, sie damals 'vom Geschäft' bekommen haben will? Gibt es eine Entstehung durch Aufregung? Ich halte die Mitwirkung einer solchen in vielen Fällen für ganz gewiss."
Daran schließen sich zahlreiche Kapitel an, in denen er seine Theorien zur anthropologischen Medizin, also zum Zusammenhang von Körper und Seele, erläutert. Diese Theorien sind sehr abstrakt und aufgrund ihrer historischen und damit mitunter umständlichen Sprache und der psychologischen Ausführungen zum Teil schwer lesbar.
Ganz anders verhält es sich mit der Einleitung und den Überleitungen zwischen den einzelnen Kapiteln, die vom Herausgeber Wilhelm Rimpau stammen und die auf mitreißende Weise den Menschen und den Arzt Viktor von Weizsäcker beschreiben. Aus ihnen geht wesentlich deutlicher, als aus den Texten des Autors selbst die Idee der Anthropologischen Medizin hervor. Wilhelm Rimpau ist selbst Neurologe und hat sich seit den 70er Jahren intensiv auseinandergesetzt mit den Schriften von Viktor von Weizsäcker und dessen Idee einer "anthropologischen Medizin". Seit diesem Frühjahr ist er pensioniert und hat die Texte von Viktor von Weizsäcker für das Lesebuch zusammengestellt. Ergänzt hat er seine Auswahl durch Erinnerungen an Viktor von Weizsäcker, die der Politikwissenschaftler und Journalist Dolf Sternberger 1986 niedergeschrieben hat.
Dazu kommt das gelungene Vorwort, in dem Rimpau zusammen mit Klaus Dörner, einem Mediziner und Vertreter der Sozialpsychatrie zeigt, in welcher Krise das moderne Gesundheitssystem steckt und warum bis heute die Kranken mit ihren Ängsten und Lebenswegen selten ernst genommen werden, und nach wie vor die Suche nach den organischen Ursachen einer Krankheit im Vordergrund steht. Was zeigt: Viktor von Weizsäckers Forderung, nicht die Krankheit, sondern der Kranke müsse im Vordergrund der Behandlung stehen, ist noch immer nicht erfüllt.
Wilhelm Rimpaus Einführung ist sehr hilfreich, um die nachfolgenden Texte Viktor von Weizsäckers einordnen und in ihrer Reichweite verstehen zu können. An sie schließen sich in Auszügen aus Vorträgen und Schriften die theoretischen Grundlagen der von Weizsäcker begründeten medizinischen Anthropologie an und hier wird es sehr speziell.
Diese letzten zwei Drittel des Buches richten sich vor allem an Leser, die sich in die verschiedenen Theorien Viktor von Weizsäckers einarbeiten wollen und vor der Lektüre seiner umfangreichen gesammelten Werke eine Zusammenfassung suchen. Für Laien sind sie aufgrund ihres psychologischen Überbaus nur schwer verständlich.
Rezensiert von Monika Seynsche
Viktor von Weizsäcker: Warum wird man krank? Ein Lesebuch
Suhrkamp Verlag 2008
341 Seiten, 10 Euro
Von Weizsäcker verurteilte die klassische Schulmedizin zwar nicht, er hielt sie aber für ergänzungsbedürftig. Der Mensch müsse als Einheit von Körper und Seele verstanden werden und auch als solche Einheit behandelt werden.
Der Onkel des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker hatte seine große Zeit Ende der zwanziger Jahre. Damals traf er auf Sigmund Freud und wurde stark von dessen Thesen geprägt. Er strebte eine Reform des Sozialversicherungswesens an, die allerdings unter dem Einfluss der Nationalsozialisten zum erliegen kam.
Die Texte des Lesebuchs, die allein ihres Inhalts wegen hohe aktuelle Bezüge haben, sind Auszüge aus Vorträgen und Schriften des Mediziners und erlauben eine tiefen Einblick in das Denken dieses bedeutenden Arztes, der sich seiner Zeit einer hohen Popularität erfreute.
Im vorderen Teil des Buches beschreibt er verschiedene Krankengeschichten. Es sind Vorlesungsprotokolle, in denen zuerst der Dialog zwischen Arzt und Patient niedergeschrieben ist, und Viktor von Weizsäcker dann seine Diagnose der Probleme erläutert. Hier kann man dem Autor sehr gut folgen, da er seine Theorien an konkreten Beispielen deutlich macht und eine lebendige Sprache wählt:
"Ist ihnen aufgefallen, dass die Kranke, die vor eineinhalb Jahren die Lähmung schon einmal auf der anderen Seite hatte, sie damals 'vom Geschäft' bekommen haben will? Gibt es eine Entstehung durch Aufregung? Ich halte die Mitwirkung einer solchen in vielen Fällen für ganz gewiss."
Daran schließen sich zahlreiche Kapitel an, in denen er seine Theorien zur anthropologischen Medizin, also zum Zusammenhang von Körper und Seele, erläutert. Diese Theorien sind sehr abstrakt und aufgrund ihrer historischen und damit mitunter umständlichen Sprache und der psychologischen Ausführungen zum Teil schwer lesbar.
Ganz anders verhält es sich mit der Einleitung und den Überleitungen zwischen den einzelnen Kapiteln, die vom Herausgeber Wilhelm Rimpau stammen und die auf mitreißende Weise den Menschen und den Arzt Viktor von Weizsäcker beschreiben. Aus ihnen geht wesentlich deutlicher, als aus den Texten des Autors selbst die Idee der Anthropologischen Medizin hervor. Wilhelm Rimpau ist selbst Neurologe und hat sich seit den 70er Jahren intensiv auseinandergesetzt mit den Schriften von Viktor von Weizsäcker und dessen Idee einer "anthropologischen Medizin". Seit diesem Frühjahr ist er pensioniert und hat die Texte von Viktor von Weizsäcker für das Lesebuch zusammengestellt. Ergänzt hat er seine Auswahl durch Erinnerungen an Viktor von Weizsäcker, die der Politikwissenschaftler und Journalist Dolf Sternberger 1986 niedergeschrieben hat.
Dazu kommt das gelungene Vorwort, in dem Rimpau zusammen mit Klaus Dörner, einem Mediziner und Vertreter der Sozialpsychatrie zeigt, in welcher Krise das moderne Gesundheitssystem steckt und warum bis heute die Kranken mit ihren Ängsten und Lebenswegen selten ernst genommen werden, und nach wie vor die Suche nach den organischen Ursachen einer Krankheit im Vordergrund steht. Was zeigt: Viktor von Weizsäckers Forderung, nicht die Krankheit, sondern der Kranke müsse im Vordergrund der Behandlung stehen, ist noch immer nicht erfüllt.
Wilhelm Rimpaus Einführung ist sehr hilfreich, um die nachfolgenden Texte Viktor von Weizsäckers einordnen und in ihrer Reichweite verstehen zu können. An sie schließen sich in Auszügen aus Vorträgen und Schriften die theoretischen Grundlagen der von Weizsäcker begründeten medizinischen Anthropologie an und hier wird es sehr speziell.
Diese letzten zwei Drittel des Buches richten sich vor allem an Leser, die sich in die verschiedenen Theorien Viktor von Weizsäckers einarbeiten wollen und vor der Lektüre seiner umfangreichen gesammelten Werke eine Zusammenfassung suchen. Für Laien sind sie aufgrund ihres psychologischen Überbaus nur schwer verständlich.
Rezensiert von Monika Seynsche
Viktor von Weizsäcker: Warum wird man krank? Ein Lesebuch
Suhrkamp Verlag 2008
341 Seiten, 10 Euro