Gar nicht primitive Überlebenskünstler

Von Peggy Fuhrmann |
Lange Zeit galt der Neandertaler als primitiver Verwandter des ungleich klügeren Homo Sapiens. Neuere Forschungsergebnisse belegen: Er war ein wahrer Überlebenskünstler der Eiszeit und besiedelte 120.000 Jahre lang Europa und Vorderasien. Ungeklärt bleibt sein Zusammenleben mit den Menschenvorläufern und sein plötzliches Aussterben.
”Die Knochen müssen einem urtypischen Individuum unseres Geschlechts einstens angehört haben”, urteilte der Dorfschullehrer Johann Karl Fuhlrott, als er vor 150 Jahren als erster die Überreste des Neandertalers untersuchte.

Er entfachte mit der These vom Urmenschenfund eine heftige Debatte. Denn damals galt der Schöpfungsmythos noch als unantastbare historische Wahrheit: Danach hatte Gott sämtliche Tiere und den Menschen in einem einmaligen Schöpfungsakt und in ihrer aktuellen Gestalt kreiert. Erst als sich Jahre später nach der Veröffentlichung von Darwins Werken der Gedanke an eine evolutionäre Entwicklung aller Lebewesen langsam durchsetzte, wurde der Neandertaler als menschlicher Vorfahr gewürdigt.

Und dennoch verkannt: Lange Zeit galt er als primitiver Vetter des vermeintlich sehr viel klügeren und geschickteren frühen Homo sapiens. Ein Irrtum, wie neue Forschungsergebnisse belegen: 120.000 Jahre lang besiedelten die Neandertaler Europa und Vorderasien. In dieser Zeit wechselten mehrmals Eiszeiten und warme Perioden. Und mit jedem Klimaumschwung änderten sich auch Vegetation und Tierwelt dramatisch.

Doch die Neandertaler hielten Stand. Sie lebten in Clans, waren geschickte Werkzeugmacher und erfolgreiche Jäger, die gemeinschaftlich sogar Großwild wie Mammuts und Waldelefanten erlegten. Sie konnten sprechen und gingen fürsorglich mit ihresgleichen um: Alte und Kranke wurden gepflegt, Tote bestattet.

In den letzten Jahrtausenden, bevor der Neandertaler ausstarb, bewohnten er und der Homo Sapiens die gleichen Regionen. Forscher rätseln bis heute, wie die beiden Menschengruppen miteinander umgingen. Hielten sie nachbarschaftlichen Frieden oder bekriegten sie sich? Vermischten sie sich sogar? Bisherige Analysen von Neandertaler-DNA lassen zwar vermuten, dass wir heutigen Menschen genetisch nicht mit dem Neandertaler verwandt sind. Doch eindeutig beantworten können Forscher die Frage bisher nicht.

Ebenso ungeklärt ist, warum die Überlebenskünstler der Eiszeit ausstarben, während sich Homo sapiens unter den gleichen Lebensbedingungen immer weiter verbreitete. Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, der moderne Mensch habe sich durchgesetzt, weil er dem Neandertaler kulturell und geistig überlegen war. Andere bestreiten das energisch und vermuten, dass die Ur-Europäer Opfer einer eingeschleppten Krankheit wurden oder über einen langen Zeitraum hinweg zu wenige Kinder bekamen. Sicher ist heute nur: Vor 27.000 Jahren verliert sich die Spur der Neandertaler.

Das Gespräch zum Thema mit Prof. Dr. Wighart von Koenigswald vom Lehrstuhl Paläontologie an der Universität Bonn, wo am Wochenende ein internationaler Neanderthaler Kongress stattfindet, können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Deman-Player hören.


Service:
An der Universität Bonn findet der Internationale Neandertaler Kongress vom 21. bis 26. Juli 2006 statt.
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