"Menschen in Garagen" - die ganze "Echtzeit"-Sendung zum Nachhören (37:42 min):
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Vier Wände für eigensinnige Ideen
Die größten IT-Unternehmen begannen in der Garage - so besagt es der Startup-Mythos. In Berlin-Pankow bietet Jörg Himmelbach tatkräftigen Gründern mit wenig Kapital die nötigen Räume für ihre Tüftelarbeiten. Der Umgangston ist herzlich-ruppig - eben typisch Berlin.
In den "Gründer-Garagen Himmelbach" in Berlin-Pankow möchte der Pächter Jörg Himmelsbach eine Art Ostberliner Spielart des Silicon-Valley-Spirits auf seinem Garagen-Platz gelebt sehen: Bei ihm bekommt nur derjenige eine Garage, der sein eigenes Ding auch wirklich durchziehen will. Jörg Himmelsbach sieht seine Garagen als Chance für Leute, die keine Arbeit und kein Einkommen haben. Seine oberste Regel auf dem Regelkodex für das Areal lautet: Habe eine Vision! Und die zweite: Du musst strampeln!
Vom Airbrush-Künstler bis zum Gothic-Schreiner
Auf dem Gelände sieht es aus wie im Bilderbuch: Man kommt durch eine unscheinbare Toreinfahrt und steht plötzlich vor einem u-förmig angeordneten Ensemble aus alten, hölzernen Garagentoren in schmuckloser Backsteinfront. Durch die Mitte zieht sich auch ein Riegel Doppelgaragen: eine Autowerkstatt mit Hebebühnen – Auto-und Moped-Schrauber dominieren das Gewerbe. Insgesamt stehen 120 Garagen auf dem Platz.
Leute sind kaum zu sehen, die meisten Tore sind verschlossen. Aber wenn man hier und da mal anklopft, stellt man fest, dass unter den niedrigen, verwitterten Teerdächern einiges los ist. In den Werkstätten, Ateliers und Studios trifft man zum Beispiel auf Airbrush-Künstler oder Schreiner aus der Grufti-Szene, die Gothic-Möbel für den stilbewussten Heimbedarf herstellen. Mit wenig Startkapital lassen sich hier auch eigensinnige Ideen anstoßen und umsetzen - manch einer wird dabei so erfolgreich, dass er die Garagen irgendwann hinter sich lassen kann.
Raum für Ideen zum kleinen Preis
Die finanzielle Belastung ist überschaubar. "100 Euro müssense rechnen", sagt Betreiber Himmelsbach. Erfolgreiche Gründer haben die Möglichkeit, weitere Garagen anzuwerben. Umgekehrt kann man sich im Fall einer Durststrecke auch gesund schrumpfen.
Auf dem Gelände herrscht Gründergeist. Dazu passend gibt es einen Regelkodex mit elf Punkten. Die "11 Rules of the Garage" der Firma Hewlett and Packard standen dafür Pate - darin geht um Visionen, Zielstrebigkeit und Fleiß, aber auch um Kooperation und Akzeptanz auch schräger Ideen. Individualismus und Respekt werden auf dem Pankower Gelände entsprechend groß geschrieben - auch wenn man mitunter auch Konkurrent ist. Der Umgang ist freundschaftlich, an Sommerabenden grillt man gemeinsam.
Bedrohte Garagen
Vergleichbare Projekte gibt es auch in Kreuzberg, etwa das Dragoner-Areal mit über 100 vermieteten Garagen. Ein Multikulti-Projekt, das jedoch einem neuen Wohnungen weichen soll. Die Initiative "Stadt von unten" fordert daher gleichwertigen Ersatz.
Wichtig ist den Aktivisten "die Idee des Tüftelns! die Idee, einfach anzufangen und etwas auszuprobieren, eben: keine große Planung von oben, sondern einfach anfangen, zu basteln! Solche Nischen wie 'Garagen' zu übersetzen in eine neue Form – und genau dafür wollen wir ´n Raum haben!"
(Onlinefassung: thg)
In Zeiten, in denen das Auto an Statussymbolkraft verliert, das Öl knapp wird und Carsharing sich etabliert, erscheint die Idee eines eigenen Hauses für das private KfZ zunehmend merkwürdiger. Werden kommende Generationen die Stirn runzeln über solche Gebäude? Allerdings hat die Garage seit Beginn des automobilen Zeitalters eine ganz eigene Praxis und Geschichte hervorgebracht.
In der DDR bildeten die Garagenhöfe eine eigenartige, soziale nicht unwichtige Schnittstelle zwischen privat und öffentlich, wobei die Garage als Schutzraum für das wertvolle, weil lang erwartete Auto auch ein Rückzugsraum vor zuviel staatlicher Beobachtung war. Aus diesen architektonisch in ihrer Serialität reizvollen Ensembles sind in Berlin heute zum Teil Frickelbuden geworden, in denen Leute für wenig Geld ihren Hobbys und Geschäftsideen nachgehen können. Start-ups von den Rändern - und als Antwort auf den sterbenden Mythos in Kalifornien, wo Steve Jobs heute vermutlich nicht mehr in einer Garage anfangen würde. Und es damals eigentlich auch nicht wirklich getan hat.
In Südafrika schließlich ist die Garage das Nadelöhr einer Bedrohung für die reiche Oberschicht - weshalb sich ein Feld an technischen Innovationen und kulturellen Praktiken entwickelt hat. Um die Garage herum, die im Mittelpunkt dieser Echtzeit-Sendung steht.