Garten-Philosoph Karl Foerster

Der biegsame Staudengärtner

28:01 Minuten
Öffentlich zugänglicher Garten von Karl Foerster in Potsdam-Bornim. Ein Haus mitten in einem Garten.
Bühne für seine Utopien: Der öffentlich zugängliche Garten von Karl Foerster in Potsdam-Bornim, wo er über Jahrzehnte arbeitete und lebte. © imago images / Meike Engels
Von Dagmar Just |
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Der Philosoph Karl Foerster war über Jahrzehnte eine Art Garten-Guru. Er schrieb Bestseller über das Gärtnern und Pflanzen. Bornim in Potsdam machte er mit berühmt. Sein Gartenparadies war auch ein Schutz gegen die Zumutungen der Nazizeit.
"Sehr geehrter Herr Polizeipräsident! Ich bin tief betroffen von der Nachricht, dass Sie das Projekt der blauen Anstrahlung des Obelisken auf dem Place de la Concorde jetzt ablehnen, obwohl Sie damals Ihre Zustimmung gegeben haben."
Das schreibt Yves Klein, französischer Judomeister, Jazzmusiker, Ordensritter des Heiligen Sebastian und begnadetster aller Aktionskünstler, im Mai 1958 an den Chef der Pariser Polizei.
"Die blaue Anstrahlung des Obelisken, wenn die Scheinwerfer so aufgestellt werden, dass der Sockel unsichtbar wird, gibt dem Denkmal die ganze Mystik des Alten Ägypten. Deshalb erlaube ich mir, sehr geehrter Herr Polizeipräsident, Sie (nochmals) auf die Kraft der poetischen Anregung aufmerksam zu machen, die ein durch die außerordentliche Gefühlskraft der Farbe zum Ausdruck gebrachtes Ereignis (auch) den Touristen geben würde."
Wie ein magisches Symbol sollte die dreiundzwanzigeinhalb Meter hohe Granitnadel aus dem Luxor Ramses II. durch die Pariser Nacht schweben. Der blaue Obelisk ist nur eine spektakuläre Aktion von vielen, mit denen Yves Klein damals im atemberaubenden Tempo von vier Jahren einen ganzen "Kosmos-in-Blau" errichtet:
"L’epoque bleu… Blaue Epoche … blaue Briefmarke… blauer Cocktail… tausendundein blauer Luftballon … blauer Teppich … blauer Regen … blaue Nike von Samothrake… blauer Globus… blaues Pulver, auf dem Boden verstreut, verteilt sich an den Schuhen der Menschen über den Erdball…"
Dazu kreiert "Yves Le Monochrome", wie er sich selbst nennt, sein legendäres "I. K. B. 60 –International Klein Blue", und am 19. Mai 1960 lässt er sein makellos leuchtendes Blau durch das "Institut National de la propriété industrielle" patentieren.
Blau ist kein Geheimtipp, alle sind danach verrückt: Novalis, Picasso, die EU, Italiens Fußballer. Schon 1890 kürten 40 bis 50 Prozent der Europäer in einer Umfrage Blau zu ihrer Lieblingsfarbe, weit vor Grün mit 15 bis 20 Prozent, Rot mit 12 Prozent, Schwarz und Weiß mit 5 bis 8 Prozent und Gelb mit unter 2 Prozent.
Yves Klein ist mehr als verrückt: Er ist revolutionär. Sein Ziel: Die blaue Revolution, "la révolution bleue". Sein Blau soll die Welt retten. Erst – die Seelen läutern und dann die Menschheit erlösen. Das ist der Plan. Am 20. Mai 1958 ersucht Yves Klein Amerikas Präsidenten Dwight D. Eisenhower um Mithilfe bei seinem "globalen Lebens-Kunst-Projekt".
"Dear President Eisenhower, At this time where France is being torn by painful events … soll die französische Regierung damit beginnen, sich nach dem Vorbild der UNO umzubilden und Amerika wie dem Rest der Welt als Beispiel vorangehen."
Yves Klein ist Ende 20, als er diese Utopie entwirft, und um ihn brennt die Welt: Kalter Krieg, Algerienkrieg, blutige Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn, Chruschtschows Berlin-Ultimatum, atomare Aufrüstung, erster Ostermarsch gegen die Atomrüstung.

Derweil in Potsdam bei Karl Foerster

Zur gleichen Zeit steht in Bornim bei Potsdam der zweite "Blau-Missionar" des 20. Jahrhunderts ruhig und gelassen vor seinem 84. Geburtstag.
"Wir brauchen Schönheit als tägliches Seelenbrot, wie der Leib das Gräserbrot. In den noch hässlichen Winkeln unseres Wohnbereiches lauert Entmutigung; (Denn) wo zu wenig Schönheit, da ist Streit."
Karl Foerster. Der deutsche Gartenpoet, Naturanwalt, Pflanzenzüchter. Und wie Yves Klein ein von der Heilkraft des Blau Besessener. Auch ihn, auch Foerster, beseelt der Glaube an die Magie dieser Farbe als Schlüssel zum Frieden der Welt und Glück der Völker – nur dass die Bühne, auf der seine Utopie spielt, kein Atelier, keine Galerie oder politische Welt ist, sondern: der Garten.
"Langsam steigt nun in der abendländischen Welt die Ahnung auf, dass die voll erwachende Garten- und Pflanzenleidenschaft unvergleichliche Stillungs- und Vorbeugungsmittel für die Fieberanfälle der rastlosen europäischen Menschenwelt zu vergeben habe."
Aber wie kümmerlich muss diese Leidenschaft 1925 ausgeprägt gewesen sein, als er konstatierte:
"Es ist an der Zeit, vor der Auskältung unserer deutschen Gärten durch das allzu starke Dominieren des Geometers zu warnen."
Noch dramatischer heißt es 1935: "Die meisten Gärten sind Orte der Andachtslosigkeit, mit denen das Leben gelebt wird."
Und das fast 100 Jahre vor unseren heutigen Schottergärten! "Gärten des Grauens" nennt sie der Biologe Ulf Soltau in seinem gleichnamigen Erfolgsblog.

Er schrieb Gartenbestseller wie am Fließband

Was Foerster wohl dazu sagen würde? Wahrscheinlich würde dieser notorische Menschenfreund und Optimist versuchen, all diese Naturanalphabeten mit seinen Gartenfibeln und Pflanzenbibeln zu besseren Gartenverstehern zu erziehen.
Die meisten Bücher, die er schrieb, waren Bestseller:
"Garten als Zauberschlüssel"
"Gartenfreude wie noch nie"…
"Gartenstauden-Bilderbuch"
"Kleines Bilderlexikon der Gartenpflege"
"Vom großen Welt- und Gartenspiel"
"Reise doch – bleibe doch"
"Einzug der Gräser und Farne"
"Es wird durchgeblüht"
Vermutlich würde er auch seinen eignen Garten vor dem Wohnhaus in Potsdam-Bornim wieder mit dem Schild "Bitte eintreten!" versehen – als lebendige Inspiration und Paradies für alle – auch für die Schottergarten-Fans.
Zur Bundesgartenschau 2001 in Potsdam wurde sein Garten in Bornim als Gartendenkmal rekonstruiert und ist seitdem täglich geöffnet. In seinem Zentrum – das Juwel. Der "sunken garden", deutsch: Senkgarten, 25 mal 40 Meter: "Ein Seerosen-Wasserbecken in einem Ufergärtchen, darin Schwertlilien, Goldranunkeln, Vergissmeinnicht wachsen … hohe Gräser und Bambus … Tulpen … Iris … Rittersporn …"
Dazu der Frühlings- und der Herbstweg, der Wild – und der Steingarten. Ein "Worpswede bei Potsdam", dessen oberstes Gebot ist: Es wird durchgeblüht! Sommers wie winters. In allen sieben Jahreszeiten!
Und im Übrigen gilt: "Die Gartenarchitekten sollten nicht ´"unmöblierte Räume" schaffen und dann die Pflanzen hineinsetzen. Wie man Möbel in ein Zimmer setzt. Sondern die Pflanzen nach ihrem Willen fragen. Der Mensch muss die Pflanze (…) zu Wort bringen. (…) Ihr Temperament muss entfaltet werden. (…) Lilien setzt man nicht irgendwo hin. Sonst sind sie Schwäne auf trockenem Land. Zu allen sucht man den Genossen. Den Hintergrund. Die Apsis."
Karl-Foerster-Garten im Stadtteil Bornim. Im Hintergrund das Wohnhaus von Karl Foerster, daß 1912 im englischen Landhausstil nach Anregungen des Architekten Hermann Muthesius errichtet wurde.
„Man muss die Pflanzen nach ihrem Willen fragen", war Karl Foersters Credo. Hier Potsdam-Bornim.© akg-images / Matthias Lüdecke
"Man muss die Pflanzen nach ihrem Willen fragen." Das ist Foersters Credo, und er folgt ihm auch als Züchter.
"Spezielles Programm meiner Gärtnerei ist es, ein begrenztes Sortiment aus dem Chaos der Arten und Sorten unter dem Gesichtspunkt des Zusammentreffens der grossen Schönheitseigenschaften mit den grossen praktischen Dauer- und Willigkeitseigenschaften herauszuarbeiten."
Als einer der letzten großen Empiriker pflanzte er 20- bis 30.000 Exemplare einer Art auf riesigen Versuchsfeldern. Die Vermehrung überließ er wie die Natur dem Zufall, sprich: Der Wildbestäubung, während er selbst sich aufs Beobachten und Registrieren von Fehlern und Mängeln verlegte.
Nach zwei Jahren siebte er die ersten Besten aus, dann folgten drei weitere Beobachtungsjahre, und erst danach kürte er die von ihm "Langspielplatten" genannten Sieger:
Flammenblumen: 83 Sorten,
Sonnenkraut: 38 Sorten,
Glattblatt-Astern: 20 Sorten,
Herbst-Chrysanthemen: 20 Sorten;
Staudenlupine: 17 Sorten.
Berg- oder Garten-Sommer-Aster: 15 Sorten.
Und 36 Arten mit einer, zwei oder fünf Sorten."
Und die Lieblingsart war? – "Der Königsthron der blauen Farbe!", wie Foerster sie selbst beschrieb. 80 bis 200 Zentimeter hoch, Stängel aufrecht, Blätter handförmig, Knospen Delfin ähnlich, daher auch der lateinische Name; verträgt Sonne und Halbschatten. Aussaat im Sommer, Bestäubung durch Hummeln oder Schmetterlinge und Blüte von Juni bis August, traubenartig, blau bis Violett.
"Keine Blume kann den Garten so beherrschen, wie die neuen Rittersporne dies tun. Wunderbar hat hier die Farbe, die wir sonst nur aus den gestaltlosen Flächen und Weiten von Himmel und Wasser, Dämmerung und Ferne kennen, die Gebärden gestalteten Lebens selber angenommen und türmt sich in seltsamen gotischen Blütenbauten empor."
Historische Illustration des großblumigen Rittersporns (Delphinium grandiflorum), eine Giftpflanze.
Historische Illustration des Rittersporne. Für Karl Foerster war dieser "der Königsthron der blauen Farbe".© picture alliance / imagebroker / bilwissedition
1976: Wohlfahrtsbriefmarke. 2005: Giftpflanze des Jahres. Wegen der im Samen enthaltenen Alkaloide, die Herzmuskellähmung und starke Hautausschläge erzeugen können. Foerster züchtete 72 Rittersporne. 30 kann man heute noch in Deutschland kaufen, und ihre Namen, mit denen er sie versah, klingen sie nicht wie aus einem synästhetischen Farbkasten?
Atlantis … Azurriese … Tempelgong ... Jubelruf … Gletscherwasser … Berghimmel … Eisvogel … Blauwal … Rosenquarz … Zauberflöte … Sopran … Kleine Nachtmusik ...
Wie im Sprichwort alle Wege nach Rom, führen Foersters Wege zum "wirklichen Blau": "Wir wollen uns zunächst mal ein paar Jahrzehnte um wirkliche Blaus bemühen, die doch die Urdomäne des Rittersporns sind! Ist es nicht erstaunlich, wie viel Zuckerbäckereien und Zwischentöne (…) von unzähligen Züchtern … geschaffen wurden, und wie verschwindend wenig edle, rein himmelblaue, azurblaue und tiefblaue Rittersporne … erst vorhanden sind."
Ein Blau aber überragt alle und alles: "Azurblau ist die Kaiserin der Farben – Farbe der ewigen Hoffnung, des schrankenlosen Ja – alle anderen Farben hängen an ihrem Wort. Dies Blau ist wie ein heiterer Weiser, welcher dem Streit der Nachbarschaft Frieden gebietet. In die Gärten dringt mit ihm die wahre Märchenbuntheit."

Yves Kleins Geschichte aus dem Alten Persien

"Ein Flötenspieler begann eines Tages, einen einzigen, langgezogenen anhaltenden Ton zu spielen. Als er damit nun an die 20 Jahre lang fortfuhr, gab ihm seine Frau zu bedenken, dass doch alle anderen Flötenspieler mehrere, harmonische Töne und ganze Melodien zustande brächten und dass das doch vielleicht abwechslungsreicher sei. Der monotone Flötenspieler aber erwiderte, dass es nicht sein Fehler sei, wenn er die Note schon gefunden hätte, nach der die anderen alle noch immer suchten."
Eine Geschichte aus dem Alten Persien, die Yves Klein um seine monochromen Bilder und Aktionen webte. Die andere, eher autobiografische Anekdote, die immer wieder zitiert wird, geht so:
"Als Junge, ausgestreckt am Strand von Nizza, schrieb ich dem Himmel meinen Namen auf den Rücken. Mein erstes signiertes Werk. Seitdem hasse ich die Vögel, da sie versuchen, in mein größtes und schönstes Bild Löcher zu bohren."
Der Himmel als ultimatives Kunstwerk. Fast zur gleichen Zeit schrieb Karl Foerster sein vielleicht berühmtestes Buch: "Der Blaue Schatz der Gärten". Die erste Monografie des Blau überhaupt. Sein verwegener Untertitel: "Kommende Freundschaft des/ Gartenmenschen mit der neuen Sphäre der Gartenfarben/ dem blauen Flor der Monate/ von Vorfrühling bis Herbst."
Das "monochrome Gartenbuch", in dem er ausschließlich blauen Stauden und Gehölzen huldigt, ihrer Schönheit, ihrer Herkunft, ihrer Pflege. Und ihrer unschätzbaren Bedeutung für die Zukunft. Wörtlich prophezeit er gleich im ersten Satz:
"Nach einem Menschenalter wird dieses Buch (…) von der kommenden Entfaltung der Dinge überblendet und überholt werden, die es zu entflammen versucht. (Und …) als Träger eines neuen, weit emporwachsenden Lebensgefühls wohl noch das Herz einer blauen Zukunft berühren."
Mehr Optimismus geht nicht. Bei Foerster schon. Denn nur vier Seiten später erklärt er: "Die Welt ist erziehbar zur blauen Farbe (…)! Es kommt (nur) darauf an, durch Übermittlung der Natur- und Kunsterfahrung die blauen Angelegenheiten in wagnisreiche, schöpferische Zusammenklänge hineinzuordnen."

Irritierendes Verhalten in der Nazizeit

Und das – 1940! Schwierig! Rätselhaft! Monströs! Für wen schreibt er das? Für die Wehrmachtssoldaten? Deren Mütter? Frauen? Lehrer? Sind Utopien im Krieg tabu?
Wenn sein Bruder Friedrich Wilhelm ein Nazigegner der ersten Stunde ist und gleich 1933 ins Exil muss, weil sein Name auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis steht?! Und seine Bücher werden unmittelbar nach denen von Karl Marx und Heinrich Mann auf dem Opernplatz in Berlin verbrannt. Mit eigenem Feuerspruch – während Friedrich Wilhelms Gärtnerbruder Karl über die (sarkastisch:) "... menschenverbindende, alle Gegensätze und Abstände geheimnisvoll versöhnende Kraft der Gartenfreude" schwadroniert, die "immer tiefer und bewusster erlebt wird".
"Er war, sagen wir mal, das, was man heute zartbesaitet nennt. "Unfrieden, Diskussionen und Ärger gab es bei ihm nicht. Er hat es abgelehnt. Er wollte in Harmonie leben. Es gab zum Beispiel nach 18 Uhr abends keinerlei Streitgespräche mehr. Er sagte: ‚Bitte morgen früh, nicht mehr heute Abend‘."
So beschreibt Karl Foersters 2010 verstorbene Tochter Marianne ihren Vater.
Und in Russland sterben die Soldaten wie die Fliegen. Derweil er davon träumt, wie "groß und klein, alt und jung, Völker diesseits und jenseits der Grenze sich durch die friedvoll festlichen Lebensströme einander auf neue Weise genähert finden".
Was ist das: Blindheit? Treue gegen sich selbst? Ignoranz? Privat gestattet er sich ja durchaus Selbstkritik, aber öffentlich?
"Wir sind alle mitschuldig durch unsere zu bequeme Gotteszuversicht. Wir Stillen im Lande hätten glühend wach in die Radspeichen eingreifen müssen. Jetzt gehören wir zu den Trägern des stellvertretenden Leidens. Aber nicht einmal durch ein Signal wie das Buch ´Mein Kampf` sind wir geweckt worden", bekennt er privat-brieflich am 10. August 1943.
Merkwürdig, dass ein Mensch so sensibel für die Seelen von Pflanzen sein kann und so taub ist für die Seelen seiner Mitmenschen, das Grauen der Zeit, ihre Katastrophen! Noch dazu ein Wortmensch, ein Schriftsteller!

Geschäftspost mit "Heil Hitler" unterschrieben

Alle, die ihn kannten, schildern ihn als politisch völlig unbedarft. Aber seine Geschäftspost unterschreibt er mit "Heil Hitler"! Und der Mann, dem er die Leitung seiner Gärtnerei übertrug, war ein so glühender Nazi, dass er 1945 flüchten muss.
Die Gleichschaltung der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift "Gartenschönheit" nimmt er ohne Wenn und Aber hin. Und auch in die NSDAP tritt er ein. 1940, als die Gestapo gerade die Fahndung nach seinem Bruder in der Schweiz aufnimmt.
Die Erinnerung von Foersters Tochter Marianne setzt dagegen: "Meine beiden Eltern haben vielen Menschen geholfen. Wir hatten viele Juden hier versteckt. Ich wurde dann ins Kinderland-Verschickungslager gebracht, weil ich eben als Kind viel zu viel schwatzte. Und in meinem Zimmer waren dann die Flüchtlinge, die versteckt wurden und auch heimlich in der Gärtnerei mitgeholfen haben. Also das war schon eine heftige Zeit, wo ich glaube, meine Eltern immer so ein bisschen mit einem Fuß im Gefängnis standen, ohne dass ihnen das, glaub ich, immer so richtig klar war."
Erstaunlich ist, wie sein Geschäft gerade damals floriert! 1934 gewinnt seine "Arbeitsgemeinschaft Gartenplanung" den Wettbewerb der "Jahresschau Garten und Haus" in München. Das trägt ihr 1935 und 37 so lukrative Aufträge wie die Planung des IG-Farben-Geländes in Frankfurt am Main und der Sommerblumenschau am Berliner Funkturm ein, was wiederum die Eröffnung von zwei weiteren Zweigstellen in München und Königsberg ermöglicht.
Ein älterer Herr steht mit einer jungen Frau in einer Gartenanlage.
Der Begründer der modernen deutschen Gartenbaukunst: Karl Foerster 1961 in Stuttgart.© picture-alliance/ dpa / DB
1938 und 39 gelingt ihm der Doppel-Coup, in Potsdam und zur Reichsgartenschau in Stuttgart einen Schau- und Sichtungsgarten einzuweihen. Daneben hat er jede Woche eine "Funkstunde" im Radio, verfasst Artikel für "Das Innere Reich" und bringt in den zehn Jahren zwischen 1933 und 43 sage und schreibe elf neue Gartenbücher auf den Markt:
"Blumen auf Europas Zinnen"
"Glücklich durchbrochenes Schweigen. Verhüllte und unverhüllte Stichworte aus dem inneren Buchgetriebe"
"Das Blumenzwiebel-Buch"
"Lebende Gartentabellen"
" Kleines Bilderlexikon der Gartenpflege"
Nicht zu vergessen: "Der Blaue Schatz der Gärten" – sein Kommentar zum Frankreichfeldzug. Vielleicht glaubte er ja an Déjà-vues?

Erster Bucherfolg nach dem Ersten Weltkrieg

Rückblick: 1917. Hungerwinter in Deutschland. Zigtausend Tote an den Fronten des Ersten Weltkriegs. Foersters Bruder Friedrich Wilhelm verliert das erste Mal seinen Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik in München. Grund ist seine "Kritik an den preußisch-deutschen Kriegstreibern". Er wechselt in die Schweiz, bemüht sich von dort aus um Friedensverhandlungen und berät dabei unter anderem den letzten habsburgischen Kaiser.
Während Karl, sein Bruder, frisch vom Kriegsdienst in Plaue an der Havel zurückkehrt und in seinem Haus in Bornim sein zweites Buch in Angriff nimmt: "Vom Blütengarten der Zukunft. Das neue Gartenjahr in Bildern und Erfahrungen aus dem Reich der winterharten Dauerpflanzen."
Auftraggeber ist der Deutsche Studentenbund. Die Erstauflage liegt bei unglaublichen 25.000 Exemplaren. Sie macht ihn auf einen Schlag in Deutschland berühmt. Angeblich haben die deutschen Soldaten "ihren Foerster" zusammen mit Rilkes "Cornet" in Tornistern durch Europa getragen. Sicher ist, dass man seinen "Blütengarten der Zukunft" an die Verwundeten in den Lazaretten und die Gefangenen in den Lagern verschickte. Schreibt doch Rilke: "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen…"
Womöglich glaubte Foerster an ein sich wiederholendes Muster? Dass der "Blaue Schatz der Gärten" die Welt nach dem Frankreichfeldzug mit Trost und Zuversicht erfüllt wie sein "Blütengarten der Zukunft" 1917 nach den Schlachten von Verdun und Langemark?
"Sieh diese blaue stunde/
Entschweben hinterm gartenzelt!/
Sie brachte frohe funde/
Für bleiche Schwestern ein entgelt"
Sarkastisch Stefan George: "Was sind das für Zeiten, wo/
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist".
Es war ein Exilant, der das schrieb! Bertolt Brecht, der Deutschland verlassen musste, um den Nazis zu entkommen, die sein Leben bedrohten. Genau wie Foersters Bruder. Während er, Karl Foerster, sich mit ihnen arrangierte. Mag sein, dass das opportunistisch wirkt. Aber falls er ein Opportunist war, dann doch nicht, weil er frivol oder karrieristisch gewesen wäre. Vielleicht nicht einmal, weil er politisch unbedarft war, sondern weil er völlig anders als ein Brecht oder sein Bruder dachte.
Oder als sein Vater: Wilhelm Foerster. Eine Koryphäe in der kosmischen Physik, Astronomie, Zeit-, Längen- und Gewichtsbestimmung, dazu Gründer der Urania. Engagierte sich so leidenschaftlich gegen die reaktionäre preußische Schule, Militarismus, Wettrüsten, Antisemitismus, Kinderarbeit, Prügelstrafe und für das Frauenwahl- und Streikrecht, dass viele konservative Freunde und Verehrer mit ihm brachen, darunter auch die Kaiserfamilie und der Maler Adolf von Menzel. Viel spricht dafür, dass Karl im Handeln seines Vaters und seines Bruders eine Art von Märtyrertum sah, das keine Option für ihn war.
Legt sich ein Baum etwa mit dem Klima an? Gehen Blumen, wenn sich ihr Biotop ändert, dagegen auf die Barrikaden? Flüchtet die Natur ins Ausland?
"Die Eiche und das Schilfrohr streiten, wer stärker sei. Ein Sturm kommt auf und zerbricht die Eiche. Das Schilfrohr aber biegt sich zwar, doch als der Sturm abgeklungen ist, richtet es sich wieder auf."
Was die Natur uns lehrt, ist nicht der Aufstand, sondern die Anpassung. Opportunismus wird belohnt. Sich wie das Schilfrohr in den Stürmen der Zeit biegen, ohne sich dabei selbst zu verlieren, das ist die Kunst. Die Lebenskunst. Vielleicht ist das Karl Foersters Maxime. Der pflanzenhafte Opportunismus als Überlebensstrategie – anstelle des Heroismus seines Vaters und seines großen Bruders.
Holzstich von Wilhelm Foerster 1882. Ein Mann mit Bart im Anzug.
Im Gegensatz zu Karl Foerster engagierte sich Vater Wilhelm Foerster auch öffentlich gegen Antisemitismus.© picture-alliance / akg-images / Aus: Der Baer, hrsg.v.E.Dominik
"Wir waren immer auf so einer Insel hier. Wenn Sie die Potsdamer Straße hier rauffahren, liegt das Ganze doch ja ‘n bisschen zurück und versteckt. Die großen Gebäude, die jetzt hier stehen, die gab es ja damals noch gar nicht. Und er nannte das immer sein Bornhimmelchen, von Bornim Bornhimmelchen. Und das war das Refugium für alle. Wir hatten noch während der DDR-Zeit viel christliche Jugend hier. Wir hatten immer ein ganz bestimmtes Klima in der Gärtnerei. Sowohl vor dem Zweiten Weltkrieg wie auch nach dem Weltkrieg. Es hat sich immer irgendwie durchgesetzt, und daran war nur er schuld. Er hat diese Atmosphäre ausgeströmt. Es war friedlich, es wurde nicht politisiert hier. Es gab Leute, die sich hierher retteten und dann klagten über Politik, aber es war nicht das Thema."

Die Welt war in Flammen – Bornhimmelchen blieb

So erinnerte sich Marianne Foerster. Bornhimmelchen! Während der Reichstag brennt! Während Bomben Coventry zerstören, Hamburg, Dresden, Berlin! Während Stalin wütet. Und stirbt… Während Deutschland geteilt wird und die Mauer gebaut, die Volksaufstände in der DDR, in Polen, Ungarn und Prag niedergewalzt werden. Bornhimmelchen bleibt. Wie Foerster selbst. Und die dankbare DDR überhäuft ihn dafür mit Würden und Preisen: Ehrendoktor, Ehrenprofessor, Ehrenbürger, Nationalpreis.
Vielen hat er gutgetan. Sein Haus, sein Garten waren für sie eine Zuflucht und ein Magnet. Namenlose und namhafte Zeitgenossen, eine bunte Mischung: Gärtner, Maler, Gartenplaner, Architekten, Dirigenten, Pianisten, Schriftstellerinnen. Er schrieb seine Bücher und züchtete Blumen, und mit ihm wurde die Welt etwas freundlicher. Am Ende waren es 96 Jahre, in denen er wie das Schilfrohr im Wind stand und sich treu blieb. Zukunftstrunken und optimistisch.
Genau wie der andere Blau-Prophet aus dem französischen Nizza. Nur dass Yves Kleins Lebenskunst darin bestand, wie die berühmte Kerze von beiden Seiten zu brennen und schnell zu verlöschen. Denn er war erst 34, als er an seinem dritten Herzinfarkt starb.
"Wir glauben selbstverständlich an eine unausdenkbare, heilvolle Zukunft der Menschheit, (…), rechnen aber natürlich damit, dass noch die entsprechend geraumen, etwas stürmischen Perioden zu durchleben sein werden, (…), ehe von jener Zukunft die Rede sein kann; doch werden dem Reifen der Geistes- und Seelenwelt auch unermessene neue Gnaden aus dem Reich der Naturbemeisterung zu Hilfe kommen. Was aber auch der göttliche Heilsplan jetzt oder dereinst mit den Erdendingen vorhaben mag, - so dient es unserer Bestimmung, uns in ihm geborgen zu wissen."
Karl Foerster: Warnung und Ermutigung. Meditationen, Bilder und Visionen…

Es sprachen: Winnie Böwe, Christoph Gawenda, Daniel Minetti, Marian Funk
Ton: Alexander Brennecke und Hermann Leppich
Regie: Friederike Wigger
Redaktion: Winfried Sträter

Das Feature ist eine Wiederholung vom 19.05.2021.
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