Gastland der Buchmesse

Der Cheforganisator der Indonesier

Der indonesische Autor Goenawan Mohamad mit dem Direktor der Buchmesse Jürgen Boos
Der indonesische Autor Goenawan Mohamad mit dem Direktor der Buchmesse Jürgen Boos © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Holger Heimann |
Mit Indonesien präsentiert sich das erste südostasiatische Land überhaupt als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Goenawan Mohamad ist der wohl einflussreichste Intellektuelle und bekannteste Journalist in seiner Heimat - und der Kopf hinter dem Gastauftritt seines Landes.
Der kleine, zierlich wirkende Mann hat seine Assistentin angewiesen, sämtliche Interviewanfragen abzuwiegeln. Der Cheforganisator der Indonesier für die Frankfurter Buchmesse kann einfach nicht alle Wünsche gleichzeitig erfüllen – 15 deutsche Journalisten stehen Schlange in Jakarta. Aber dann überlegt er es sich doch anders. Pünktlich um sieben Uhr kommt Goenawan Mohamad am nächsten Morgen in die Hotellobby. Und zuallererst will er etwas klarstellen.
"Ich bin ein Autor. Dieser Job als Chef des Organisationskomitees ist mir zugefallen. Am liebsten schreibe ich Gedichte. Aber ich verbringe mehr Zeit damit, Essays zu verfassen, denn ich muss wöchentlich einen Text abliefern. Unsere Kulturbeamten sind eine Katastrophe, diese Leute sind unglaublich beschränkt. Es ist eine Art erzwungener Hochzeit zwischen Bürokratie und Kulturaktivisten, ein Experiment, das erste dieser Art auf nationaler Ebene. Aber Schritt für Schritt lernen wir, miteinander zu leben, und es wird besser."
Goenawan Mohamad kann sich die deutlichen Worte leisten. Der Mann hat schon ganz andere Schlachten geschlagen. Der 74-jährige ist der wohl einflussreichste Intellektuelle und bekannteste Journalist in seiner Heimat. Wöchentlich schreibt er Kolumnen für das politische Magazin "Tempo" – eine Art "Spiegel" Indonesiens, das er Anfang der 70er-Jahre selbst begründet hat – mitten in der Zeit der Suharto-Diktatur.
"Courage ist ansteckend"
"Suharto war sehr mächtig, aber das Regime war nicht konsistent. Von Zeit zu Zeit haben sie Schwächen offenbart. Unser Vorbild war Mao Tse Dungs Guerilla-Krieg. Wenn der Feind stark war, haben wir uns zurückgehalten, wenn er schwach war, haben wir attackiert. Natürlich gibt es Momente der Angst, aber man darf nicht kapitulieren. Entscheidend sind Freunde, die einen unterstützen. Courage ist ansteckend. Wenn einer aufsteht, folgen andere. Ich habe viel von jungen Leuten gelernt, von ihrem Mut. Man wird bedroht, aber man kommt nicht gleich um. Und selbst wenn, was bedeutet das? Möglicherweise ermorden sie dich. Aber es ist besser, aufrecht zu sterben. Jeder stirbt doch irgendwann."
Es ist – eine Woche später – unser zweites morgendliches Treffen. Der Frühaufsteher hat quasi in sein Wohnzimmer eingeladen, ins Kulturzentrum Salihara im Süden Jakartas, einem der wenigen entspannten Plätze in der lärmenden und anstrengenden Metropole. Fast jeden Tag fährt er quer durch die Stadt hierher, seit er das Haus mit Café, Theaterbühne und Galerie 2008 gemeinsam mit Freunden eröffnet hat
"Es ist meine Passion. In Indonesien schätzen weder Staat noch Privatwirtschaft die Kunst. Unser wichtigstes Anliegen ist Redefreiheit; wir kritisieren Ungerechtigkeit, attackieren Rassismus und religiösen Fanatismus – all diese Dinge. Unter Suharto war das ein täglicher Kampf – so wurde dieses Engagement zu einem Teil unseres Lebens."
Womöglich ist der kaum je nachlassende Elan das Bestechendste an dem charismatischen Mann, der sich auch von Rückschlägen nie entmutigen ließ. Er erlebte das Aufblühen der Hoffnung nachdem Indonesien nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig wurde, die düsteren Jahre der Diktatur unter Suharto und seit 1998 die sogenannte Reformasi, die zwar Demokratie und Freiheit brachte, aber auch Unsicherheit und wachsende Korruption.
Auf Enttäuschungen vorbereitet
"Ich habe begriffen, dass es schön war, auf ein besseres Indonesien zu hoffen, aber man muss bereit sein, enttäuscht zu werden. Das passiert ständig. Man feiert und dann gibt es Rückschläge. Ich glaube, dass die Geschichte nie ein komplettes Bild von sich selbst liefert. Es war immer eine unvollendete Utopie, ein Traum, von dem man begreifen muss, dass er sich nie erfüllt. Das ist eine ganz ähnliche Erfahrung, wie sie Sisyphos bei Camus macht. Man rollt den Stein immer wieder den Berg hoch, aber schafft es nie bis zur Spitze. Als wir in den 80er-Jahren für Demokratie kämpften, ist mir klar geworden, dass wir nie einen wirklich komplett glücklichen Zustand erreichen werden. Aber man muss sich trotzdem engagieren, sonst wird alles bedeutungslos. Das ist wie beim Schreiben: Man will ein perfektes Werk schaffen, aber es gelingt nie."
Erwartungsvoll blickt der agile Organisator auch auf die bevorstehende Buchmesse, obschon die Voraussetzungen für die Präsentation des Inselreiches in Frankfurt alles andere als ideal sind: Zu spät wurde ein Übersetzungsprogramm aufgelegt, die Zahl der auf Deutsch erscheinenden Titel ist überschaubar. Goenawan Mohamad aber hat größere Pläne.
"Wir gehen nicht nur wegen der Bücher nach Frankfurt. Unser Ziel ist ein neues Branding von Indonesien. Wir präsentieren unsere Literatur, aber auch Fotografie, die bildenden und darstellenden Künste. Das ist nicht das Ende unserer Reise."
Ein Höhepunkt der indonesischen Präsentation in Frankfurt soll die Uraufführung einer Tanzoper am Main werden. Den Text dafür liefert ein Gedicht von Goenawan Mohamad.
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