Nur 15 Prozent der Gagen komplett ausgezahlt
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Sie fallen durch alle Raster: Gastschauspieler, die zeitlich befristet an Theatern angestellt sind. Sie wurden zu einem großen Teil von öffentlich geförderten Theatern nicht bezahlt, wie eine Umfrage des Vereins Ensemble-Netzwerk zeigt. Der fordert Reformen.
Wiedersehensfreude bei den Mitgliedern des Vereins Ensemble-Netzwerk. Der digitale "Country-Club", die erste Online-Konferenz seit Beginn der Krise ist eröffnet. Fenster poppen auf, Gesichter erscheinen. Viele der fast 100 Anwesenden tragen Kostüme. Sie sind der Einladung gefolgt und in Arbeitskleidung gekommen.
Die Vorstandsvorsitzende, verkleidet mit blonder Lockenperücke und Kapitänsmütze, begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: "Hallo ihr Lieben, herzlich willkommen! Ich bin Lisa Jopt. Ich bin die Vorsitzende des Ensemble-Netzwerk. Ich bin heute nicht als Transe hier, sondern ich bin heute die Busfahrerin des Ensemble-Netzwerk und werde uns durch unseren ersten digitalen 'Country-Club' durchmanövrieren."
Umfrage "Bezahlt dein Theater?"
Lisa Jopt ist eine der Gründerinnen des Ensemble-Netzwerk, ein Zusammenschluss von inzwischen 770 Theaterschaffenden. Seit 2016 kämpft der Verein für bessere Arbeitsbedingungen im Theater, denn hinter den Bühnen gibt es viel Reformbedarf: "In den letzten 30 Jahren hat es sich so getan, dass 50 Prozent weniger Personal im Theater 50 Prozent mehr Produktionen gemacht haben, für aber 50 Prozent weniger Geld."
Durch die Coronakrise sind neue Probleme ans Licht gekommen, die vor allen Dingen die Bezahlung der freien Gastschauspielerinnen und -schauspieler betreffen. Denn obwohl Gäste am Theater sozialversicherungspflichtig angestellt sein müssen, haben sie keine klar definierten Rechte und Absicherungen. Um einen Überblick über die Zahlungsmoral der Theater zu Beginn der Coronakrise zu bekommen, hat das Ensemble-Netzwerk vor einigen Wochen die Umfrage "Bezahlt dein Theater?" gestartet.
Unterschiedliche Auslegungen von Vertragsklauseln
Vorstandsmitglied Laura Kiehne stellt die Ergebnisse vor: Bis zum Abschlussdatum seien lediglich 15 Prozent der Gagen komplett ausgezahlt worden, 29 Prozent teilweise und mehr als 50 Prozent der Befragten hätten angegeben, dass die Gagen gar nicht ausgezahlt werden oder sie dazu nichts wissen. "Ich kann das bestätigen", sagt Kiehne. "Bei meinem Theater war das auch so, ich hatte keine Auskunft darüber, wie jetzt weiter verfahren wird, außer dass bis auf Weiteres alles abgeblasen wurde."
Laura Kiehne, die als Verkleidung ein großes dunkles Tuch über dem Kopf trägt und damit etwas wie eine Wahrsagerin wirkt, ist selber freischaffende Schauspielerin und hat die Unsicherheit und Angst der letzten Wochen hautnah erlebt. Keine Auskunft und keine oder nur anteilige Bezahlung. Aber warum können Theater, die allesamt öffentlich gefördert sind, so unterschiedlich mit ihren Gästen umgehen?
"Wie ich ja vorhin schon gesagt habe, gab es einen ziemlichen Chaoszustand, was der Problematik zuzusprechen ist, dass wir verschiedene Rechtsauslegungen haben darüber, welche Klauseln in unseren Verträgen gültig sind, wer was anwenden darf - und da herrscht immer noch im Grunde keine eindeutige Basis, die für alle unmissverständlich gilt."
Weder Arbeitslosengeld noch Gage
Rechtlich unklare Klauseln, uneinheitliche Reglungen. Einer der Betroffenen ist der Schauspieler Daniel Christensen. Er erinnert sich gut an die ersten Wochen nach Ausbruch der Pandemie:
"Dann kam nur diese wahnsinnige 'Es tut uns leid'-Nachricht: 'Es gibt kein Geld, die Stadt verbietet eine Auszahlung.' Beim Arbeitsamt angerufen. Arbeitsamt gesagt: 'Ja, aber Sie haben ja einen Arbeitsvertrag.' Und dann sage ich: 'Ja, aber der wird nicht ausgezahlt.' - 'Ja, das ist richtig, aber wenn Sie einen Arbeitsvertrag haben, dann können Sie kein Arbeitslosengeld beziehen.' Und dann konnte ich weder Arbeitslosengeld beziehen, noch habe ich eine Gage vom Theater bekommen."
Gastschauspieler sind keine Solo-Selbstständigen
Auch die Hilfen für Solo-Selbstständige konnte Christensen, der seit 2005 freischaffend arbeitet, nicht beziehen. Als Gastschauspieler gilt er nämlich nicht als selbstständig, sondern als Angestellter:
"Man muss wissen, dass Schauspieler am Theater nicht mehr auf Rechnung arbeiten dürfen, das heißt: Ich bin kein Solo-Selbstständiger, ich bin befristet festangestellt." Behandelt werde er aber wie ein Freischaffender, sagt Christensen. Und das sei eine Grauzone, die es in allen Punkten für Betroffene sehr schwer macht. "Also du musst nur mal als Schauspieler aufs Arbeitsamt gehen. Da wird einem ganz klar gesagt: Für jemanden wie Sie gibt es in der Bundesrepublik Deutschland kein Konzept."
Reformbedürftige Verträge
In Christensens Fall hat das Theater dann später doch bezahlt, und auch bei vielen seiner Kolleginnen und Kollegen sind die Häuser im weiteren Verlauf der Krise auf ihre Gäste zugekommen. Aber durch Corona zeigt sich, wie reformbedürftig und veraltet die Verträge sind. So sieht das zumindest Vorstandsvorsitzende Lisa Jopt:
"Wir sind durch die Krise auf das marode Gerüst unseres Tarifvertrags und unserer sozialen Situation absolut zurückgestoßen und auf die fehlende Leitungsfähigkeit von vielen Leitenden - und auf die Inkompetenz von Leuten, die in den Kulturbehörden sitzen."
Doch die Ausdauer des Ensemble-Netzwerks scheint sich zu lohnen. Erst am Donnerstag wurde ein neuer Tarifvertrag über das Kurzarbeitergeld an den Theatern ausgehandelt und diesmal wurden auch die Gastschauspielerinnen und -schauspieler einbezogen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.