Wie ein Dorf seine Kneipe rettet
Die Bäckerei und die Post: In Geschwend machte ein Laden nach dem anderen zu. Nur die Dorfgaststätte überlebte - weil die Dorfgemeinschaft Geld sammelte und dabei sogar aus Südafrika unterstützt wurde.
An Jutta Strohmeier führt kein Weg vorbei. Im "Rössle" – der Dorfgaststätte – der Traditionsreichen. Die Dielen: Sie knarzen. Genau wie die Holzbänke und -tische. Strohmeier: "Die Schwarzwälder-Kirsch – die kannst gleich mitnehme." Donnerstagnachmittag, kurz nach drei. Geschwend, das Schwarzwalddorf rund dreißig Kilometer südlich von Freiburg: 414 Seelen, 160 Haushalte, ein Kirchturm. Im "Rössle" ist gerade Rushhour, Kellnerin Jutta Strohmeier unter Strom. Gut vierzig Gäste sind gekommen – zur Geburtstagsfeier hinten im Festsaal, mehr als erwartet.
Eine Polka, vom Alleinunterhalter: Das Geburtskind – der alte Zahoransky, der Seniorchef von der Maschinenfabrik nebenan - hat sich das so gewünscht. Strohmeier soll es recht sein. Schmissige Musik mag sie; ihren Job auch. Als Kellnerin und Genossin. Sie lacht. Wundern sich Besucher doch immer, wenn sie mitbekommen, dass das "Rössle" eine Genossenschaft ist; seit der Wiedereröffnung vor fünf Jahren.
Die Dorfgemeinschaft legte Geld für das "Rössle" zusammen
Strohmeier: "Das Genossenschafts-Konzept hat mir gut gefallen. Weil’s ein ganz großes Miteinander ist. Und darum geht’s einfach immer wieder. Dass hier nicht jemand ist, der versucht möglichst viel Geld raus zu ziehe einfach. Sondern wir alle miteinander a Traum habe. Dass wa...ja, wenn ich jetzt sage, nen Stück Heimat bieten, dann ist es vielleicht übertriebe. Aber doch geht’s irgendwie in die Richtung."
Rund 1,2 Millionen Euro hat die "Dorf-Genossenschaft Das Rössle" investiert, um das Baudenkmal aus dem 18. Jahrhundert auf Vordermann zu bringen. 75.000 Euro gab es aus Fördertöpfen der Europäischen Union, der Rest verteilt sich auf Bankkredite und Spenden in Höhe von 750.000 Euro und Genossenschaftsanteile, rund 375.000 Euro. Jutta Strohmeier musste nicht lange überlegen, ob sie einsteigt – als Genossin. Tausend Euro beträgt der Mindestanteil. Für die Frau mit dem energischen Händedruck gut investiertes Geld. Ist endlich wieder Leben in der Bude.
Strohmeier: "Wenn die Leute sich nich mehr spontan treffe, vielleicht auch mal irgendwelche Dispute auf die Art und Weise kläre könne – ja, dann geht einfach unheimlich viel verlore. Es wird alles immer anonymer. Und eigentlich lebt man auf dem Dorf, weil man durchaus ne Gemeinschaft haben möchte. Nicht die kontrollierende, aber ne Gemeinschaft. Weil: Sonst kann man in irgendein Plattenbau."
Sogar aus Südafrika kam Unterstützung für die Dorfkneipe
"Jetzt geht’s backstage. Da müssen wa auch noch gucke, wo man hintrete, wo man Licht findet", sagt Daniel Steiger. Eigentlich kennt er jeden Winkel im "Rössle", doch jetzt wäre Steiger, der stellvertretende Vorsitzende der Genossenschaft, fast gestolpert. Im stockdunklen Vorratsraum – dem ehemaligen Pferdestall. Über das Klavier. Das Verstimmte. Das Klavier des königlich-badischen Hof-Produzenten ist nicht das einzige Fundstück – backstage. Genosse Steiger zeigt nach rechts: Irgendwo bei den alten Pferdetrögen müsste noch die Gasmaske aus dem Zweiten Weltkrieg liegen.
Ohne Steiger würde es das Rössle wohlmöglich gar nicht mehr geben. Jahrelang stand die Wirtschaft leer. Der Bauingenieur schüttelt den Kopf. Das ist dem Anfang Vierzigjährigen etwas dick aufgetragen. Hat sich halt so ergeben – bei seinem Polterabend. Vor sieben Jahren. "Dann war’s eigentlich eine Schnapsidee. Mein Polterabend. Und an diesem besagten Polterabend zu später Stunde, sind wir auch wieder auf’s 'Rössle' gekomme. Und: Da müsste man doch was mache!"
Der Rest ist Geschichte: 200 Leute mischen bei der Genossenschaft mit – darunter das halbe Dorf, der Rest kommt aus dem Schwarzwald, einer sogar aus Südafrika. Steiger sagt: "Die Genossenschaft ist mit Sicherheit eine tolle Form, um so was realisieren zu können. Aber sie ist ganz bestimmt auch kein Allheilmittel gegen das Gasthaus-Sterben auf dem Land. Es ist recht leicht, mit so einer Genossenschaft eine Euphorie zu entfachen." Einerseits. - Andererseits: "Der große Knackpunkt ist dann: Wie kriege ich diese Euphorie in das Tagesgeschäft rüber? Und wie kann ich so ein Projekt auch dauerhaft und nachhaltig betreiben?"
Kneipenrettung nennen sie hier das "Wunder von Geschwend"
Zurück in den Festsaal. Ein Idealist ist auch Ewald Dießlin; ein eloquenter. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Genossenschaft hat es sich nicht nehmen lassen, dem Geburtskind persönlich zu gratulieren. An Zahoransky ist ihm viel gelegen. Seine Maschinenfirma ist nicht nur größter Arbeitgeber in Geschwend, sondern auch mit Abstand wichtigster Kunde des "Rössle". "Es sind viele Geschäftsessen. Mitarbeiter kommen zum Essen. Und, ja: Übernachtungen. Die Firma stand ja schon. Und es ist natürlich auch eine Überlegung gewesen, am Anfang, wo wir gesagt haben: Wie viele Alleinstellungsmerkmale haben wir, die uns in die Karten spielen? Dess is natürlich nen ganz gewaltiges, näh?!"
Dießlin hat sich an den Ecktisch hinter dem grünen Kachelofen gesetzt. Sein Stammplatz. Das "Rössle" hält den Unternehmensberater ganz schön auf Trapp. Ständig ist etwas. Am Montag erst: Stand eine Delegation aus der Nähe von Tuttlingen auf der Matte, die vom "Wunder von Geschwend" gehört hatte und wissen wollte, wie das geht: Eine Dorfkneipe retten. Dießlein seufzt leise. Hat Vor- und Nachteile – so eine Genossenschaft.
"Der Nachteil is, dass Du halt eine Gastronomie führst, wo Du keinen Wirt hast. Bei uns ist es einfach so, dass halt die ganzen Angestellten die Gaststätte tragen und machen so, als wenn sie Wirt wären. Und dess is halt ein teureres Modell, wie wenn Du ´ne Inhaber-geführte Gaststätte hast. Aber bei uns die Bedienungen - die koste halt Geld. Von daher is das schon a Manko."
An Weihnachten und Silvester ist das "Rössle" ausgebucht
"Viele Gäste fragen mich, ob ich die Chefin bin. Nein, nein, nein, ich bin keine Chefin", sagt Ingrid Oberle. Zwanzig Stunden die Woche kellnert die Mini-Jobberin im "Rössle" – wenn viel zu tun ist, auch mehr. Da ist sie flexibel. Die Kinder: Längst erwachsen, ihr Weg zur Arbeit: Nicht der Rede wert. Oberle wohnt nebenan, im Elternhaus ihres Mannes, einem Schwarzwaldhaus, dessen Dach so weit auf die Straße hervorragt, dass immer wieder die LKW dagegen donnern. Ärgerlich. Genau, wie dass im Dorf immer weniger los ist.
Die drei Tante-Emma-Läden, die Bäckerei, die Post: Alles weg. Umso wichtiger, dass es noch das "Rössle" gibt – als Treffpunkt. Doch nicht jeder im tiefsten Schwarzwald sieht das so. Oberle sagt: "Es ist zweigeteilt: Ich sag mal so: Unterdorf und Oberdorf. (lacht) Das war früher schon so. Früher hatte man zwei Gasthäuser: Das Unterdorf ging in "Der Adler" und das Oberdorf ins "Rössle." Den Adler gibt’s schon ewig nicht mehr. Irgendwie: Die Unterdörfer - sie kommen manchmal, aber nicht viel."
Das Geschäft: Es läuft auch so. Oberle stellt den Kartenautomaten zur Seite – ehe sie anfängt, in der dicken Kladde zu blättern. Die Reservierungen. Silvester und Neujahr: Frohlockt das Allround-Genie: Alles ausgebucht. Für den Liederabend in ein paar Tagen gibt es auch nur noch Restkarten. "Wir kriegen ganz viele Anfragen von Künstlern, die alle gerne bei uns auftreten würden. Aber mir müssen da a bissl sortieren. Weil: Es sind Sachen dabei, wo man sagt: Na, das passt nicht zu uns. So keltische Musik und so was, also wirklich. Wo man sagt: Näh!"
Der Biergarten liegt fast kitischig in einem Gletscherkessel
Mit keltischen Barden hat auch Werner Büche nichts am Hut. Der drahtige Typ kramt in seiner Brieftasche nach seiner Bankkarte. Er muss noch zahlen. Zusammen mit zwei Studien-Freunden hat er im "Rössle" übernachtet. Die drei kennen sich schon seit einer halben Ewigkeit. Er sagt: "Also ich bin 86 und der Jüngste von de drei." Einmal im Jahr treffen sich die Freunde. Geht immer Reih um – erklärt Büche, ein Mann mit kleinen Lachfalten – und einem Jazzkeller in Lörrach. Sein großes Hobby, neben seinen Motorrädern. Das "Rössle" kennt er noch von seinen Spritztouren früher.
"Man hat gesehen: Ein schönes, altes Haus verfällt langsam. Und es war, glaube ich, sogar die Rede, ob man's überhaupt abreißen soll. So schlecht war's im Zustand." Büches Frau Barbara fügt hinzufügen: "Da haben wir gesagt. So schade. Dann auf einmal haben wir bemerkt: Da tut sich was." Nun sei alles Tipptopp hier, sagt sie. Die Holzbetten; der Biergarten, der so kitschig-schön im Präger Gletscherkessel gelegen ist, dass es einem fast schon wehtun kann; die Speisekarte.
Die Speisekarte des "Rössle" wurde regionaler und saisonaler
"Die Currysauce bin ich hier dran. (rührt Sauce) Bisschen Brühe, bisschen Sahne. Curry rein. Bisschen Orangensaft." Fertig ist: Das Curry-Geschnetzelte von Michael Spitz – dem Koch. "Ich war noch hier, da war alles noch Ruine. Die Küche: Alles Holz. Und ein Öl-Herd. Ganz einfach. Man musste alles rausreiße. Ist von Grund auf alles neu drin."
Neu ist auch die Speisekarte. Neu-deutsch. Keine Riesen-Portionen mehr, auf den Tisch kommt, was regional ist und saisonal. Von Anfang an auch Vegetarisches. Spitz sagt: "Jetzt einfach nur Gemüseteller drauf machen – so wie's früher war: Da kommt man nicht mehr weit bei de Vegetarier. Da lassen wir uns was einfalle. Das spricht sich rum und die Leute kommen extra wegen dem. Wir haben jetzt eben Risotto drin. Und verschiedene Gemüsestreifen."
Er spielt und spielt und spielt: Der Alleinunterhalter. Seine "Amsel-Polka." Es wird ein langer Abend - im Rössle. Am Wochenende will sich der Vorstand treffen. Das nächste Jahr planen. Draußen soll ein Kinderspielplatz entstehen. Vielleicht auch ein Dorfladen, backstage. Es ist weiter Musik drin – bei den Genossen aus dem Schwarzwald.