"Gauck ist ein echtes Angebot"
Cem Özdemir, Grünen-Vorsitzender, wirbt für Joachim Gauck als künftiges Staatsoberhaupt und kritisiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der Nominierung des CDU-Politikers Christian Wulff als Bundespräsident.
Nana Brink: SPD und Grüne haben sich für den früheren Bürgerrechtler Joachim Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt entschieden und ich bin jetzt verbunden mit Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Einen schönen guten Morgen, Herr Özdemir!
Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Warum fiel die Wahl auf Joachim Gauck?
Ödzemir: Es ist schade, dass die Bundeskanzlerin die Chance vertan hat, auf eine schwierige Situation, in der wir uns gegenwärtig ja befinden, eine Person, die über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg respektiert wird, auszuwählen. Das wäre Joachim Gauck gewesen, er ist ein ernstes Angebot, er ist jemand, der nicht in Lagerkategorien denkt, der ja auch den Grünen schon in der Vergangenheit heftig eingeschenkt hat, uns kritisiert hat. Das zeigt, das ist ein eigener Kopf, der nicht aus dem Partei-, Politikestablishment stammt, und vor allem auch ein schönes Symbol ist für die deutsche Einigkeit.
Brink: Warum dennoch nicht Christian Wulff? Er ist doch gefällig, er ist kein Hardliner, er ist ein Politprofi – wo ist sein Schönheitsfehler?
Ödzemir: Das ist wirklich ganz kleines Karo. Wulff wurde ausgesucht, um Schwarz-Gelb aus der Krise zu helfen, um vor allem dem konservativen Flügel innerhalb der CDU zu signalisieren, dass sie noch etwas zu melden haben. Frau Merkel muss ganz offensichtlich den in Niedersachsen unterbeschäftigten Wulff jetzt versorgen.
Mit dem höchsten Staatsamt in Deutschland hat das alles sehr wenig zu tun und auch mit dem Respekt vor dem höchsten Staatsamt in Deutschland. Etwas mehr Demut und Respekt vor dieser Funktion könnten sicherlich nicht schaden, das gilt übrigens auch für den Bewerber, der ja schon so tut, als ob er gewählt werde.
Ich frage mich beispielsweise, wie er sich denn heute verhalten wird, wenn sich die unionsgeführten Ministerpräsidenten treffen, um sich mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu beschäftigen. Die Mehrheit der Deutschen will dieses nicht. Wird er jetzt schon umstellen auf die neue Rolle, die er annehmen muss, indem er nämlich die Mehrheit zusammenfügt, die Mehrheit der Deutschen, die wollen nämlich keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, oder wird er weiterhin stramm Parteipolitik machen, wie er es in der Vergangenheit gemacht hat?
Brink: Bleiben wir aber noch mal bei der Frage des gemeinsamen Kandidaten. Sie und ja auch die SPD haben das ja gefordert, SPD-Chef Gabriel. Was haben Sie denn getan, um einen gemeinsamen Kandidaten, zum Beispiel ja Joachim Gauck, zu finden?
Ödzemir: Erst mal eben jemanden aussuchen, der über die Partei- und Lagergrenzen hinweg verbindet, das ist Joachim Gauck, der genießt auch Ansehen bei vielen Christdemokraten, wie uns bestätigt wurde, und wir sind mit diesem Angebot an die Bundeskanzlerin herangetreten, haben ihr die Möglichkeit gegeben, dass sie selbst Joachim Gauck präsentiert und natürlich sagen kann, dass er auch unterstützt wird von der Opposition.
Ich hätte das für ein angemessenes Zeichen gehalten auf die Vertrauenskrise, die wir in der Gesellschaft, nachdem Bundespräsident Köhler aufgehört hat, die wir haben. Leider hat die Bundeskanzlerin es vorgezogen, Parteipolitik zu machen. Sie wollte Schwarz-Gelb stärken, Schwarz-Gelb ...
Brink: Hat sie denn auf den Vorschlag reagiert, wie hat sie darauf reagiert?
Ödzemir: Sie hat sich per SMS bedankt und weiterhin Parteipolitik gemacht.
Brink: Deshalb also Ihr eigener Kandidat. Warum fiel die Wahl nun ausgerechnet auf Joachim Gauck, dem ehemaligen Bürgerrechtler, lange Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde?
Ödzemir: Er symbolisiert was in Deutschland, er symbolisiert, was nach dem Fall der Mauer, nämlich im Umgang mit Diktatur, der sich an Freiheit orientiert, der sich an den Rechten des Individuums orientiert. Insofern steht er für eine schöne Tradition in der deutschen Geschichte wie kein anderer.
Er steht aber auch dafür, dass die zwei Teile Deutschlands endgültig zusammenwachsen, und er ist aber natürlich auch ein unabhängiger Kopf, der er wäre als Bundespräsident, der sich nicht als Abnick-Bundespräsident versteht, ganz offensichtlich etwas, was nach dem Abgang von Herrn Köhler im Bundeskanzleramt nicht gewünscht ist.
Anders ist die Wahl von Herrn Wulff nicht zu erklären, der ein klarer Parteipolitiker ist und leider insofern eine verpasste Gelegenheit darstellt. Gerade jetzt in der Krise wäre es wichtig gewesen, dass wir einen Bundespräsidenten bekommen, der sich abhebt von dem, was Schwarz-Gelb in der Vergangenheit da vorgeführt hat.
Brink: Nun klingt es ja so, als ob es was ganz Neues wäre, dass man sich für einen Parteipolitiker entscheidet, die SPD hat das ja eigentlich auch immer gemacht, sie hat ja auch parteipolitisch gebundene Menschen aufgestellt, zum Beispiel ja auch Johannes Rau.
Ödzemir: Das stimmt, und Rau war bekannt dafür, dass er über die Parteigrenzen hinweg Ansehen genießt als Landesvater. Wulff dagegen ist jemand, der sich in besonderer Form hervorgetan hat, was die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken angeht, ich erinnere mich auch noch an seine Rolle bei der Föderalismusreform, wo er sich in ganz besonderer Weise dafür eingesetzt hat, dass der Bund keine Zuständigkeit mehr hat in der Bildungspolitik, etwas was sich im Nachhinein als einer der größten Fehler der Großen Koalition herausgestellt hat. Aber denken Sie auch an die Verschärfungen bei Hartz IV, die er über den Bundesrat damals maßgeblich mit reinverhandelt hat. Nicht gerade Punkte, wo man sagen kann, dass Herr Wulff auch die Opposition mitvertreten hat.
Brink: Sie haben sich also jetzt bewusst gegen das Kalkül entschieden, einen Politprofi zu nehmen. Was versprechen Sie sich denn ganz konkret von Joachim Gauck, was soll er als Bundespräsident leisten?
Ödzemir: Der Bundespräsident ist nicht ein weiterer Parteipolitiker, sondern der Bundespräsident ist jemand, der eben auch das weit verbreitete Gefühl in der Bevölkerung, dass die Parteien nicht hören auf das, was in der Bevölkerung gedacht und gesprochen wird, der dieses Gefühl auch übersetzen soll, auch widerspiegeln soll in Berlin. Es würde ja gelegentlich nicht schaden, wenn davon mehr Einzug halten würde. Dafür würde Joachim Gauck stehen, Herr Wulff sicherlich nicht.
Brink: Die Mehrheit in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten am 30. Juni wählt, ist klar, die jetzige Regierungsmehrheit - welche Chancen räumen Sie Ihrem Kandidaten Gauck überhaupt ein?
Ödzemir: Gauck ist ein echtes Angebot auch an die schwarzen oder blaugelben Mitglieder der Bundesversammlung, während Wulff vor allem ein Angebot ist an den konservativen Flügel der CDU. Insofern, bei einer freien Abstimmung glaube ich müsste sich Herr Wulff sicherlich eher wärmer anziehen.
Brink: Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, vielen Dank für das Gespräch!
Ödzemir: Ich danke Ihnen!
Brink: Und wir sprachen über die Nachfolge von Horst Köhler im Amt des Bundespräsidenten, die Grünen und auch die SPD haben sich für den früheren Bürgerrechtler Joachim Gauck entschieden.
Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Warum fiel die Wahl auf Joachim Gauck?
Ödzemir: Es ist schade, dass die Bundeskanzlerin die Chance vertan hat, auf eine schwierige Situation, in der wir uns gegenwärtig ja befinden, eine Person, die über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg respektiert wird, auszuwählen. Das wäre Joachim Gauck gewesen, er ist ein ernstes Angebot, er ist jemand, der nicht in Lagerkategorien denkt, der ja auch den Grünen schon in der Vergangenheit heftig eingeschenkt hat, uns kritisiert hat. Das zeigt, das ist ein eigener Kopf, der nicht aus dem Partei-, Politikestablishment stammt, und vor allem auch ein schönes Symbol ist für die deutsche Einigkeit.
Brink: Warum dennoch nicht Christian Wulff? Er ist doch gefällig, er ist kein Hardliner, er ist ein Politprofi – wo ist sein Schönheitsfehler?
Ödzemir: Das ist wirklich ganz kleines Karo. Wulff wurde ausgesucht, um Schwarz-Gelb aus der Krise zu helfen, um vor allem dem konservativen Flügel innerhalb der CDU zu signalisieren, dass sie noch etwas zu melden haben. Frau Merkel muss ganz offensichtlich den in Niedersachsen unterbeschäftigten Wulff jetzt versorgen.
Mit dem höchsten Staatsamt in Deutschland hat das alles sehr wenig zu tun und auch mit dem Respekt vor dem höchsten Staatsamt in Deutschland. Etwas mehr Demut und Respekt vor dieser Funktion könnten sicherlich nicht schaden, das gilt übrigens auch für den Bewerber, der ja schon so tut, als ob er gewählt werde.
Ich frage mich beispielsweise, wie er sich denn heute verhalten wird, wenn sich die unionsgeführten Ministerpräsidenten treffen, um sich mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu beschäftigen. Die Mehrheit der Deutschen will dieses nicht. Wird er jetzt schon umstellen auf die neue Rolle, die er annehmen muss, indem er nämlich die Mehrheit zusammenfügt, die Mehrheit der Deutschen, die wollen nämlich keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, oder wird er weiterhin stramm Parteipolitik machen, wie er es in der Vergangenheit gemacht hat?
Brink: Bleiben wir aber noch mal bei der Frage des gemeinsamen Kandidaten. Sie und ja auch die SPD haben das ja gefordert, SPD-Chef Gabriel. Was haben Sie denn getan, um einen gemeinsamen Kandidaten, zum Beispiel ja Joachim Gauck, zu finden?
Ödzemir: Erst mal eben jemanden aussuchen, der über die Partei- und Lagergrenzen hinweg verbindet, das ist Joachim Gauck, der genießt auch Ansehen bei vielen Christdemokraten, wie uns bestätigt wurde, und wir sind mit diesem Angebot an die Bundeskanzlerin herangetreten, haben ihr die Möglichkeit gegeben, dass sie selbst Joachim Gauck präsentiert und natürlich sagen kann, dass er auch unterstützt wird von der Opposition.
Ich hätte das für ein angemessenes Zeichen gehalten auf die Vertrauenskrise, die wir in der Gesellschaft, nachdem Bundespräsident Köhler aufgehört hat, die wir haben. Leider hat die Bundeskanzlerin es vorgezogen, Parteipolitik zu machen. Sie wollte Schwarz-Gelb stärken, Schwarz-Gelb ...
Brink: Hat sie denn auf den Vorschlag reagiert, wie hat sie darauf reagiert?
Ödzemir: Sie hat sich per SMS bedankt und weiterhin Parteipolitik gemacht.
Brink: Deshalb also Ihr eigener Kandidat. Warum fiel die Wahl nun ausgerechnet auf Joachim Gauck, dem ehemaligen Bürgerrechtler, lange Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde?
Ödzemir: Er symbolisiert was in Deutschland, er symbolisiert, was nach dem Fall der Mauer, nämlich im Umgang mit Diktatur, der sich an Freiheit orientiert, der sich an den Rechten des Individuums orientiert. Insofern steht er für eine schöne Tradition in der deutschen Geschichte wie kein anderer.
Er steht aber auch dafür, dass die zwei Teile Deutschlands endgültig zusammenwachsen, und er ist aber natürlich auch ein unabhängiger Kopf, der er wäre als Bundespräsident, der sich nicht als Abnick-Bundespräsident versteht, ganz offensichtlich etwas, was nach dem Abgang von Herrn Köhler im Bundeskanzleramt nicht gewünscht ist.
Anders ist die Wahl von Herrn Wulff nicht zu erklären, der ein klarer Parteipolitiker ist und leider insofern eine verpasste Gelegenheit darstellt. Gerade jetzt in der Krise wäre es wichtig gewesen, dass wir einen Bundespräsidenten bekommen, der sich abhebt von dem, was Schwarz-Gelb in der Vergangenheit da vorgeführt hat.
Brink: Nun klingt es ja so, als ob es was ganz Neues wäre, dass man sich für einen Parteipolitiker entscheidet, die SPD hat das ja eigentlich auch immer gemacht, sie hat ja auch parteipolitisch gebundene Menschen aufgestellt, zum Beispiel ja auch Johannes Rau.
Ödzemir: Das stimmt, und Rau war bekannt dafür, dass er über die Parteigrenzen hinweg Ansehen genießt als Landesvater. Wulff dagegen ist jemand, der sich in besonderer Form hervorgetan hat, was die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken angeht, ich erinnere mich auch noch an seine Rolle bei der Föderalismusreform, wo er sich in ganz besonderer Weise dafür eingesetzt hat, dass der Bund keine Zuständigkeit mehr hat in der Bildungspolitik, etwas was sich im Nachhinein als einer der größten Fehler der Großen Koalition herausgestellt hat. Aber denken Sie auch an die Verschärfungen bei Hartz IV, die er über den Bundesrat damals maßgeblich mit reinverhandelt hat. Nicht gerade Punkte, wo man sagen kann, dass Herr Wulff auch die Opposition mitvertreten hat.
Brink: Sie haben sich also jetzt bewusst gegen das Kalkül entschieden, einen Politprofi zu nehmen. Was versprechen Sie sich denn ganz konkret von Joachim Gauck, was soll er als Bundespräsident leisten?
Ödzemir: Der Bundespräsident ist nicht ein weiterer Parteipolitiker, sondern der Bundespräsident ist jemand, der eben auch das weit verbreitete Gefühl in der Bevölkerung, dass die Parteien nicht hören auf das, was in der Bevölkerung gedacht und gesprochen wird, der dieses Gefühl auch übersetzen soll, auch widerspiegeln soll in Berlin. Es würde ja gelegentlich nicht schaden, wenn davon mehr Einzug halten würde. Dafür würde Joachim Gauck stehen, Herr Wulff sicherlich nicht.
Brink: Die Mehrheit in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten am 30. Juni wählt, ist klar, die jetzige Regierungsmehrheit - welche Chancen räumen Sie Ihrem Kandidaten Gauck überhaupt ein?
Ödzemir: Gauck ist ein echtes Angebot auch an die schwarzen oder blaugelben Mitglieder der Bundesversammlung, während Wulff vor allem ein Angebot ist an den konservativen Flügel der CDU. Insofern, bei einer freien Abstimmung glaube ich müsste sich Herr Wulff sicherlich eher wärmer anziehen.
Brink: Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, vielen Dank für das Gespräch!
Ödzemir: Ich danke Ihnen!
Brink: Und wir sprachen über die Nachfolge von Horst Köhler im Amt des Bundespräsidenten, die Grünen und auch die SPD haben sich für den früheren Bürgerrechtler Joachim Gauck entschieden.