Gauck sieht Kolumbien und Brasilien "auf gutem Wege"
Zum Abschluss seiner Südamerika-Reise hat Bundespräsident Joachim Gauck die Entwicklung in Brasilien und Kolumbien positiv bewertet. In Kolumbien sei es der Regierung gelungen, "die Staatlichkeit der Demokratie" auch auf die ehemals von der Guerillabewegung FARC beherrschten Gebiete auszuweiten und in Verhandlungen mit der Bewegung zu treten.
Burkhard Birke: Wenn Sie auf der Zeitachse 25 Jahre zurückspulen, Herr Bundespräsident, welche Gedanken gehen Ihnen dann anlässlich der Eindrücke, die Sie hier in den Besuchstagen in Brasilien und Kolumbien gewonnen haben, durch den Kopf?
Joachim Gauck: Ich fange mal mit dem persönlichen Strang, Erinnerungsstrang an. Vor 25 Jahren gab es kein vereinigtes Deutschland, sondern ich lebte in der DDR und in einer eher unterprivilegierten Position, und Rio und der Zuckerhut und die Christusstatue und Copacabana, das waren Traumziele, davon träumte man. Aber das war nicht einbezogen in eine Realität, die man selber erreichen könnte. Das andere ist die Geschichte der beiden Länder, und beide haben in diesen mehr als zwei Jahrzehnten wichtige Entwicklungen durchgemacht, die zeigen, dass ihnen eine spezielle Rolle zukommt: uns in Europa; und hier dieses größte Land des Kontinents hat ebenfalls mächtige Entwicklungsschritte vorgenommen und hat ein enormes Wirtschaftswachstum, hat Erfolge bei der Armutsbekämpfung. Das heißt: Allüberall merkt man, dass das Land sich verändern will und sich verändert hat. Es ist noch nicht alles perfekt. Es gibt auch hier noch unbefriedigt befriedete Wohngebiete der ärmeren Menschen und hier oder da Entwicklungsrückstände. Aber es ist imponierend!
Birke: Sie haben gesagt, das ist noch nicht alles perfekt. Es gibt ja auch eine sogenannte strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien. Brasilien ist das einzige lateinamerikanische Land, mit dem Deutschland eine solche Partnerschaft geschlossen hat. Aber sie scheint noch nicht so richtig mit Leben erfüllt zu werden, zumal es auch noch an einigen Stellen hakt, Doppelbesteuerungsabkommen, und ich fand es auch bemerkenswert, dass Sie in dem Pressestatement ausdrücklich betonten, wie gut das Verhältnis zwischen der Präsidentin Dilma Rousseff und der Kanzlerin Angela Merkel sei.
Gauck: Ja, ich fange mal bei dem Letzteren an. Es ist so, dass einige Beobachter etwas kritisch auf die Beziehungen der beiden führenden Frauen unserer Länder geschaut haben, und da war es schon bemerkenswert, mit welcher Deutlichkeit die Präsidentin Brasiliens von sich aus ihr Verhältnis zu Angela Merkel ansprach und es als störungsfrei und herzlich bezeichnete, ausführlich darüber sprach, welch hohe Anerkennung sie unserer Regierungschefin zolle, und das habe ich dann der Presse gesagt. Und die strategische Partnerschaft – ja weil eben dieses Land von einer herausragenden Bedeutung ist für die ganze Region, für den Kontinent, darum haben wir mit Brasilien diese strategische Partnerschaft. Und Sie haben recht: Da muss noch etwas geschehen. Zumindest haben sich die Regierungen jetzt verabredet, Anfang 2014 dann die Regierungskonsultationen, die zu so einer strategischen Partnerschaft gehören, dann auch wirklich stattfinden zu lassen. Da schauen wir mal. Und beim Doppelbesteuerungsabkommen stoßen wir auf eine Situation, die von der Wirtschaft auch ein bisschen kritisch gesehen wird, was Freihandelspolitik betrifft und auch diese Besteuerungsthematik. Da gibt es schon noch unterschiedliche Ansichten.
Birke: Herr Bundespräsident, ich dachte eigentlich, dass Sie nach der Frage nach dem Doppelbesteuerungsabkommen auch sagen, ich bin ja nur der Präsident, ich habe nichts zu sagen. Haben Sie diese Worte öfters hier benutzt? Kokettieren Sie ein bisschen damit? Stellen Sie einfach nur realistisch klar, welches Ihre Rolle ist? Aber ich hatte den Eindruck, Sie hatten sehr viel zu sagen, vor allen Dingen, wenn es um Menschenrechte, um Wahrheitsfindung geht, denn wir haben ja mit Kolumbien eine sehr angespannte Menschenrechtslage in einem bürgerkriegsgeplagten Land und in Brasilien immer noch das Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.
Gauck: Ich muss schon gelegentlich darauf hinweisen, dass ich als deutscher Präsident anders als die hiesige Präsidentin nicht am Regierungshandeln beteiligt bin. Das ist kein Kokettieren, das ist auch keine Feigheit vor den Problemen. Ich bin schon vertraut mit den Problemen. Also diese andere Sache: Es ist für mich einfacher, mitzureden in den Fragen von Menschenrechten, von Bürgerrechten, in Fragen von Bedrohung von Bürgern, die zwar in einer Demokratie leben, aber die Staatlichkeit dieser Demokratie – ich denke an Kolumbien – muss erweitert werden, und zwar in die Gebiete hinein, wo ehemalige Kämpfer der FARC oder der ELN, die jahrelang, jahrzehntelang sich mit der Regierung Gefechte geliefert haben, wo die noch aktiv sind. Und umso erstaunlicher ist es, dass die Regierung ganz entschlossen – ich spreche jetzt über Kolumbien – Schritte zur Sicherung der Staatlichkeit macht und gleichzeitig aber in Friedensverhandlungen eingetreten ist mit der FARC, was nicht Jedem im Land passt, aber doch recht erfolgreich scheint.
Birke: Dennoch wird die Regierung in Kolumbien auch beschuldigt, selbst Menschenrechtsverletzungen durchgeführt zu haben mit ihren Sicherheitskräften.
Gauck: Dass dies vom Präsidenten und seiner Regierung geduldet werden würde, das könnte ich nicht sagen. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck. Ich habe auch den Gouverneur von Antioquia kennengelernt. Das sind entschlossene Menschen, die auch genau wissen, ohne dass der Staat präsent ist in den Favelas, wird sich nichts ändern, und dann muss es auch gelegentlich mit staatlicher Gewalt gehen. Und Gewaltanwendung – der Staat hat das Gewaltmonopol und es steht ihm zu und als letztes Mittel darf er auch Gewalt einsetzen. Wenn auf den unteren Ebenen dabei Menschenrechtsverletzungen stattfinden, dann gibt es in diesen Ländern Menschenrechtsverteidiger, die das offen sagen. Also es gibt Medien, die das benennen. Wir sehen das als eine Entwicklungsstufe an und die Zivilgesellschaft und die Medien sind stark genug, hier auch darauf zu pochen: Nein, wir wollen Lösungen auf demokratischem Wege.
Birke: Viele Journalisten bezahlen das in Kolumbien mit ihrem Leben.
Gauck: Wir haben immer noch wie in vielen Teilen der Welt eine Bedrohung für die Menschen, die die Wahrheit lieben: die Menschenrechtsverteidiger, die Journalisten. Das ist nicht hinzunehmen und es ist auch eine große Belastung für diese ehrlichen Menschen, die jetzt das Land wirklich in eine demokratische Zukunft führen wollen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Regierung dazu imstande ist, das Schritt für Schritt zu verbessern, aber eine jahrzehntelange Gewöhnung an Gewalt, die kann kein Präsident und kein Gouverneur per Knopfdruck plötzlich ausstellen.
Birke: Mit Blick auf die eigentlichen Ursachen dieser Probleme – das sind ja soziale Probleme -, können Sie da Verständnis haben dafür, dass man hier zum Revolutionär wird?
Gauck: In früheren Zeiten, als ich die Herrschaft der Oligarchen und der Geldleute und Landbesitzer mir vor Augen geführt habe und die Rechtlosigkeit der Arbeitnehmer und die Armut weitester Teile der Bevölkerung, da habe ich oft gesagt, da wäre ich wahrscheinlich auch links oder linksextrem aus lauter Wut – nicht weil die Linksextremen ein Gesellschaftsmodell hätten, was ich für richtig halte, aber es hat sich gezeigt, dass die Idee der Demokratie jetzt mehr und mehr von den Regierenden in den beiden Ländern, die ich besucht habe, auch mit der Idee der Teilhabe verknüpft wird. Und deshalb habe ich mich auch besonders dafür interessiert, wie weit die Armutsbekämpfung in beiden Ländern gediehen ist. Und selbstverständlich wäre eine gesunde und richtige Sicherheitspolitik die, dass man auf Einkommensmöglichkeiten setzt, die die Menschen nicht zwingen, in den kriminellen Drogenhandel abzugleiten oder Ähnliches zu machen, sich irgendwelchen Banden anzuschließen. Und aus diesem Grunde achte ich all jene Strategien hoch, die eben darauf setzen, einen innergesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Und da sind die beiden Regierungen ja auf gutem Wege.
Birke: Vielen Dank, Herr Bundespräsident.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Gauck: Ich fange mal mit dem persönlichen Strang, Erinnerungsstrang an. Vor 25 Jahren gab es kein vereinigtes Deutschland, sondern ich lebte in der DDR und in einer eher unterprivilegierten Position, und Rio und der Zuckerhut und die Christusstatue und Copacabana, das waren Traumziele, davon träumte man. Aber das war nicht einbezogen in eine Realität, die man selber erreichen könnte. Das andere ist die Geschichte der beiden Länder, und beide haben in diesen mehr als zwei Jahrzehnten wichtige Entwicklungen durchgemacht, die zeigen, dass ihnen eine spezielle Rolle zukommt: uns in Europa; und hier dieses größte Land des Kontinents hat ebenfalls mächtige Entwicklungsschritte vorgenommen und hat ein enormes Wirtschaftswachstum, hat Erfolge bei der Armutsbekämpfung. Das heißt: Allüberall merkt man, dass das Land sich verändern will und sich verändert hat. Es ist noch nicht alles perfekt. Es gibt auch hier noch unbefriedigt befriedete Wohngebiete der ärmeren Menschen und hier oder da Entwicklungsrückstände. Aber es ist imponierend!
Birke: Sie haben gesagt, das ist noch nicht alles perfekt. Es gibt ja auch eine sogenannte strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien. Brasilien ist das einzige lateinamerikanische Land, mit dem Deutschland eine solche Partnerschaft geschlossen hat. Aber sie scheint noch nicht so richtig mit Leben erfüllt zu werden, zumal es auch noch an einigen Stellen hakt, Doppelbesteuerungsabkommen, und ich fand es auch bemerkenswert, dass Sie in dem Pressestatement ausdrücklich betonten, wie gut das Verhältnis zwischen der Präsidentin Dilma Rousseff und der Kanzlerin Angela Merkel sei.
Gauck: Ja, ich fange mal bei dem Letzteren an. Es ist so, dass einige Beobachter etwas kritisch auf die Beziehungen der beiden führenden Frauen unserer Länder geschaut haben, und da war es schon bemerkenswert, mit welcher Deutlichkeit die Präsidentin Brasiliens von sich aus ihr Verhältnis zu Angela Merkel ansprach und es als störungsfrei und herzlich bezeichnete, ausführlich darüber sprach, welch hohe Anerkennung sie unserer Regierungschefin zolle, und das habe ich dann der Presse gesagt. Und die strategische Partnerschaft – ja weil eben dieses Land von einer herausragenden Bedeutung ist für die ganze Region, für den Kontinent, darum haben wir mit Brasilien diese strategische Partnerschaft. Und Sie haben recht: Da muss noch etwas geschehen. Zumindest haben sich die Regierungen jetzt verabredet, Anfang 2014 dann die Regierungskonsultationen, die zu so einer strategischen Partnerschaft gehören, dann auch wirklich stattfinden zu lassen. Da schauen wir mal. Und beim Doppelbesteuerungsabkommen stoßen wir auf eine Situation, die von der Wirtschaft auch ein bisschen kritisch gesehen wird, was Freihandelspolitik betrifft und auch diese Besteuerungsthematik. Da gibt es schon noch unterschiedliche Ansichten.
Birke: Herr Bundespräsident, ich dachte eigentlich, dass Sie nach der Frage nach dem Doppelbesteuerungsabkommen auch sagen, ich bin ja nur der Präsident, ich habe nichts zu sagen. Haben Sie diese Worte öfters hier benutzt? Kokettieren Sie ein bisschen damit? Stellen Sie einfach nur realistisch klar, welches Ihre Rolle ist? Aber ich hatte den Eindruck, Sie hatten sehr viel zu sagen, vor allen Dingen, wenn es um Menschenrechte, um Wahrheitsfindung geht, denn wir haben ja mit Kolumbien eine sehr angespannte Menschenrechtslage in einem bürgerkriegsgeplagten Land und in Brasilien immer noch das Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.
Gauck: Ich muss schon gelegentlich darauf hinweisen, dass ich als deutscher Präsident anders als die hiesige Präsidentin nicht am Regierungshandeln beteiligt bin. Das ist kein Kokettieren, das ist auch keine Feigheit vor den Problemen. Ich bin schon vertraut mit den Problemen. Also diese andere Sache: Es ist für mich einfacher, mitzureden in den Fragen von Menschenrechten, von Bürgerrechten, in Fragen von Bedrohung von Bürgern, die zwar in einer Demokratie leben, aber die Staatlichkeit dieser Demokratie – ich denke an Kolumbien – muss erweitert werden, und zwar in die Gebiete hinein, wo ehemalige Kämpfer der FARC oder der ELN, die jahrelang, jahrzehntelang sich mit der Regierung Gefechte geliefert haben, wo die noch aktiv sind. Und umso erstaunlicher ist es, dass die Regierung ganz entschlossen – ich spreche jetzt über Kolumbien – Schritte zur Sicherung der Staatlichkeit macht und gleichzeitig aber in Friedensverhandlungen eingetreten ist mit der FARC, was nicht Jedem im Land passt, aber doch recht erfolgreich scheint.
Birke: Dennoch wird die Regierung in Kolumbien auch beschuldigt, selbst Menschenrechtsverletzungen durchgeführt zu haben mit ihren Sicherheitskräften.
Gauck: Dass dies vom Präsidenten und seiner Regierung geduldet werden würde, das könnte ich nicht sagen. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck. Ich habe auch den Gouverneur von Antioquia kennengelernt. Das sind entschlossene Menschen, die auch genau wissen, ohne dass der Staat präsent ist in den Favelas, wird sich nichts ändern, und dann muss es auch gelegentlich mit staatlicher Gewalt gehen. Und Gewaltanwendung – der Staat hat das Gewaltmonopol und es steht ihm zu und als letztes Mittel darf er auch Gewalt einsetzen. Wenn auf den unteren Ebenen dabei Menschenrechtsverletzungen stattfinden, dann gibt es in diesen Ländern Menschenrechtsverteidiger, die das offen sagen. Also es gibt Medien, die das benennen. Wir sehen das als eine Entwicklungsstufe an und die Zivilgesellschaft und die Medien sind stark genug, hier auch darauf zu pochen: Nein, wir wollen Lösungen auf demokratischem Wege.
Birke: Viele Journalisten bezahlen das in Kolumbien mit ihrem Leben.
Gauck: Wir haben immer noch wie in vielen Teilen der Welt eine Bedrohung für die Menschen, die die Wahrheit lieben: die Menschenrechtsverteidiger, die Journalisten. Das ist nicht hinzunehmen und es ist auch eine große Belastung für diese ehrlichen Menschen, die jetzt das Land wirklich in eine demokratische Zukunft führen wollen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Regierung dazu imstande ist, das Schritt für Schritt zu verbessern, aber eine jahrzehntelange Gewöhnung an Gewalt, die kann kein Präsident und kein Gouverneur per Knopfdruck plötzlich ausstellen.
Birke: Mit Blick auf die eigentlichen Ursachen dieser Probleme – das sind ja soziale Probleme -, können Sie da Verständnis haben dafür, dass man hier zum Revolutionär wird?
Gauck: In früheren Zeiten, als ich die Herrschaft der Oligarchen und der Geldleute und Landbesitzer mir vor Augen geführt habe und die Rechtlosigkeit der Arbeitnehmer und die Armut weitester Teile der Bevölkerung, da habe ich oft gesagt, da wäre ich wahrscheinlich auch links oder linksextrem aus lauter Wut – nicht weil die Linksextremen ein Gesellschaftsmodell hätten, was ich für richtig halte, aber es hat sich gezeigt, dass die Idee der Demokratie jetzt mehr und mehr von den Regierenden in den beiden Ländern, die ich besucht habe, auch mit der Idee der Teilhabe verknüpft wird. Und deshalb habe ich mich auch besonders dafür interessiert, wie weit die Armutsbekämpfung in beiden Ländern gediehen ist. Und selbstverständlich wäre eine gesunde und richtige Sicherheitspolitik die, dass man auf Einkommensmöglichkeiten setzt, die die Menschen nicht zwingen, in den kriminellen Drogenhandel abzugleiten oder Ähnliches zu machen, sich irgendwelchen Banden anzuschließen. Und aus diesem Grunde achte ich all jene Strategien hoch, die eben darauf setzen, einen innergesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Und da sind die beiden Regierungen ja auf gutem Wege.
Birke: Vielen Dank, Herr Bundespräsident.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.