Der Traum von den Tropen
In seinen Südseebildern feierte Paul Gauguin seine Idealvorstellung von einer exotischen Welt, in der sich Natur und Kultur, Mystik und Erotik, Traum und Wirklichkeit verbinden. Sein Spätwerk ist nun in Fondation Beyeler in Basel zu sehen.
Männer hat er kaum gemalt, zumindest in der Südsee nicht. Aber die Mädchen: Wie kräftige Tiere kauern sie vor ihren Hütten, erdenschwere Schönheiten, den barbusigen Leib in bunte Tücher gewickelt, arabeskenhafte Blüten ins pechschwarze Haar gesteckt. Frauen am Fluss, beim Baden am Strand, in Gruppen unter exotischen Bäumen, vor der Kulisse einer paradiesischen Inselwelt.
Die Titel der Bilder raunen uns geheimnisvolle Fragen zu: "Wohin gehst du?", "Was gibt's Neues?", "Wann heiratest du?", "Warum bist du so eifersüchtig?" Tratsch und Techtelmechtel der Eingeborenen über Alltagsthemen wie Liebe, Sexualität und Eifersucht, über Leben, Schuld und Tod.
Die Bilder ziehen auch heute noch in ihren Bann, und doch beginnt die wunderschöne Schau zunächst mit einer Enttäuschung, mit der Entlarvung einer Legende. Paul Gauguin, der abgebrannte Börsenmakler und zivilisationsmüde Weltenbummler, der Frau und fünf Kinder in Europa zurückließ, um im exotischen Tahiti ganz seiner Kunst zu leben, verdankte dem leibhaftigen Aufenthalt im tropischen Inselparadies mitnichten die Inspiration für seine Südseebilder.
Koloniale Wirklichkeit statt unberührter Wildnis
Denn statt der unberührten Wildheit traf ihn dort die koloniale Wirklichkeit von Wellblechhütten und Steinhäusern. Der Traum von den Tropen, so Ausstellungskurator Martin Schwander, war schon damals ein reines Hirngespinst:
"Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass diese Südseebilder ja eigentlich ästhetische Konstrukte sind. Und eigentlich dieses Defizit im Realleben spiegelt sich ja nicht in der Kunst, die er dort gemacht hat. Sondern im Gegenteil: Diese Bilder sind ja Bilder, die auch heute noch durch diesen trancehaften, traumhaften paradiesischen Zustand eine Entrückung produzieren."
Dass Gauguin sein bildnerisches Vokabular schon fertig im Gepäck hatte, als er in die Südsee ging, zeigt in der Schau ein kurzer Vorlauf mit Bildern aus der Bretagne. Das Wilde und Primitive, mit dem er seine Malerei gezielt anzureichern gedachte, hatte er zuvor schon in der Kargheit dieser Landschaft aufgespürt und mit einem atemberaubenden Instinkt für innovative Momente malerisch in die Moderne gewendet.
Aus der Heimat mitgebrachte Fotos, ethnologische Literatur, Gesehenes, Erahntes und Erträumtes verknüpfte er dann vor Ort mit den Versatzstücken anderer Kulturen zu seiner eigenen Synthese vom polynesischen Paradies.
"Die Zukunft", so schrieb er 1888 an einen Freund, "gehört den Malern der Tropen, die noch nicht gemalt worden sind, und man muss dem stupiden Käuferpublikum motivisch etwas Neues bieten." Mit dieser marketingbewussten Erwartungshaltung, mit der geheimnisvollen Mischung aus Exotik und Erotik, spekuliert natürlich auch diese Schau.
"Wenn Sie diese Bilder anschauen, wissen Sie ja oft nicht, um was es wirklich geht in diesen Bildern, was für uns eine Geschichte da erzählt wird. Wir können nur mutmaßen. Und das ist sicher ein Grund, warum Gauguin heute noch so fasziniert: Weil diese Bilder etwas Unerschöpfliches haben."
Eine Schau, die ihren Zauber behält
Doch obwohl es ihr erklärtes Ziel ist, den Mythos zu entlarven, behält die Schau ihren Zauber. Das liegt nicht nur an den exotisch anmutenden Schnitzereien und Plastiken, mit denen Gauguin seine Gemälde ergänzte. Es hat auch zu tun mit den Reizthemen und Tabus, die Gauguins Leben und seine Kunst berühren: mit dem Kontakt zu minderjährigen Mädchen, mit der Utopie von freiem Leben und freier Liebe. Explizite Erotik freilich findet man in Gauguins Bildern nicht, da hielt der Maler sich zurück.
"Man denkt ja das Gegenteil: dieses Südseeklischee, dass die Frauen dort sehr freizügig mit ihren Reizen umgehen. Und das ist in Gauguins Kunst auf eine ganz verhaltene Weise dargestellt."
Im Spannungsfeld zwischen Sehnsucht und Schuld vermittelt die Schau denn auch keine "Moral". Der Künstler als Kolonisator? Selbst wenn man der Meinung ist, der Maler habe sich an den Menschen und der Kultur seines tropischen Paradieses vergangen, dann hat sich die Natur von selbst gerächt.
Ein spezieller Multimediaraum schildert die spannende Geschichte dieses Getriebenen, auch sein schreckliches Ende in den "traurigen Tropen", die für ihn kein Garten Eden waren. Gezeichnet von Syphilis, Alkoholsucht und anderen Gebrechen, zermürbt von Geldnot und Streitereien mit den Kolonialbehörden, ließ er den Gedanken an Selbstmord nur deshalb wieder fallen, weil er spürte, dass die Natur ihr Werk bald selbst vollenden würde.
"Mein künstlerisches Zentrum ist in meinem Kopf und nirgendwo sonst", schrieb er am Schluss, weil er wohl wusste, dass das wahre Paradies nur in der Fantasie zu finden sei.