Gayle Tufts ist deutsch-amerikanische Entertainerin, Autorin, Sängerin, Kommentatorin und "Germany’s best-known American" (Stern). Sie lebt seit 1991 fest in ihrer Wahlheimat Berlin.
In der Einzelhaft entstehen keine Pointen
04:22 Minuten
Kein Mensch will mehr Corona-Witze hören, und ohne Donald Trump ist alles auch nur halb so lustig: Derzeit hat man es als Comedian nicht leicht, findet Entertainerin Gayle Tufts. Zumal gute Pointen nur im Austausch mit dem Publikum entwickelt werden.
Ich schreibe gerade an meinem neuen Programm. Oder besser gesagt, ich schreibe mein aktuelles Programm um. Obwohl, "aktuelles" ist auch nicht ganz richtig – es ist die Show, die ich im September in Berlin rausgebracht habe, die eigentlich im letzten Mai Premiere haben sollte, verschoben wurde und mit neuem Konzept in abgespeckter, coronakonformer Version im September Premiere feierte.
Ich sollte dann Wiederaufnahme in Herbst haben, drei Wochen spielen und auf Tournee gehen. Aber alles verschiebt sich, Festivals sind gecancelt, 70 Tourdaten abgesagt. Jetzt endlich wieder fünf Vorstellungen im Schiller-Theater hier in Berlin, Ende Mai mit meiner Show "Wieder Da!".
Aber seit ein paar Tagen ist es klar, dass ich doch noch nicht wieder da sein werde, weil wir immer noch im Lockdown sind und das Theater zu bleibt. Ich probiere, es mit Humor zu nehmen.
Ohne Trump ist alles nur halb so lustig
Aber worüber können wir lachen? What’s funny anymore? Ich schreibe meine Texte um, weil, was im September witzig war, heute nicht mehr ganz so pfiffig ist. Ich konnte Witze machen über meinen Lieblingscocktail The Quarantini – er ist genau wie ein Martini, man trinkt ihn nur zu Hause und allein – oder Billy Joel’s Uptown Girl neu texten in "Abstand, Girl, keine Sorge, ich nehm Abstand, Girl". Jetzt klingt das alles blauäugig und belanglos, überholt von der Grausamkeit des Lebens.
Und obwohl ich als Amerikanerin unendlich dankbar bin, dass Donald Trump abgewählt und aus unserem kollektiven Bewusstsein verbannt ist, habe ich durch seinen Rückzug viel Comedy-Material verloren.
Ich habe einen fast 20-minütigen wutgeladenen Monolog über The Orange Monster, aber mittlerweile möchte niemand mehr (besonders ich nicht) seinen Namen hören und keine Sekunde mehr mit Gedanken über ihn verplempern. Das Leben ist zu kurz für so einen Irren.
Ich habe neulich eine Nummer für eine Comedy-Show für den WDR geschrieben und bekam von der Produzentin eine Mail:
"Die Redaktion fragt an, ob du den Text so bearbeiten kannst, dass er etwas weniger coronazentriert ist. Inzwischen haben Marktforschungen ergeben, dass die Zuschauer im Moment von diesem Thema übersättigt sind."
Tja, niemand möchte Corona-Witze hören.
Wie können wir Comedians das wissen? Da alle Theater und Clubs geschlossen sind, gibt es keinen Ort, an dem ich etwas ausprobieren darf. Denn Comedy entsteht nicht in einem Vakuum. Der Austausch von Energie mit dem Publikum, das Ping-Pong-Spiel von Timing, die Musikalität, eine gute Pointe zu setzen, kann nicht in Einzelhaft entwickelt werden.
In the Land of Dichter und (Quer-)Denker
Comedy ist ein notwendiges Werkzeug zum Aufarbeiten dieser Pandemie und seiner gesellschaftlichen Folgen von Isolation, Einsamkeit und Angst. Und wir sind in Deutschland! Deutschland – the Land of Dichter und (Quer-)Denker, wo wir so viel Selbstironie, Satire und intelligente Unterhaltung brauchen, wie wir kriegen können.
Wir müssen wieder zusammenkommen, in einen Raum mit vielen laut lachenden Menschen, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht allein sind! Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die sich 20 Kilos dicker und 20 Jahre älter fühlt, nicht die Einzige, die nicht versteht, warum die USA plötzlich impfeffizient wie das Fließband im VW-Werk in Wolfsburg sind und Deutschland wie eine bekiffte 17-Jährige beim Spring Break in Miami handelt, nicht die Einzige, die dringend einen "Quarantini" braucht.
Ich schreibe weiter!