Protest und Antisemitismus

Was Pro-Palästina-Demonstranten an US-Unis fordern

Aktivisten blockieren und verbarrikadieren Anfang Mai 2024 den Eingang zu einem Campus-Gebäude der Universität von Kalifornien in Los Angeles.
Aktivisten blockieren und verbarrikadieren Anfang Mai 2024 den Eingang zu einem Campus-Gebäude der Universität von Kalifornien in Los Angeles. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Jae C. Hong
08.05.2024
US-Unis werden derzeit überrollt von einer Welle pro-palästinensischer, teils auch anti-israelischer Proteste. Es gibt Kritik an der Nahost-Politik von Präsident Biden - und offenen Antisemitismus. Jüdische Studierende fühlen sich nicht mehr sicher.
Seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg in Gaza protestieren Studierende in den USA. Ab Mitte April spitzte sich die Lage an den US-Universitäten zu. In Campus-Protestcamps und bei Blockaden von Hochschulgebäuden fordern Studenten ein Ende des Kriegs und ein "freies Palästina" – eine Freilassung der israelischen Geiseln, die sich weiterhin in der Gewalt der Hamas befinden, ist hingegen kaum ein Thema. Bei den Protesten an Unis kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Demonstrierenden Studenten wird vorgeworfen, Hamas-Propaganda zu verbreiten.
US-Präsident Joe Biden verurteilte Anfang Mai eine "heftige Welle" von Antisemitismus in den USA: "Auf keinem Campus in Amerika und an keinem Ort in Amerika ist Platz für Antisemitismus oder Hassreden oder Gewaltandrohungen jeglicher Art."

Wie verlaufen die Proteste an US-Hochschulen?

Bis zum ersten Mai wurden mehr als 1.600 Menschen bei Protesten an US-Unis bisher verhaftet. Es kam auch zu Gewalt zwischen pro-palästinensischen und pro-israelischen Demonstranten sowie zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Studierende hatten an mehreren Unis Gebäude besetzt und Protestcamps eingerichtet. Jüdische Studierende und Universitätsmitarbeitende berichteten, dass sie sich wegen der Proteste nicht mehr sicher fühlten. Andere jüdische Studierende beteiligen sich an den Protesten.

Wie reagieren die Hochschulen?

Die Columbia University in New York, von CNN als „Epizentrum der pro-palästinensischen Proteste an US-Colleges“ bezeichnet, teilte am 22. April mit, aus Sicherheitsgründen alle Lehrveranstaltungen auf ihrem Hauptcampus bis zum Ende des Frühlingssemesters hybrid abzuhalten. Präsidentin Nemat Shafik begründete dies mit Fällen von "einschüchterndem und belästigendem Verhalten" auf dem Campus.
"Antisemitische Äußerungen, wie auch andere Äußerungen, mit denen Menschen verletzt und verängstigt werden sollen, sind inakzeptabel und es werden entsprechende Maßnahmen ergriffen", so Shafik. Anfang Mai sagte die Columbia University die Hauptabschlussfeier in diesem Jahr ab. Die Entscheidung sei nach Gesprächen mit Studentinnen und Studenten getroffen worden.
Bunte Zelte und Palästina-Flaggen: Protestcamp vor der Columbia University in New York am 24. April 2024
Protestcamp an der Columbia University in New York: Die US-Unis spiegeln die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft im Nahostkonflikt.© picture alliance / ZUMAPRESS.com / Syndi Pilar

Was steckt hinter den Divestment-Forderungen bei den Protesten?

Die Proteste richten sich nicht nur gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg. Mit dem Slogan "Disclose! Divest!" fordern protestierende Studenten die Unis auf, ihre finanziellen Beziehungen zu Israel offenzulegen und zu kappen. Durch Studiengebühren, Spenden und lukrative Investitionen in beispielsweise Aktien und Immobilien besitzen viele der privaten US-Hochschulen große Vermögen. Die zehn reichsten Universitäten in den USA verfügen aktuell über 260 Milliarden Dollar. Woher das Geld kommt, müssen diese nicht angeben, doch genau das verlangen die Studenten nun. Außerdem verlangen sie von ihren Hochschulen den Verkauf von Aktien von Unternehmen, die geschäftliche Beziehungen mit Israel haben. Die gegen Israel gerichtete Boykottkampagne BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) dient hierbei als Vorbild.
Die BDS-Bewegung ist nach ihrem Selbstverständnis gegen den Staat Israel gerichtet. Die im Jahr 2005 von palästinensischen Aktivisten gegründete Organisation ruft zu einem wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott Israels wegen dessen Besatzungspolitik im Westjordanland auf. Der Bundestag hatte die BDS-Boykottaufrufe 2019 verurteilt. Er stellte fest, dass Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung "antisemitisch" seien.

Welche Folgen haben die Proteste für die Präsidentschaftswahlen in den USA?

Am 5. November 2024 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Der Nahostkonflikt und die damit einhergehenden Proteste könnten die US-Wahlen beeinflussen, da viele Menschen aus traditionell demokratischen Wählergruppen mit der aktuellen US-Politik im Gazakrieg unzufrieden sind.
Auch muslimische Wähler, die lange die Demokraten unterstützt haben, könnten sich von der Partei abwenden. Das Gefühl zur US-Gesellschaft dazuzugehören, sei vorbei, seit sich die USA klar an die Seite Israels gestellt haben, erklärte Sally Howell, Professorin für arabisch-amerikanische Studien an der Universität von Michigan.
Auch Doris Simon, US-Korrespondentin des Dlf, sieht Auswirkungen der universitären Pro-Palästina-Bewegung auf die amerikanische Innenpolitik. Präsident Biden fahre "eine Sowohl-als-auch-Linie, für Vielfalt der Meinungen und friedlichen Protest, gegen Gewalt, Antisemitismus und Islamophobie". Seine Partei sei gespalten im Umgang mit den Protesten. Die Republikaner, die die privaten Elite-Unis schon länger "als Hort woke-linker Ideologien sehen", hätten die Studierenden pauschal als radikal und antisemitisch gebrandmarkt - und die Proteste zum Law-and-Order-Thema gemacht.

Welche Anti-Israel-Proteste gibt es an deutschen Hochschulen?

Auch in Deutschland wird bereits seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel an Hochschulen demonstriert. Linke und Islamisten tun sich dabei teilweise zusammen, um gegen Israel und für ein "freies Palästina" zu protestieren.
Im Mai 2024 nahmen die Proteste - ähnlich wie anderswo in Europa - noch mal zu. Die Freie Universität (FU) in Berlin musste zum Beispiel zeitweise den Betrieb einstellen, weil 150 Aktivisten den Hof besetzten. Die Polizei räumte das Gelände. Nach Angaben der Hochschule hatten Aktivisten auch versucht, Räume und Hörsäle der Universität zu besetzen und es sei zu Sachbeschädigungen gekommen. Zu einem ähnlichen Polizeieinsatz kam es an der Uni Leipzig. Dort hatten gut 50 Aktivisten Audimax und Innenhof besetzt.
Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Lambert T. Koch, sagte zu den Vorfällen in Berlin, die Grenzen von legitimer Israel-Kritik zu Antisemitismus und von nachvollziehbarem Mitgefühl mit der palästinensischen Zivilbevölkerung hin zu unverhohlener Unterstützung der Terrororganisation Hamas würden immer wieder erschreckend schnell überschritten. Der Zentralrat der Juden sprach mit Blick auf die Proteste in Berlin von einem antizionistischen und antisemitischen Hintergrund.

tei, rey
Hintergrund zum Nahostkonflikt